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Titel1715

Brachialvergleich ImEx  (Peter Arlt)

Die ästhetische Pein aus der Konfrontation der Bilder des Impressionismus und Expressionismus könnte zwar sensible Naturen aus den Räumen der Alten Nationalgalerie vertreiben, aber zieht mit visuellen Peitschenhieben die Massen an. Max Pechsteins »Sitzendes Mädchen«, 1910, gegen Auguste Renoirs »Badende mit blondem, offenem Haar«, um 1903; Ernst Ludwig Kirchners »Badende« auf Fehmarn, 1913, gegen Max Liebermanns »Badende Knaben«, 1902; Emil Noldes »Papua-Jünglinge«, 1913/14, gegen Paul Gauguins »Tahitianische Fischerinnen«, 1891. Zum Ausstellungsbeginn stehen zwei impressionistische Porträtplastiken, »Paul Cassirer«, 1925, von Georg Kolbe und das Maillol-Porträt von Auguste Renoir, 1907, in ihrem Wechselspiel von Licht und Schatten gegen die scharfkantige, in Kuben gegliederte Bronzeplastik »Herwarth Walden«, 1917, von William Wauer. Werke der partnerschaftlichen Künstler aus Frankreich und Deutschland, welche die einstigen Direktoren der Nationalgalerie Hugo von Tschudi und Ludwig Justi ehren, die als erste weltweit im- und expressionistische Bilder zu Sammlungen zusammentrugen und damit die Geburt der Moderne förderten. Bereichert von auswärtigen Exponaten, kommen die meisten der über 160 Werke der Malerei, Plastik und Grafik vor allem von der Nationalgalerie, wo sie sonst ständig in Nachbarsälen mit etwas Abstand wahrgenommen werden können.


Neu ist der unmittelbare Kontrast. Aber er zeigt weder »verblüffende Ähnlichkeiten beider Kunststile« (Weltkunst), noch zeigt er bei Verschiedenheit der Stile das Gleiche; es sei denn, der Blick schrumpft die Bilder ein zum motivischen Bezugspunkt. Ein Sujet ist nicht gleich, wenn beispielsweise Heinrich von Zügel ein grasfressendes Rind von einem Knaben beaufsichtigen lässt oder von Franz Marc abstrahierte, farbsymbolische Kühe zu Mitgeschöpfen im Kosmos erhoben werden. Oder wenn die Beziehung zwischen Frau und Mann von der sozialen, angedeuteten erotischen (Édouard Manet) zur Begier und zum Existentiellen (Edvard Munch) getrieben wird. Die Expressionisten wählten nicht wegen ihrer Wesensähnlichkeit zu den Impressionisten das gleiche Sujet wie sie, sondern um es diametral zu übersteigen und im Vergleich ihre Andersartigkeit zu demonstrieren. Die komplementären Wörter geben einen Hinweis auf wechselweise Ergänzung und Simultanwirkung. Überzeugend unterstreicht die Ausstellung, »gemeinsam ist [beiden Kunstströmungen] der antiakademische Affront« (Faltblatt Nationalgalerie). Eine bekannte Tatsache.


Die Impressionisten interessierte ihre subjektive unmittelbare Sinneswahrnehmung des Augenblicksbildes der Erscheinung. Eine Größe des Impressionismus liegt in der Steigerung visueller Wahrnehmung. Wenn das Objekt als farbiger Fleck erscheint, liegen seine Grenzen in der Reduzierung auf das bloße, unreflektierte Augenerlebnis. Die »Eindruckskünstler« lieben die lichterfüllte Farbigkeit in den Gartenlokalszenen mit der tanzenden, sich vergnügenden Menschenmenge; die Reflexe, Spiegelungen auf dem Fluss und Meer, darauf das Lichtspiel und die farbigen Schatten der Boote und die Badenden; die Sonne im Gegenlicht über Feldern und durch Wolken und Dampf; das bewegte Leben auf den Straßen der Großstadt. Die Maler erfassten mit skizzenhafter Flüchtigkeit den Pulsschlag des Lebens, sahen wie die Wissenschaftler Charles Darwin und Wilhelm Bölsche Wandlung ohne Stillstand, mit Bewegung, die Friedrich Engels als »Existenzform der Materie« definierte. Der heitere Lebensgenuss der früheren Franzosen wandelte sich bei den Deutschen zur aristokratisch gefärbten Genusskultur. Die Bilder erhielten einen zusätzlichen ikonographischen Sinn und stehen, wie Lovis Corinths »Ecce homo«, 1925, dem Expressionismus nahe, welches die Relativität von zeitlich Aufbrechendem und Bleibendem belegt.


Die gegen den Impressionismus aufbegehrenden Künstler setzten ihm mit dem Antonym Expressionismus (»Ausdruckskunst«) ein Wort gegensätzlicher Bedeutung entgegen, wie Liebe – Hass, Wahrheit – Lüge, stark – schwach, weich – hart oder Fläche – Linie. In einer Reihe von Vitrinen präsentieren Bücher den Gegensatz theoretisch. Hermann Bahr fasste alle Sekten des Expressionismus zusammen, die gegen den Impressionismus sind, der die Wirklichkeit vortäuschen will, der nur Augen und Ohren besitzt, aber keinen Mund: »Der Expressionist reißt den Mund der Menschheit wieder auf ... jetzt will sie wieder des Geistes Antwort sagen.« Der Expressionismus war die Kunstwende (Herwarth Walden), ein neuer Standpunkt.


Gegen die kapitalistischen Verhältnisse opponiert »Ex« und breitet sich von 1905 als Hauptströmung in Europa aus, mit Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Edvard Munch und anderen als Frühexpressionisten. In der Protesthaltung und Zielutopie schlug ein rebellisches beseeltes Herz und traten sendungsbewusst christliche und sozialistische Ideen hervor, freie Menschen in freier Natürlichkeit und ursprünglicher Sinnlichkeit. Die Phantasie ist auf das Urweltliche und Triebhafte gerichtet, auf Kraft und Leben in allereinfachster Form, schroff kontrastierend, nahsichtig, massig, deformierend, ekstatisch und chiffrehaft.


Wenn bei einem Ausstellungsabschnitt, »Vision Krieg. 1913«, dieser nur vom »Ex« bedient wird, deutet das somit eine Fehlstelle beim Impressionismus an. Die sonstige Ausstellungsgliederung nach den gemeinsamen Hauptmotiven, kürzt vor allem den Expressionismus, so um das Anthroposophische. Die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der Kunstströmungen werden pauschalisiert und um das beschnitten, was nicht in den Koffer Ausstellung passt.

Alte Nationalgalerie, Berlin, bis 20. September Di, Mi, So 10-18 Uhr, Do-Sa 10-20 Uhr; 12/6 € Eintritt