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Titel1716

Konsequent, bis zum Eklat  (Klaus Nilius)

Am 27. August wird der satirische Sänger, Kabarettist, Liedermacher und Lästerlyriker Hans Scheibner 80 Jahre alt. Der gebürtige Hamburger ist immer noch in seiner Vaterstadt zu Hause. Dort blickt er zurzeit von Plakaten auf die Passanten, verspricht ihnen »Skandale und Liebe« und ruft ihnen in den Buchhandlungen von den Büchertischen aus zu: »In den Himmel will ich nicht.«

 

Na ja, das könnte auch ein wenig problematisch werden am Himmelstor bei der Abgabe des Asylantrags, hat er es sich doch mit diversen Entscheidern verdorben: Die fromme Verbeugung vor dem Einen hat er in »Spott zum Gruße« umgewandelt, und den Ersten Stellvertreter auf Erden hat er regelmäßig in seinen Programmen verhohnepiepelt, weil dieser den Katholiken die Anti-Babypille verweigert: »Himmel, Arsch und Zwirn! Der Papst kann sich nicht irr‘n.«

 

Frage: Was haben frühere Bürgerinnen und Bürger der DDR und der Bundesrepublik gemeinsam, im Hinblick auf Hans Scheibner? Ganz einfach: Sie kannten ihn, ohne es zu wissen.

 

Beispiel Ost: In den siebziger Jahren überwand ein Ulk-Schlager »auf Äthers Flügeln« das Trennende und schlich sich in die Alltagskultur der klassenbewussten Republik ein: »Oh, Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen …«. Der unter Pseudonym verfasste Text stammte von Scheibner, Sänger war der holländische Entertainer Nico Haak. Der Song soll in der DDR noch populärer als in der Bundesrepublik gewesen sein.

 

Beispiel West: Wer hier wohnte, der entging sicherlich nicht dem einsamen eiförmigen Tank, der ab Mitte der 1970er Jahre hier und da an Landstraßen oder Autobahnen stand und, doppelwandig wie er war, verkündete: »Ich bin 2 Öltanks«. Es war einer der erfolgreichsten damaligen Werbeslogans, getextet von Hans Scheibner.

 

Aber der Reihe nach. In Hamburg geboren. Mutter kaufmännische Angestellte, Vater Maschinenbauer, eine vier Jahre jüngere Schwester. Im Elternhaus keine Sympathie für die Nazis. 1943 ausgebombt, Flucht nach Ostpreußen, ein Jahr später zurück an die Elbe: »Die Russen kommen.« Schule, Lehre, Kaufmannsgehilfenbrief. Erste schriftstellernde Fingerübungen, erste Auftritte als Schauspieler mit dem im April 2016 in Hamburg gestorbenen Uwe Friedrichsen. Begegnung mit dem Kabarettisten, Schauspieler und Schriftsteller Werner Finck, der ihn ermutigt, »sich nie vom eingeschlagenen Weg abbringen zu lassen«, was Hans Scheibner beherzigt: »Konsequent, bis zum Eklat« wird seine Devise. Auftritte mit Fritz Graßhoff, dem Schöpfer der »Lumpenpostille«, einem erfolgreichen Lyrikbuch der Nachkriegszeit.

 

Im Jahr 1974 veröffentlicht die Hamburger Band »Jazz-Lips« ihre LP »Meyers Dampfkapelle – Herzlose Lieder«. Ein hintersinniger Song davon wird zum Dauerbrenner, bis heute: »Ich mag so gern am Fließband stehn«, Interpret Hans Scheibner. Er ist angekommen, gehört zur legendären »Hamburger Szene« rund um das damalige Jazzlokal »Onkel Pö«.

 

 

Und der erste Eklat seiner Laufbahn ist nicht weit weg. Im Spiegel vom 13. Dezember 1976 bricht er den Stab über die deutschen Texte der Crème de la Crème der Liedermacher. Mit dem bei François Villon ausgeliehenen Verdikt »Das wiegt kaum einen Vogelschiss« zieht er sich den Zorn fast aller Sangesbrüder zu. Und er legt sich – wie ich meine: zu Unrecht – mit dem Sänger Hannes Wader an, der vom »Elend der Arbeiter« singe, nach dem Gesang aber nach Hause in seine Mühle fahre, »die er mit Arbeitsliedern hart ersungen und zusamm‘gespart« hat (»Vom Sänger mit den Arbeiterliedern«, 1976).

 

Im Herbst desselben Jahres beginnen an der schleswig-holsteinischen Westküste nahe der Gemeinde Brokdorf die Bauarbeiten für ein Kernkraftwerk, begleitet von Protesten und Demonstrationen. Vier Jahre später, nach einem gerichtlich verfügten Baustopp und vor dem sich abzeichnenden erneuten Baubeginn, ziehen rund 100.000 Menschen zum Bauplatz. 10.000 Polizisten stehen ihnen gegenüber. Jagdszenen in der Wilstermarsch. Gerhard Stoltenberg (CDU) regiert das Land mit eiserner Faust.

 

Hans Scheibner zeigt Haltung. Er liefert das Lied, das zur Brokdorf-Hymne wurde und auch heute noch gesungen wird: »Was in Achterndiek in der Nacht geschieht«. Der Song kommt in Märchenform daher – »Vom Fischer un siner Fru« – und berichtet vom Bürgermeister Jonny Hansen im verträumten, stillen Achterndiek, der einmal Fischer war, und seiner Frau, die wie Ilsebill bei den Brüdern Grimm immer noch einen draufsetzen will und sich schließlich ein Atomkraftwerk wünscht, was sie auch bekommt. Mit verheerendem Ausgang.

 

Hans Scheibner macht seinen Weg, sich in seinen Texten naiv-doppelsinnig gebend, als Meister der Alltagssatiren, als Buchautor, Schauspieler, Kabarettist. 1979 gelingt ihm ein weiterer Hit: »Das macht doch nichts, das merkt doch keiner«. Er singt ihn bis heute, aktualisiert die Passagen von Mal zu Mal. Er arbeitet als Kolumnist für Zeitungen, hat eigene Sendungen im Hörfunk und Fernsehen (zum Beispiel »scheibnerweise«).

 

Dann der nächste Eklat. Im Dezember 1985 trägt Scheibner in der NDR-Talk-Show zum 30. Geburtstag der Bundeswehr in Anlehnung an das bekannte Kurt-Tucholsky-Zitat sein Lied »Wo bist du, Lysistrata« vor, in dem es heißt: »Aber ach, es ist ja nicht möglich heut. / Die Frauen sind ja selbst nicht zu retten. / Ihre Söhne schicken sie brav in den Krieg. / Und mit Mördern teilen sie die Betten!«

 

Verteidigungsminister Manfred Wörner und »die Bundeswehr« fühlen sich angegriffen, das Hamburger Abendblatt kündigt seinem Freien Mitarbeiter, der ARD-Vorsitzende und NDR-Intendant Friedrich Wilhelm Räuker, Mitglied der CDU, stoppt »scheibnerweise«. Die Hörfunk- und TV-Auszeit dauert zwei, drei Jahre. Dann hält in Schleswig-Holstein ein neues kulturelles Klima Einzug, von der Kulturszene im Norden wie eine Befreiung begrüßt: Der Sozialdemokrat Björn Engholm war 1988 Ministerpräsident geworden, Scheibner hatte ihn im Wahlkampf unterstützt. Auch der NDR-Intendant hatte gewechselt, und mit Scheibner sympathisierende Redakteurinnen und Redakteure durchbrachen den Bann.

 

Und dann ist da im Januar 1989 noch die »Bremer Eiswette«, eine jährliche Gala von Wirtschafts-Großkopfeten und Politikern, wenige Monate nach dem Tode von Franz Josef Strauß und zwei Jahre nach der Verurteilung des FDP-Politikers Graf Lambsdorff als Steuerhinterzieher (»Flick-Affäre«). Hans Scheibner soll für Stimmung sorgen. Es kommt anders als erwartet. Seine  Spottverse über die beiden, über Wirtschaft und Politik treffen den Nerv: »Linke Sau«, »Werft ihn raus«, »Mikro aus«. Aschenbecher fliegen. Scheibner entrinnt unversehrt dem Tumult.

 

Er ist eben Hans im Glück. Mit diversen Kabarett- und Liederprogrammen, vor allem aber mit dem alljährlichen Dauerbrenner zur Weihnachtszeit »Wer nimmt Oma?« wird er »populär, ohne ein Populist zu sein«, wie Engholm später einmal über ihn sagt.

 

Seinen 80. feiert Scheibner punktgenau in der Hamburger Laeiszhalle, an seiner Seite seine Ehefrau, die Schauspielerin Petra Verena Milchert, und Raffaela, die zweitälteste von vier Töchtern, und immer noch der holländische Pianist Berry Sarluis, Scheibner freundschaftlich verbunden seit Mitte der 1970er Jahre, sowie der Schlagzeuger Helge Zumdieck und der Bassist Thomas Biller. Sie begleiten ihn auch auf den über zwölf Stationen der Geburtstagstournee »Skandale und Liebe« zwischen Flensburg und Berlin (www.hansscheibner.de). Am 12. August ist bei Hörbuch Hamburg die Sammlung »In den Himmel will ich nicht« erschienen, ein äußerst vergnüglicher satirisch-selbstironischer Lebensrückblick auf 4 CDs, gelesen vom Autor, 18 €. Der List Verlag (Ullstein) veröffentlichte gleichzeitig unter demselben Titel die Buchausgabe, 400 Seiten, ebenfalls 18 €.