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Titel1714

Der Spiegel will Krieg  (Otto Köhler)

Toter kann Rudolf Augstein nicht sein. Als er im November 2002 starb, brachte der von ihm gegründete Spiegel zum letzten Mal das Foto, das ihn als Verständigungspolitiker zeigt, als Kämpfer gegen den kalten Krieg: auf dem FDP-Parteitag 1967 in Hannover diktiert er dem damals gleichgesinnten Stern-Gründer Henri Nannen seine Rede für die neue Ostpolitik in die Schreibmaschine. Erfolg: das Entspannungskabinett Brandt/Scheel. Ein längst vergangenes Stück (west-)deutscher Erinnerungskultur.

Augstein und die Entspannung – alles längst vergessen, verboten im umgelaunchten Spiegel des Jubiläumsjahrs 2014, der von dem aus der Bild-Spitze importierten Überchefredakteur Nikolaus Blome redigiert und regiert wird. Der Blome-Spiegel hat sich ein Beispiel am Stern genommen, an der Stern-Titelseite vom 6. Juni 1971, auf der sich 26 prominente Frauen mit ihrem Foto zu einer damals nach Paragraph 218 strafbaren Handlung bekannten: »Wir haben abgetrieben!« Beginn einer Liberalisierung des Obrigkeitsstaates.

Der Spiegel 2014 hat anderes vor – mit den Mitteln des Stern. Nicht 26 protestierende Frauen sind auf seinem Titel abgebildet, sondern die Porträts von 56 Männern, Frauen und Kindern mit dem Befehl: »Stoppt Putin jetzt!« Tote aus dem abgestürzten, wahrscheinlich abgeschossenen malaysischen Passagierflugzeug.
Die Titelgeschichte klärt auf: »Es schrie zum Himmel.« Und der verlangt Strafe. Der Täter steht fest. Ein »Wirtschaftskrieg« genügt den Spiegel-Kriegern nicht – sie stellen darum die rhetorische Frage: »Ist Putin so zu stoppen?« Nachdem der Titel mit den journalistisch mißbrauchten Flugzeugopfern schon den kategorischen Imperativ verkündet hat: »Stoppt Putin jetzt!« Also mehr als nur Wirtschaftskrieg.

Wer immer das Passagierflugzeug abgeschossen hat – verantwortlich ist das ukrainische Regime, das wie Hitlers Kabinett zu zwei Dritteln aus mutmaßlichen Nichtfaschisten besteht. Diese vom Westen anerkannte Regierung hat den Luftraum über der Ostukraine für ausländische Passagierflugzeuge freigegeben, obwohl sie dort Kampfflugzeuge auch gegen die Zivilbevölkerung einsetzte. Sie mußte mit deren Beschuß rechnen. Tatsächlich wurden – auch nach dem Eingeständnis des Spiegel – mehr als ein Dutzend der Kiewer Kampfmaschinen abgeschossen.

Der gesamtredaktionelle Leitartikel verkündete das – keiner der von Augstein zu Miteigentümern gemachten Redakteure und Redakteurinnen wagte da aufzumucken – »Ende der Feigheit«. Etwas vorzeitig. Es fehlten noch acht Tage bis zu dem Termin, an dem Kaiser Wilhelm Zwo vor hundert Jahren den Großen Krieg vollends ausbrach: »So muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf! Zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande.«

Jede Spiegel-Redakteurin, jeder Spiegel-Redakteur hat sich so in Kollektivhaftung für dieses Ende der Feigheit nehmen lassen. Ein Ende des Kampfes der Leichenfledderer vom deutschen Nachrichtenmagazin gegen jede Feigheit vor dem Krieg ist nicht abzusehen.
Da gibt es nur eins: Den Krieg und sein Organ abbestellen.