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Titel1714

Im Zweifel für Täter, gegen Opfer  (Ulla Jelpke)

Ein wichtiger Gradmesser für den Stand der Aufarbeitung der NS-Herrschaft ist die Frage der Entschädigung. Die Bundesregierung selbst gibt sich exzellente Noten: »Alle Bundesregierungen seit 1949 waren sich ihrer Verantwortung gegenüber Opfern der NS-Gewaltherrschaft bewußt und haben sich nach Kräften und mit Erfolg bemüht, für das von den Nationalsozialisten begangene Unrecht zu entschädigen«, teilte sie im März 2012 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mit. Für eine solche Selbstzufriedenheit gibt es keinerlei Anlaß.

Gerne verweist die Bundesregierung auf das Bundesentschädigungsgesetz (BEG), das eine »Wiedergutmachung« auf individueller Ebene regelte. Es blieb aber beschränkt auf NS-Verfolgte, die ihren Wohnsitz im (früheren) Reichsgebiet hatten – eine Einschränkung, die beim besten Willen nicht der räumlichen Dimension des NS-Terrors entspricht. Leistungen gibt es zudem nur für »NS-typisches« Unrecht, etwa »aus Gründen politischer Gegnerschaft oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung«. Im Behördenalltag der 1950er Jahre waren damit Zehntausende NS-Opfer ausgeschlossen: Sinti und Roma etwa, die das KZ überlebt hatten, bekamen zu hören, daß »Delikte« wie Landstreicherei oder »asoziales Verhalten« ja in jedem Fall bestrafenswert seien, mit Faschismus habe das nichts zu tun. In der Kontinuität antiziganistischer Ressentiments waren sich BRD und DDR, leider, einig. Auch Homosexuelle, Zwangssterilisierte, Opfer der Wehrmachtsjustiz und so weiter wurden aus dem BEG ausgeschlossen.

Seit den 1980er Jahren hat sich diese Sicht zwar geändert – aber zu spät: Anträge nach dem BEG konnten nur bis 1969 gestellt werden. Danach gab es allenfalls noch »Härteleistungen«, die bis vor wenigen Jahren von einer wirtschaftlichen Notlage abhängig gemacht wurden. Maximal gibt es eine Einmalzahlung von knapp 2500 Euro oder Monatsleistungen von maximal 291 Euro (bis vor wenigen Jahren nur 120 Euro) – für ein von den Nazis verpfuschtes Leben gewiß mehr Symbolik als reale Wiedergutmachung. Von mehreren zehntausend in Gefängnisse und KZ eingesperrten »Asozialen« haben nach Angaben der Bundesregierung lediglich 205 eine »Härteleistung« erhalten.

Wesentlich großzügiger waren deutsche Behörden da bei der Versorgung ehemaliger Wehrmachts- und SS-Soldaten. Die bekommen, wenn sie eine Kriegsverletzung geltend machen, Versehrtenrenten. Erst Ende der 1990er Jahre wurde gesetzlich festgelegt, daß Kriegsverbrecher ausgeschlossen werden. 940.000 Versehrte, darunter 10.000 SS-Freiwillige, wurden geprüft – aber, wie die Bundesregierung einräumte, nur oberflächlich: Der Arbeitsaufwand wäre sonst zu hoch gewesen. Im Ergebnis wurden 99 Personen die Leistungen entzogen. Im Zweifel für die Täter, im Zweifel gegen die Opfer – auch das ist eine Quintessenz der deutschen Entschädigungspolitik.

Entschädigungszahlungen ins Ausland zielten von Anfang an auf das außenpolitische Ziel der »Westintegration« der BRD. Deswegen gingen schon ab 1952 über drei Milliarden DM an Israel und 450 Millionen DM an die Jewish Claims Conference. In den 1960ern folgten Pauschalbeträge an westliche Staaten in Höhe von zusammen 971 Millionen DM. Osteuropäische Staaten – in denen Wehrmacht, SS und deutsche Zivilverwaltung die meisten Verbrechen begangen hatten – kamen als letzte an die Reihe, sie erhielten in den 1990ern sogenannte Versöhnungsstiftungen, die mit 1,6 Milliarden DM ausgestattet wurden. All diese Summen stehen in keiner Relation zum begangenen Unrecht – sie sind Ergebnisse von Verhandlungen und damit Ausdruck politischer Kräfteverhältnisse. Deswegen zahlt die BRD bis heute die Griechenland von den Nazis abgepreßte Zwangsanleihe nicht zurück, im Gegenwert von mehreren Milliarden Euro.

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter konnten ab 2001 »freiwillige« Leistungen aus Deutschland erhalten (eine Rechtspflicht will Deutschland partout nicht anerkennen). Hierfür war ebenfalls deutsches Eigeninteresse, vor allem die Exportorientierung, ausschlaggebend: Es gelte, so die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft damals, »Sammelklagen in den USA zu begegnen und Kampagnen gegen den Ruf unseres Landes und seiner Wirtschaft den Boden zu entziehen«. Die Antragsmöglichkeiten waren befristet, wer zu spät davon gehört hatte, ging leer aus.

Komplett ausgeschlossen wurden an die 100.000 italienische Militärinternierte. Bis heute ohne Entschädigung sind überlebende sowjetische Kriegsgefangene, nach Jüdinnen und Juden die größte Opfergruppe des Nazi-Rassenwahns. Deutsche Kriegsgefangene hätten von den Russen ja auch nichts bekommen, man wolle hier keine »Einseitigkeiten«, argumentiert die Bundesregierung in schlechtester Totalitarismusdoktrin. Überlebende der unzähligen Massaker, die Wehrmacht und Waffen-SS im Rahmen der »Partisanenbekämpfung« verübten, beziehungsweise Angehörige erhalten ebenfalls nichts – sie haben nach behördlicher Lesart nur ein etwas ruppiges »Kriegsschicksal« erlitten, sind aber keine »typischen« NS-Opfer. Richtig ist: Sie haben keine Lobby, die erfolgreich Druck ausüben kann. Bestenfalls spendiert die Bundesregierung ihnen ein Denkmal – um dann damit anzugeben, wie fabelhaft sie angeblich die NS-Geschichte aufarbeitet.