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Titel1808

Friedrich Flick  (Anne Dessau)

Ein Mann, der Bewunderung und Gänsehaut auslöst. So oder ähnlich steht es in manchen Texten zur Person.

Mit Schrottaufkäufen fing Friedrich Flick an, nutzte den Rüstungsboom des 1. Weltkrieges, die darauf folgende Inflation begünstigte den Erwerb von Kohlegruben und Stahlwerken. Er gründete die Vereinigten Stahlwerke. Als die Weltwirtschaftskrise sein Unternehmen bedrohte, verkaufte er es zum Vierfachen des Marktpreises an die Regierung Brüning. Wahlspenden sicherten seine Position. Mit seinem Geldsegen verhalf er Hitler und der NSDAP zur Macht und vergrößerte damit seine eigene. Aus dieser Konstellation ergaben sich weitere Vorteile. Die Nazis bereiteten ihren Krieg vor. Flick baute die Flugzeuge, stellte Bomben und Granaten her.

Hitler enteignete die Juden – zum Nutzen für Flick, der jüdische Betriebe zum Spottpreis aufkaufte. Göring im Bunde. Flick war Mitglied in vielen wichtigen Aufsichts- und Verwaltungsräten und entscheidend beteiligt an der Ausbeutung der Rohstoffvorkommen in der Ukraine und anderen Teilen der Sowjetunion. Zur Beschleunigung seiner Produktion wurden Zwangsarbeiter aus Osteuropa und den Konzentrationslagern in seine Betriebe geschleust. Unterernährung, brutale Behandlung, Stacheldraht und Kälte waren ihr Lohn. Fotos zeigen Verzweifelte tot auf den Schienen des Werkgeländes. Der Tod der Verbannten war Programm.

Am Ende des Krieges betrug Flicks Vermögen zwei bis drei Milliarden Mark. Dann kam es anders. Zitat: »Hatte der Konzern ehedem die mitteldeutsche Montanindustrie nahezu monopolistisch beherrscht, so zählt er im Nachgang des verlorenen Krieges zu den größten Verlierern der alliierten Zonenaufteilung. Mit den Werken in Ost-Berlin, Brandenburg, Thüringen, Land und Provinz Sachsen sowie den nunmehr polnischen Gebieten hatte der Konzern schon zum Jahreswechsel 1945/46 rund drei Viertel seiner Vermögensmasse eingebüßt. (...) Entsprechend sah man sich in der Flickschen Konzernspitze als Geschädigte.«

Bis zu seinem Tode verweigerte Flick eine Entschädigung an die Opfer und deren Familien. »Das würde einem Schuldgeständnis gleichkommen«, sagte der Mann mit der reinweißen Weste.

Am Ende des 2. Weltkrieges ist Flick die Nr. 3 auf der Liste schuldiger Industrieller. Er verlagert den Firmensitz in den Westen, läßt Belastendes vernichten. In Nürnberg wird er zu sieben Jahren Haft verurteilt. Begründung: Sklavenarbeit, Ausplünderung besetzter Gebiete, Teilnahme an SS-Verbrechen. Bereits 1950 verfügt US-Hochkommissar McCloy seine Entlassung.

Aufwärts geht’s. Flick ist immer noch der reichste Mann Deutschlands. Trotz hoher Einbußen, trotz der Restitutionsansprüche enteigneter jüdischer Firmeninhaber. Skandalös, trickreich sorgen seine Prozeßvertreter für eine »verhältnismäßig geräuschlose Abwicklung«. 1963 erhält Flick das Bundesverdienstkreuz und Ehrenbürgertitel; Stadien und Schulen tragen seinen Namen. Bei seinem Tod 1972, 91 Jahre alt geworden, hinterläßt Flick 330 Unternehmen mit 300.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund 18 Milliarden Mark.

»Dieselbe funktionale Effizienz, die es einer überwältigenden Mehrheit der deutschen Manager erlaubt hatte, die nationalsozialistische Wirtschafts-, Ausbeutungs-, Kriegs- und Vernichtungspolitik nahezu bis zur letzten Minute mitzutragen, um die eigenen Unternehmensinteressen wahren zu können, bildet auch die Brücke, über welche selbsternannte ›Wirtschaftskapitäne‹ ungerührt in die zivile Wirtschaftswundergesellschaft und demokratische Nachkriegsordnung gingen.« Mit diesem bemerkenswerten Satz endet der Wirtschaftskrimi des Autorenteams. Er müßte nahtlos fortgesetzt werden. Zum Beispiel mit der Darstellung der Flick-Spendenaffäre. Gelder flossen an Kohl, Scheel, Strauß, Graf Lambsdorff, Schäuble und andere. Weil Parteienfinanzierung »so schwierig sei«, wurde der ungeheuerliche Vorgang als »Kavaliersdelikt« behandelt, was im Verlauf des Prozesses zu einem »Amnestiegesetz« führte. Richter Hans Henning Buchholz: »(...) nahezu alle Zeugen (...) fielen durch ihr schlechtes Erinnerungsvermögen auf .«

Friedrich Flick ist eine Schlüsselfigur für die Geschichte des Nazi-Staates und für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum Verständnis des Staates, in dem wir leben, wäre das Buch »Der Flick-Konzern in der Bundesrepublik« dienlich. Die vorliegende Arbeit schildert die Vorgeschichte.

Johannes Bär, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim C. Priemel, Harald Wixforth: »Der Flick-Konzern im Dritten Reich«, Institut für Zeitgeschichte, Oldenbourg Verlag, 1018 Seiten, 64.80 €.