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Titel1720

Monatsrückblick: Schön und nobel  (Jane Zahn)

»Nichts ist schöner und nobler, als Freiheit und Demokratie zu verteidigen in dem Land, in dem Freiheit und Demokratie erfunden wurden«, findet US-Außenminister Mike Pompeo angesichts der militärischen Präsenz der USA in Griechenland. Schön und nobel? »Das östliche Mittelmeer entwickelt sich zur am stärksten militarisierten Zone der Welt«, sagte US-Admiral James Foggo, Chef der US-Seestreitkräfte in Europa und Afrika beim Sommerseminar des Internationalen Instituts für Strategische Studien in London. (maz, 13.8.20)

 

Vor Kreta operierte Anfang August der Flugzeugträger »Eisenhower«, ein Langstreckenbomber B-52 landete auf der Insel, wie auch diverse senkrecht startende Flugzeuge vom Typ »Fischadler«, geeignet für geheime Sonderkommandos. Griechenland und die Türkei sind im Konflikt um die Ausbeutung von Gasfeldern südlich von Kreta. Die Türkei ist der Meinung, ihr Festlandsockel stoße dort direkt an den von Libyen, weshalb sie bereits mit der libyschen Regierung über die Aufteilung verhandelt, ohne Griechenland zu fragen, das dieses Gebiet ebenfalls hoheitlich beansprucht. Zum militärischen Aufrüsten der Türkei trugen Exporte der Bundesrepublik in den letzten Jahren entscheidend bei, wie Sevim Dağdelen, Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, kritisierte. Jetzt fehlt in dem Konflikt eigentlich nur noch Israel, das ja auch gern hoheitliche Gebiete anderer Staaten beansprucht. Aber dessen Partnerschaft in der Auseinandersetzung mit Erdoğan hat sich Griechenland gesichert.

 

Nicht gesichert ist die Anzahl der Demonstranten am 1. August in Berlin. »20.000 oder 1,3 Millionen« (Berliner Zeitung, 2.8.20) – genauer bekommt man es nicht hin mit dem Zählen der Teilnehmer der Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Alles Rechte und Spinner? »Die dreiste Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen […] durch die Berliner Polizei entspricht in etwa dem Geschwätz von der ›Zusammenrottung einiger weniger Rowdys‹, mit der die DDR-Medien anfangs die Demonstrationen von 1989 klein reden wollten«, ätzte der CDU/CSU-Fraktionsvize Arnold Vaatz. (dpa, 6.8.20) Ich weigere mich nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit Demonstrationen und polizeilichen Zählungen, offizielle Zahlen einfach nachzubeten. Aber ich war nicht dabei, kann mich nur auf Hörensagen berufen. Die für den 29. August angemeldete zweite Auflage der Demo wurde verboten, vom Gericht aber wieder erlaubt: Die von der Ordnungsbehörde geäußerte Erwartung, von der Demonstration gehe eine Gesundheitsgefährdung aus, sieht das Gericht nicht gegeben. Die Veranstalter hätten mit ihrem Konzept, 900 Ordnern und 100 Deeskalationsteams erkennbar für einen geordneten Verlauf vorgesorgt. (https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.982439.php)

 

Die UNO warnt derweil, dass Millionen Kinder wegen der Corona-Krise an Unterernährung sterben werden (zeit-online, 13.7.20). Eine »Katastrophe für eine ganze Generation« seien die Schulschließungen, sagt UN-Generalsekretär António Guterres. Es müsse höchste Priorität haben, die Schüler so sicher wie möglich wieder in den Unterricht zu bringen, »sobald die erste Übertragung des Coronavirus vor Ort unter Kontrolle sei«, mahnte er laut Nachrichtenagentur Reuters (https://de.reuters.com, 4.8.20).

 

Die SPD produziert einen Mediencoup und kürt Olaf Scholz zum Kanzler-kandidaten. »Wir regieren, und das werden wir auch weiter tun. Der Wahlkampf beginnt heute«, und »ich will gewinnen«, meint Scholz, und die Große Koalition sei kein »Normalmodell«. (maz, 11.8.20) »Olaf hat den Kanzler-Wumms«, schrieben die SPD-Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans auf Twitter (10.8.20). Wie ist das noch mal mit Zahlen? In Umfragen liegt die CDU mit 38 Prozent uneinholbar vorn, dann kommen Bündnis90/Die Grünen mit 18 Prozent und dann erst die SPD mit 14 Prozent der Stimmen. (Forsa, 3.–7.8.20) Bis jetzt wurde Olaf Scholz immer als Politiker mit Maß und Augenmaß gehandelt.

 

Jedes Augenmaß verloren zu haben scheint der Präsident von Belarus, Lukaschenko. Er halluziniert ein Wahlergebnis von 80 Prozent für sich und hat mit Polizei und Militär auch die Möglichkeiten, seine Zählweise durchzusetzen. »Es wird keinen Maidan geben, egal wie sehr jemand das will.« (maz, 11.8.20) Da hat er sicher recht: In Minsk gibt es keinen »Maidan«-Platz. Aber Unzufrieden-heit mit der schlechter werdenden Wirtschaftslage schon. Wie weit es dem interessierten Ausland gelingt, einen Aufstand gegen Lukaschenko daraus zu machen, ist fraglich – auch, wie weit das politisch gewollt sein könnte. Bisher war Belarus als Seiltänzer zwischen Russland und dem Westen recht beliebt, alle drei hatten wirtschaftliche Vorteile davon und konnten Sanktionen umgehen. Andererseits gibt es in Belarus weder ein Industriezentrum wie den Donbass noch eine historisch bedeutende Ferienhalbinsel mit Marinestützpunkt wie die Krim. Und schon die Investitionen in die Ukraine bleiben politisch umstritten und unsicher. Ob also ein weiterer Konfliktherd im Interesse der USA liegt? Augenmaß auf allen Seiten ist Belarus jedenfalls zu wünschen. Wohin Destabilisierung führt, ist inzwischen von anderswo bekannt.

 

Die EU warnte vor einer »destabilisierenden Wirkung« der Ereignisse in Mali auf die gesamte Region »und den Kampf gegen den Terrorismus« in Westafrika. Auch Angela Merkel verurteilte den Putsch. (ntv.de, 24.8.20) Dass die Bevölkerung den Militäraufstand gegen den langjährigen Präsidenten unterstützt, ist im Fall Mali nicht erwähnenswert, Mali ist schließlich nicht Belarus. Und französische und deutsche Truppen sind schon da. Dass sie die Sicherheit in Mali stabilisiert hätten, kann allerdings nicht behauptet werden.

 

In Bolivien hat die Putsch-Regierung den Wahltermin weiter verschoben auf den 18. Oktober und weitere Oppositionelle wegen Terrorismus angeklagt. Streiks und Straßensperren der Bevölkerung gehen weiter, während das Regime brutal gegen sie vorgeht. Irgendwelche Boykottaufrufe oder auch nur Proteste aus den USA oder der BRD sind nicht eingegangen.

 

In Brasilien hat eine Untersuchung der Oswaldo-Cruz-Stiftung ergeben, dass bereits vor der Karnevalzeit Covid 19 im Land angekommen war und für Todesfälle gesorgt hatte. Die Verbreitung hätte mit einem Verbot der Umzüge gestoppt werden können – aber Brasilien ohne Karneval? Das ging ja nicht mal im Rheinland! Jetzt sind dort vor allem die Busfahrer einem hohen Infektionsrisiko (71 Prozent) ausgesetzt, da die Buslinien privatisiert sind und keine Maßnahmen zum Schutz der Fahrer getroffen wurden: Die Brasilianer sind nach wie vor darauf angewiesen, mit Bussen zur Arbeit gefahren zu werden. (jW, 11.8.20)

 

Muss Andreas Kalbitz (Ex-AfD, Ex-Fraktionsvorsitzender der AfD in Brandenburg) demnächst nicht mehr zur Arbeit in den Landtag fahren? In Medienberichten wird darüber spekuliert, ob die Polizei mit Kalbitz eine Gefährderansprache geführt habe. Eine solche Ansprache sei präventiv üblich, »wenn der Polizei bekannt wird, dass jemand für sich selbst oder für andere eine potenzielle Gefahr sein könnte. Die Polizei will damit erreichen, dass die Person weiß, dass die Behörden ihn oder sie im Blick haben«. (Berliner Zeitung, 23.8.20) Nach einem »freundschaftlichen« Schlag in die Seite des amtierenden Brandenburger AfD-Fraktionschefs Dennis Hohloch hat dieser einen Milzriss davongetragen, und im Landtag soll die Angst umgegangen sein, dass weitere Schläge zu erwarten seien. Nun, Kalbitz‘ Ruf als Rechtsextremer wird das nicht schaden. Nichts ist schöner und nobler als ein Schlag unter Freunden!