erstellt mit easyCMS
Titel1716

Rejtö: Humor in Zeiten von Terror und Krieg  (Gerd Bedszent)

Der ungarische Schriftsteller Jenö Rejtö (1905–1943) hieß eigentlich Jenö Reich; wegen Antisemitismus hatte er seinen Nachnamen magyarisieren lassen. Seine Werke gelten wegen der zahlreich darin enthaltenen Wortspiele als schwer übersetzbar. Von den etwa fünfzig Büchern Rejtös (meist unter dem Pseudonym P. Howard erschienen) sind in den 1970er Jahren zwei in der DDR vom Eulenspiegel Verlag herausgegeben worden, in der alten Bundesrepublik immerhin eines. Der Berliner Elfenbein Verlag hat sich schon vor einigen Jahren der verdienstvollen Aufgabe einer deutschen Gesamtausgabe gestellt; Anfang 2016 erschien als Band 5 der Reihe »Ein Seemann aus der Neuen Welt«.

 

Rejtö, der auf ein abenteuerliches Leben zurückblicken konnte (als Neunzehnjähriger brach er eine Schauspielausbildung ab, um sich dann jahrelang als Matrose, Fischer, Hafenarbeiter und Zirkusclown in verschiedenen europäischen Ländern herumzutreiben), hatte in den 1930er und 1940er Jahren seine größten Erfolge als Autor irrwitzig komischer Taschenbücher: umwerfende Parodien und Persiflagen auf die damals beliebten Detektiv- und Abenteuergeschichten, aber auch häufig Verulkungen ernsthafter Werke der Weltliteratur.

 

Rejtös Helden und Anti-Helden sind zumeist sympathische Strolche aus der Unterschicht – Matrosen, Schmuggler, Kleinkriminelle – und aus der Bahn geworfene Sprösslinge der Oberschicht. Generationen ungarischer Jugendlicher lasen und lesen noch immer begeistert, wie eine Handvoll Hafenstrolche der britischen Marine einen Panzerkreuzer stielt, um dann unter der sympathischen Losung »Bier für alle!« über den Ozean zu schippern. Oder wenn aus dem Straflager ausgebrochene Fremdenlegionäre mit einem geklauten Panzer Afrika durchqueren, weil der französischen Regierung gerade eine ganze Eisenbahnlinie gestohlen wird. Oder wie ein verliebter Matrose seinen Dienst in der Legion nicht antritt und sich stattdessen von einem Privatsekretär vertreten lässt …

 

Rejtös Geschichten waren nicht offen politisch; solche wären unter dem autoritären Regime von Reichsverweser Miklós Horty auch schwerlich zu veröffentlichen gewesen. Seine Texte zeugten aber von einer umwerfenden Subversivität, belegen den Überlebenswillen und den unverwüstlichen Humor der kleinen Leute. Ein Beispiel: In einem der Werke kündigt der Oberschurke an, das bald »alle Ganoven, Waffenfabrikanten und Geheimdienste, alle Säufer und Perversen, alle Spekulationsbanken, Rassisten und korrupten Politiker einander die Hand reichen und eine neue Weltordnung errichten«. Dies geschrieben in einer Zeit, als Adolf Hitler sich auch mit Unterstützung der ungarischen Regierung gerade anschickte, besagte Weltordnung in Europa durchzusetzen.

 

Es war vorprogrammiert, dass Jenö Rejtö von der rechtsradikalen ungarischen Presse zunehmend angefeindet wurde. Als Jude war er ohnehin heftig diskriminiert, auch wenn Horthy Hitlers Wunsch nach einer Ausrottung der ungarischen Juden zunächst nicht entsprochen hatte. Folge dieser Denunziationen war aber Rejtös Einberufung zur Zwangsarbeit.

 

Das Horty-Regime hatte sich gegen Zusicherung territorialer Erweiterung am faschistischen Überfall auf die Sowjetunion beteiligt. Für die beteiligten ungarischen Truppen endete das militärische Abenteuer desaströs.

 

Nach der Schlacht von Stalingrad wurde im Zuge der Winteroffensive der Roten Armee im Januar 1943 die 2. Ungarische Armee zusammen mit der 8. Italienische Armee fast völlig vernichtet. Von den 200.000 ungarischen Soldaten starb etwa die Hälfte, 60.000 gerieten in Kriegsgefangenschaft. Die in sogenannten »Arbeitsbrigaden« den bewaffneten Einheiten angegliederten 50.000 unbewaffneten Zwangsarbeiter – hauptsächlich ungarische Juden, aber auch Angehörige nationaler Minderheiten sowie politisch Verdächtige – kamen gleichfalls zum großen Teil ums Leben.

 

Dieses militärische Debakel war der Beginn eines zunehmenden Zersetzungsprozesses der ungarischen Streitkräfte, den auch der Sturz von Horthy und die offene Machübernahme der faschistischen Pfeilkreuzler später nicht mehr aufhalten konnte. Gegen Ende des Krieges kämpften bereits mehrere Hunderttausend ungarische Soldaten in den Reihen der Anti-Hitler-Koalition.

 

Jenö Rejtö hat all dies nicht mehr erlebt. Er erfror bereits am 1. Januar 1943 in einem Arbeitslager in der faschistisch besetzten Ukraine.