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Titel1815

Festspielzeit-Stadt  (Dieter Braeg)

Es gibt Oster- und Pfingst-Festspiele, und im Juli/August die Festspiele. Nur die Mozartkugel beherrscht das ganze Jahr all jene geschmacklosen Souvenirläden Salzburgs, für die man möglichst viele unterirdische Parkplätze braucht, damit der Einkaufsbummel der »Kulturtouristen« nicht zu weit vom eigenen PKW-Parkplatz stattfinden kann. Von Georg Trakls Gedicht »In der Stille tun sich eines Engels blaue Mohnaugen auf« bleibt nicht viel. Hier lebend, flüchtet man und hat kaum noch Begeisterung etwa für die Steingasse oder den St. Peters-Friedhof oder den von mir geliebten Sebastians-Friedhof in der Linzer Gasse.

Dort erinnert eine Gedächtnisstätte an »Philippus Theophrastus Paracelsus, der durch die Alchemie einen so großen Ruhm in der Welt erworben hat …, der berühmte Doktor der Medizin, welcher auch die schrecklichsten Wunden, Lepra, Podagra und Wassersucht und andere unheilbar scheinende Krankheiten durch seine wunderbare Kunst heilte. Und es brachte ihm auch Ehre ein, dass er sein Hab und Gut unter den Armen verteilen ließ. Im Jahr 1541 am 24.9. vertauschte er das Leben mit dem Tod.«


Das Festspiel-Drumherum mit seinen feinen Festspiel-Speisekarten und den »Saison-Höhepunkt-Übernachtungspreisen« füllt die Kassen der Besitzenden, denen die Salzburger Hochkultur Jahr für Jahr Höchstpreise beschert und die ihr Personal bei weniger als 1500 Euro brutto im Monat – samt unbezahlten Überstunden – in Salzburger Schnürlregen oder Sommerhitze stehenlassen, denn bei dieser Bezahlung kann sich der Mensch in Salzburg keine Wohnung leisten. Noch schlimmer trifft es die, die keine Arbeit finden können, und so trifft der Vers: »Ein jeder Mensch hat sei‘ Kultur/ Dem Volk steht nur die niedre zua,/ doch d’ besser’n Leut zieht’s von Natur/ trara trara zur Hochkultur«, geschrieben im Jahre 1977 von Fritz Herrmann, jenen Nagel auf den Kopf, der das Betteln und das Bettlerproblem betrifft, das in Salzburg nicht nur während der Festspielzeit verhindert wird. Hier die Meinung eines nicht genannt werden wollenden Leserbriefschreibers auf der Internetseite der Salzburger Nachrichten:
»Bettlerunwesen in Salzburg. Nach meinem gestrigen Besuch der Salzburger Altstadt, zusammen mit Freunden aus dem Ausland, musste ich wieder feststellen, wie arg das Bettlerunwesen sich weiter ausbreitet. Als Einheimischer muss man sich schämen, diese Stadt Besuchern vorzustellen. An jeder Ecke sitzt ein Bettler in der Getreidegasse, einer sogar mit seinem Hund auf dem Gehsteig, so dass man auf die Fahrbahn treten muss. In der ganzen Innenstadt ist kein Polizist anzutreffen, der für die geringste Ordnung sorgt. Die Bettler werden mit ihren Privilegien – zum Beispiel Wohnmöglichkeit und Verpflegung – direkt aus anderen Ländern angezogen ... Man hat die Lust verloren, in der Stadt einzukaufen, möchte sein Geld woanders ausgeben … Bei meinen Aufenthalten in Linz und Wien stellte ich fest, dass diese Städte das Bettlerwesen wesentlich besser im Griff haben.«


Dort, wo eine Fußgängerzone – wenn es sein muss – plötzlich eine Fahrbahn hat und der ständig ausverkaufte »Jedermann« auf dem Domplatz nicht zur Hölle fahren muss, wohin er samt all dem Festspiel-Rummel hingehörte, da wird den Armen das Recht verweigert, ihre Armut handaufhaltend zu zeigen. Ihnen ist der Zugang zu jenen Kulturgütern, die einst von Menschen – von Salzburgs Erzbischöfen ausgebeutet – erbaut wurden, verboten. Wer – nicht nur während der Festspielzeit – in Salzburg als Armer betteln muss, dort, wo das Spiel der Reichen »Sehen und gesehen werden« stattfindet, der hat da Bettelverbot.


Dieses Jahr gab es in der Felsenreitschule die »Dreigroschenoper«. Wieso die Brecht-Erben samt der Weill-Foundation dieser »einmaligen Experimentalfassung« mit einer neuen Orchestrierung, die Martin Lowe (»Musical-Experte«, siehe www.salzburgerfestspiele.at/biografie/artistid/13445) zu verantworten hatte, zustimmten, ist nicht nur mir ein Rätsel.


Brecht wollte mit dem Stück die Hierarchie und Ordnung der Welt auf den Kopf stellen, um die Vernichtung der bürgerlichen Ordnung voranzutreiben; das ist mit dieser Inszenierung von Julian Crouch und Sven-Eric Bechtolf nicht geglückt. Wer da Haifisch erwartet, kriegt höchstens eine Flunder geboten, und der »Musical-Experte« schafft es tatsächlich, aus Kurt Weills dissonanter Musik mit Saxofon-Jazz, Showtrompeten, Kirchen-Harmonium und Janitscharenmusik –- Brecht nannte sie »Misuk« – einen weichgespülten Schmarrn mit Klangsauce zu servieren. Ja, es war fein, wie etwa Sona MacDonald die Seeräuber-Jenny sang, und Sierk Radzei als Polizeigeneral Tiger Brown bietet einen überragenden »Kanonen-Song«. Ärgerlich ist Graham F. Valentine als Bettlerkönig Peachum, der das »R« dämonisch rollt, dazu gibt’s ein nasales »A« samt tiefst gutturalem »O«. Adolf Hitler lässt grüßen. Grässlich! Na gut, die Felsenreitschule wird zu einem London der Armut und bietet Augenschmaus, aber ansonsten hätte der Salzburger Gemeinderat, der am 20. Mai 2015 ein »sektorales Bettelverbot« beschloss, auch diese »Dreigroschenoper« aus dem Festspielbezirk verbannen sollen.


Kurz sei erwähnt, dass die Firmen Nestlé und Siemens Sponsoren der Festspiele sind und die Präsidentin keine Probleme damit hat, wie beide Betriebe mit Arbeitsplätzen umgehen oder Nestlé agiert. (Bei der von foodwatch initiierten Online-Wahl zum Goldenen Windbeutel 2014 waren 45,8 Prozent von mehr als 158.000 Stimmen auf die Alete-Trinkmahlzeiten von Nestlé entfallen. Dazu die Affäre um angeblich mit Blei belastete Maggi-Nudeln in Indien: Die indische Regierung fordert vom Lebensmittelkonzern Nestlé 90 Millionen Euro Schadensersatz.)


Damit der Schund auch jenen glitschigen Kultur-Eiterkitsch entwickelt, den sich Festspiel-Salzburg Jahr für Jahr unredlich verdient, schreibt Ljudmilla Ulitzkaja, der man den österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur verliehen hat, laut der Übersetzung von Ganna-Maria Braungardt im Spiegel (34/2014): »Salzburg, eine zauberhafte Schatulle, eine ideale Touristenstadt, in der die Zeit stehen geblieben scheint – die Fantasie malt das nostalgische Bild eines ausgestorbenen schönen Lebens. Die grünlich schimmernde Salzach, schroffe Felswände, die Burg hoch über der Stadt, Klöster und Kirchen, die Universität – das alles ist genauso wie im Mittelalter. Eine mythische Stadt, ein Phantom, ein Fantasieort ... Auf der Straße ein paar als Mozart verkleidete Bettler mit synthetischer Perücke und kleiner Geige, aber auch Bettler ohne Verkleidung, Roma aus Osteuropa. Nur sie erinnern an die Gegenwart.«


Und kaum ist die schöne Festspielzeit vorbei, freut sich alles auf den nächsten Buden-Zauber: den Christkindlmarkt ab 1. Dezember. Wo? Überall. Vom Mirabellenplatz bis hoch zur Festung riecht es nach Billigglühwein, und Wolfgang Haider, Obmann des Vereins Salzburger Christkindlmarkt, versucht, den Marktbereich derzeit frei von Bettlern zu halten – gemäß dem Hausrecht, wie er sagt. Die Besucher würden von diesen Leuten angesprochen. Das sei aggressives Handeln.


Hier mein Verhaltenskodex-Vorschlag für Besucherinnen und Besucher des Salzburger Christkindlmarktes: Erstens: Unterlassen Sie es, Ihnen nicht bekannte Personen anzusprechen. Es droht ein Platzverweis wegen aggressiven Verhaltens. Zweitens: Vergessen Sie umgehend den ursprünglichen Grund der Adventszeit – für Sentimentalitäten ist kein Platz am Platz. Drittens: Vergewissern Sie sich vor Betreten des Platzes, ob Sie genügend Scheine mitführen, denn am Platz regiert die Scheinheiligkeit.