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Massensterben auf deutschen Straßen  (Stephan Krull)

Etwa 3215 Menschen starben 2017 bei Verkehrsunfällen in Deutschland, meldet der ADAC. »Etwa«? Na ja, schwierig zu zählen, wenn eine Person erst drei Wochen nach einem Unfall verstirbt. Weltweit sind es etwa 1.250.000 Menschen, die jährlich im Straßenverkehr tödlich verletzt werden. Bei etwa 2,6 Millionen Unfällen im deutschen Straßenverkehr kommen jährlich über 3200 Menschen ums Leben, fast zehn Menschen pro Tag. Ein Drittel davon innerörtlich; besonders stark zugenommen hat die Opfergruppe der Radfahrer_innen (mit 382 tödlichen Unfällen) wie auch die der LKW-Fahrer; fast 400.000 Personen wurden teilweise schwer verletzt, davon 75.000 Radfahrer_innen. Einige jüngere Meldungen aus diesem Jahr:

»Tödlicher Unfall am Freitagabend im Ballenstedter Ortsteil Badeborn: Ein Autofahrer hat einen Radfahrer erfasst, der 58-Jährige starb«, berichtet die Magdeburger Volksstimme am 10. März.

 

»Ein junger Autofahrer gerät in den Gegenverkehr und prallt mit einem Wagen zusammen. Die beiden Frauen, die darin sitzen, werden getötet«, meldet die Münchner Abendzeitung am 21. April.

 

»Nach dem tödlichen Unfall auf der Autobahn 14 bei Halle ist die Identität der Todesopfer geklärt. Es handle sich um ein älteres Ehepaar«, informiert Focus am 18. Mai.

 

»Ein Mercedes-Fahrer übersieht beim Abbiegen in der Schwieberdinger Straße einen vier Jahre alten Jungen und überrollt das Kind mit seinem Wagen, lautet eine Meldung der Stuttgarter Zeitung am 13. Juni.

 

»Bei einem Unfall auf der B 463 zwischen Stetten und Owingen ist am Montagnachmittag ein 58-jähriger Autofahrer ums Leben gekommen«, vermeldet am 31. Juni der Schwarzwälder Bote.

 

Autos töten schon, bevor sie in den Straßenverkehr gebracht werden: »Ein 31 Jahre alter Testfahrer ist bei einem Unfall auf der VW-Teststrecke in Ehra-Lessien ums Leben gekommen«, berichtet die Wolfsburger Zeitung vom 13. Juli.

 

»Ein Autofahrer hat eine Oma und ihren kleinen Enkel in einem Wohngebiet der badischen Stadt Gaggenau [auf dem Bürgersteig] überfahren und die Verletzten hilflos zurückgelassen. Die 54-Jährige und der sieben Monate alte Junge starben nach dem Zusammenprall«, so die Nachrichtenagentur dpa am 14. Juli.

 

Die Rettungskräfte kommen kaum noch hinterher: Brennende Autos, eingeklemmte Menschen – die Kräfte der Feuerwehren entlang der Autobahn A2 müssen zu vielen Einsätzen ausrücken. Während ich diesen Artikel schreibe, kommt die Meldung, dass es bei Langenhagen (Region Hannover) wieder zu einem Unfall mit zwei Lastkraftwagen kam. Die ständigen Einsätze bringen die Helfer mittlerweile an ihre Grenzen, berichtet der NDR am 17. Juli.

 

Warum werden in unserem Land über 3200 Verkehrstote im Jahr 2017 fast kommentar- und mitleidslos hingenommen – jedenfalls mitleidsloser als viel weniger Opfer einer Naturkatastrophe? Wenn es mal den Verdacht eines Terroranschlages gibt, dann schlagen viele Politiker_innen Alarm: »Es muss jetzt endlich oberste Aufgabe der Politik sein, unser Leben wieder sicherer zu machen.« Warum werden 3200 Verkehrstote kaum zur Kenntnis genommen? Niemals würden wir – außer dem Auto – eine Technologie akzeptieren, die jährlich weltweit zu Millionen Toten und Verletzten führt!

 

Eine Antwort liegt in der Ideologie von Freiheit, die seit 100 Jahren mit dem Auto vermittelt wird – von den Nazis mit den Autorennen und der Demagogie des »Volkswagens« auf die Spitze getrieben. Die Freiheitsideologie findet auch in Werbung wie der folgenden für den Z4 von BMW ihren Ausdruck: »Dieses Auto macht die Landstraße zur Lustmeile, mit jeder Minute kommen sich Mensch und Maschine näher und irgendwann sind beide eins.«

 

Die Autogesellschaft ist ein rechtes Projekt – wie die linke Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig jüngst mit Zitaten aus einer aktuellen Stunde zu eventuellen Fahrverboten im Bundestag am 2. März 2018 belegte. Sie erklärte: »Angesichts der 6000 vorzeitigen Todesfälle durch das Einatmen von Stickoxid, angesichts der über 3000 Verkehrstoten und über 300.000 Verunglückten, die alleine in Deutschland jedes Jahr zu beklagen sind; angesichts der rund 85 Milliarden Euro, die als ›externe Kosten‹ des Straßenverkehrs der Gesellschaft aufgebürdet werden (der größte Batzen fällt im Gesundheitswesen an) und angesichts der ansteigenden klimaschädlichen CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor, der dramatischen Folgen des Klimawandels für diejenigen, die ihre Lebensgrundlagen durch Dürren oder Überschwemmungen verlieren …, sind diese Aussagen wahrlich borniert und zynisch.«

 

Hannovers Oberbürgermeister Schostok erklärte bei der Vorstellung des Luftreinhalteplans der Stadt vor knapp einem Jahr im September 2017: »Wir wissen, dass eine Vielzahl von Menschen wegen einer zu hohen Stickoxid-Belastung vorzeitig stirbt. Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen, Allergien. Die Folgen sind bekannt. … Es geht um die Automobilwirtschaft. Aushängeschild der deutschen Wirtschaft schlechthin. Hunderttausende von Arbeitsplätzen hängen von ihr ab. Es geht um die Besitzer von Dieselfahrzeugen. Unzählige Menschen, die in ein Produkt vertraut haben. Vertraut darauf, dass es – wie von den Herstellern angegeben – umweltfreundlich und zukunftsfähig ist. Und es geht um das Leben in den Städten. Wenn wir Verkehre ausschließen, laufen wir Gefahr, die Städte lahmzulegen.« Bayerns neuer Ministerpräsident Söder erklärte nach der Verhaftung von Audi-Boss Rupert Stadler wegen Betrugsermittlungen und Verdunklungsgefahr: »Bitte jetzt keine Hetzjagd auf das Automobil!«

 

Derweil subventioniert die Regierung die Autoindustrie und man hat den Eindruck, dass Straßenbau eine Droge sei. »Freie Fahrt zum Tegernsee! Passend zum Ferienstart hat der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Andreas Scheuer, eine Straßenkreuzung im Warngau an der B 318 für den Verkehr freigegeben. Ihr Preis beziehungsweise ihre Kosten:8,9 Millionen Euro. Nach dem aktuellen Bundesverkehrswegeplan soll der bisher »unterdurchschnittlich erschlossene Raum im Nordosten von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt durch zwei Autobahnen (A39 und A14) und eine »Querspange« mit einem Aufwand von mehr als zwei Milliarden Euro vor allem für den Güterfernverkehr »erschlossen« werden. Es wird sich bewahrheiten, was Mobilitätsforscher schon lange wissen und sagen: Der Verkehr folgt dem Straßenbau. Trotz der demagogischen Verknüpfung von Auto und Freiheit würde ein gutes Drittel der Autofahrer_innen auf den öffentlichen Verkehr umsteigen, wenn er besser ausgestattet, kürzer getaktet, besser erreichbar, preisgünstig und unkompliziert zu benutzen wäre zwischen den verschiedenen Trägern.

 

Durch eine Mobilitäts- und Verkehrswende muss dem bisherigen Irrsinn endlich ein Ende gesetzt werden. Nötig sind der Ausbau des öffentlichen und schienengebundenen Verkehrs sowie der Rad- und Fußwege, strikte Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 30 / 90 / 110 Kilometer pro Stunde und eine Begrenzung des Autoverkehrs in vielen Fußgängerzonen, eine Verlagerung des Güterfernverkehrs auf die Schiene. Viele der bei Verkehrsunfällen Getöteten könnten noch am Leben sein.