erstellt mit easyCMS
Titel1809

Unternehmerische Gesetzgebung  (Martin Kutscha)

Hans See und Otto Meyer haben in Ossietzky 16/09 kritisiert, daß Ministerien Anwaltskanzleien und die Privatwirtschaft damit beauftragen, Gesetzentwürfe herzustellen. Ich dagegen plädiere dringend für eine solche unternehmerische Gesetzesproduktion. Der kurze, gerade Weg der Gesetzgebung hat mancherlei Vorzüge und ist ausbaufähig.

Ein tüchtiger Rechtsanwalt ist zu vielem fähig, zumal wenn er in einer internationalen Großkanzlei beschäftigt ist und daher ein weit geöffnetes Ohr für die Wünsche der Wirtschaft erwarten läßt. Da liegt es doch nahe, solchen Anwälten auch die Produktion von wichtigen Gesetzestexten anzuvertrauen. Privat ist allemal besser als Staat, das wissen wir doch von unseren Vorbetern in Politik und Medien. Die Ministerialbeamten, die früher für die Anfertigung von Gesetzentwürfen zuständig waren, sind bekanntlich träge und arbeiten ineffektiv. Darüber hinaus könnten sie, gesetzlich auf das Gemeinwohl verpflichtet, möglicherweise versucht sein, den Wirtschaftsinteressen nicht immer den ihnen gebührenden Vorrang einzuräumen. Wo kämen wir da hin?

Inzwischen hat schließlich auch die Wissenschaft erkannt, daß es sich bei den Gesetzen genauso um ein »Produkt« handelt wie bei fast allem auf der Welt, von der Tüte Popcorn bis zur Festnahme eines Verbrechers durch die Polizei, auch die »humanitäre Intervention« in Form der Bombardierung des Territoriums eines anderen Staates durch die Bundeswehr und vielleicht auch der Geschlechtsakt. Und da nun einmal die Ökonomie die Welt beherrscht, sollten Gesetze nicht länger als Versuch politischer Gestaltung zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen oder gar als Ausdruck von Volkssouveränität verstanden werden, wie der selige Immanuel Kant sich das vorsstellte. Nein, Gesetze sind Regeln, die den obwaltenden Sachzwängen der weltweiten Ökonomie Rechnung tragen sollen, und dazu gibt es keine Alternative, wie schon Maggie Thatcher wußte. Da es ja nur um das Erkennen und Berücksichtigen solcher Sachzwänge geht und nicht etwa um das Realisieren politischer Visionen (für deren Behandlung nach Helmut Schmidt ohnehin der Arzt zuständig sein soll), ist die Gesetzesproduktion denn auch am besten in den Händen eilfertiger und geschickter Wirtschaftsanwälte aufgehoben. Und 1,1 Millionen Euro für die »externe Beratung« zum Beispiel für ein Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes ist doch ein Schnäppchenpreis, verglichen mit den Milliarden für die Bankenrettung.

Aber warum sollten wir bei der Produktion von Gesetzentwürfen durch Anwaltskanzleien stehen bleiben? Wäre es nicht konsequent, auch die Verabschiedung der Gesetze selbst in die verantwortungsvollen Hände der führenden Wirtschaftsunternehmen zu legen? So könnten beispielsweise die großen Energieunternehmen bei der Neuformulierung des Atomgesetzes ihre Sachkunde vollauf zur Geltung bringen. Und beim Nichtraucherschutz sollten die Kenntnisse der Tabakindustrie endlich die entscheidende Rolle spielen. Auch im Lebensmittelrecht sollte das Prinzip der Selbstregulierung etwa durch die großen Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetriebe Platz greifen. Staatliche Kontrolle ist von gestern, schließlich soll der mündige Verbraucher selbst entscheiden können, was er kauft und was nicht. Vor allem aber würde eine solche unternehmerische Gesetzgebung erhebliche Einspareffekte bewirken: Bundestag und Bundesrat könnten abgeschafft werden, und der ganze Rummel um die Parlamentswahlen würde wegfallen. Die Straßen würden nicht mehr mit den unattraktiven Politikerkonterfeis auf zahllosen Wahlplakaten verschandelt, sondern könnten wieder durch die Präsentation der neuesten Handy-Modelle, Zigarettenschachteln und McDonalds-Sonderangebote den Konsum ankurbeln und zur ästhetischen Bereicherung beitragen. Schließlich würde auch die mühselige Arbeit der Lobbyisten bei den Mitgliedern der Volksvertretung überflüssig, und die unverständliche Empörung mancher Zeitgenossen über Konzernvertreter als Mitarbeiter in Bundesministerien würde gegenstandslos.

Für eine solche Reform der Gesetzgebung müßte freilich das Grundgesetz geändert werden. An die Stelle der Art. 76 ff. mit ihren für den Normalbürger kaum nachvollziehbaren Verfahrensregelungen könnte eine einfache und klare Bestimmung treten, wonach die Gesetze des Bundes von den Vorstandsmitgliedern aller auf dem Deutschen Aktienindex (DAX) gelisteten Unternehmen mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Das bisher unter anderem für die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zuständige Bundesverfassungsgericht könnte dann auch gleich abgeschafft werden – immerhin hat es sich in der Vergangenheit erfrecht, bestimmte mit Mehrheit beschlossene Regelungen wie zum Beispiel die Ermächtigung zum »Rettungsabschuß« von Flugzeugen einfach für unvereinbar mit der Menschenwürdegarantie zu erklären und damit das Ansehen der Bundesregierung zu untergraben. An die Stelle des Bundesverfassungsgericht könnte als Berufungsinstanz die Bundesbank treten; diese ist ja schon jetzt von demokratischer Kontrolle befreit (Art. 88 GG) und bei ihren Entscheidungen ausschließlich an den Sachgesetzlichkeiten des Finanzmarktes orientiert.

Die für die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit ergibt sich möglicherweise nach der Bundestagswahl durch eine schwarz-gelbe Regierungskoalition. Die Grünen waren schon immer gegen den Staat, könnten also auch für diese Reform zu gewinnen sein. Fraglich ist nur, ob die schrumpfende SPD dabei mitspielt. Den kritischen Tönen im laufenden Wahlkampf zum Trotz, hat sie sich immerhin schon während ihrer »rot-grünen« Regierungszeit durch die Deregulierung des Finanzmarktes bleibende Verdienste für die Freiheit des deutschen Unternehmertums erworben.