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Titel1817

(Keine) Ehe für alle?  (Urte Sperling)

Mit der Ermöglichung der »Ehe für alle« scheint die Alleinverbindlichkeit der patriarchalen Form der Familie hierzulande endgültig beseitigt, die Institution selbst aber neu legitimiert. Allen konservativen, religiös-fundamentalistischen und anderen reaktionären Protesten zum Trotz kann mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es sich nicht um eine Eintagsfliege handelt. Die »Ehe für alle« gilt zwar nicht wirklich für alle im Wortsinn: Polygamie, Geschwisterehe und Ehen von Nicht-Volljährigen sind nicht gemeint. Auch die Entdiskriminierung von intersexuellen Individuen wurde weggelassen, obwohl bereits 2013 das Personenstandsrecht zu ihren Gunsten geändert worden ist.

 

Die neue Regelung liegt unter anderem deshalb im Trend, weil sie gut zu den reproduktionsmedizinischen Zukunftstechnologien passt. Diese ermöglichen, was bis Ende des vorigen Jahrhunderts noch undenkbar war: dass lesbische oder schwule Paare nicht nur Kinder adoptieren können, sondern mit »eigenem« genetischen Material und mit Hilfe von Leihmüttern oder Samenspendern, mit denen sie keine intime Beziehung eingehen, Kinder zur Welt bringen oder bringen lassen und sich dies gesellschaftlich toleriert als Dienstleistung kaufen können. Die Neuregelung des Adoptionsrechts schafft Eindeutigkeit in der bereits gelebten Vielfalt »sozialer Elternschaft«; ins Reich der Regenbogenfamilien zieht staatliche Ordnung ein. Die Jahrhunderte alte zunächst religiös, später biologistisch begründete und sentimental essentialistisch aufgeladene Familienideologie (Familie = Vater, Mutter, Kinder, Verwandtschaft als »Keimzelle der Gesellschaft« auf der Basis von »Blutsbanden«) wird uminterpretiert zu einer auf Dauer angelegten Partnerschaft zweier Individuen, die füreinander und für »eigene« oder adoptierte Kinder Sorge und Verantwortung verbindlich übernehmen und sich das vom Staat und – wenn gewünscht – auch von der Kirche anerkennen und gegenüber Unverheirateten begünstigen lassen können.

 

Schwule und Lesben kämpften zunächst gegen die Strafverfolgung, Ächtung und Diskriminierung der Homosexualität. Erst als die entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches gestrichen waren, ging es um das Recht auf »Ehe für alle«. War einst noch vom Ehejoch die Rede, unter das niemand sich nur freiwillig begab, wurde nun die Institution der Ehe aus einem patriarchalen und als spießig verpönten Relikt zum Objekt der Begierde. Steuerliche Privilegien, Elterngeld, gegenseitige Versorgungsansprüche – alles, was das Familienrecht zur Förderung der »Keimzellen der Gesellschaft« bereithält, sollte nun allen zugänglich sein, die sich verbindlich »verpartnern« wollten, und dies soll der standesamtliche Trauschein besiegeln.

 

Sozial lassen sich die Protagonist*innen dieser Forderung bei den Mittelschichten verorten. Wer mit Hartz IV auskommen muss oder zu den prekären »working poor« zählt, wer sich als alleinerziehende »Ein-Elternfamilie« durchschlägt, dem dürfte diese Modernisierung des Ehe- und Familienrechts meist herzlich egal sein. Ein bitteres Gefühl kann sich bei diesen Menschen einstellen: Die mit ihnen befassten Ämter suchen ihnen oft »Bedarfsgemeinschaften« nachzuweisen, denen die Zuwendungen gekürzt werden können. Gehen sie eine Ehe ein, werden sie damit verbundene steuerliche Vorteile dann nicht erhalten, wenn sie mangels Masse ohnehin nicht zur Einkommensteuer veranlagt sind.

 

Während im öffentlichen Bewusstsein patriarchale Unterdrückung nurmehr »muslimischer Rückständigkeit« zugeordnet wird, bleibt der Kampf um das Recht auf Ehe vor allem für jene in die Jahre gekommenen Zeitgenoss*innen irritierend, für die die patriarchale Vorgeschichte von Familie und Ehe in der »westlichen Welt« noch nicht in Vergessenheit geraten ist. Seit den 1920er Jahren galten das Zusammenleben ohne Trauschein, die »Kameradschaftsehe« ohne kirchlichen und standesamtlichen Segen als progressiv. Feministinnen hatten einiges zu bewegen und zu veranstalten, bis die Gleichberechtigung schließlich auch in der Ehe gelten sollte.

 

Es gab zahlreiche Modelle des Zusammenlebens ohne Ehe und Familie, kommunistische, sozialistische, genossenschaftliche Formen des Zusammenlebens in Wohngemeinschaften, Kommunen, Kibbuzim et cetera mit geteilter Verantwortlichkeit für Kinder und Alte. Bei »den 68ern« kümmerten sich auch manche »Genossen«, die keine »Samenväter« waren, um die Kinder. Damals entstanden selbstverwaltete Kinder- und Schülerläden, die mit dem Konzept »antiautoritärer«, herrschaftsfreier Erziehung und einem demokratischen Miteinander von Eltern und Kindern verbunden waren. All dies galt als explizites Gegenbild zur (klein-)bürgerlichen Kleinfamilie mit ihren patriarchalen Relikten und repressiven Strukturen.

 

Diese Konzepte waren – in anarchistisch-libertärer Version – Teil der Vorstellung, dass alle Einkünfte der jeweiligen Kommune oder Genossenschaft zusammengetan und davon für alle gesorgt werden solle. Dass homosexuelle Paare nun so versessen darauf sind, zu heiraten, hängt wohl auch mit dem Scheitern oder der temporären Begrenztheit vieler »alternativer Lebensformen« zusammen, die in ein Konzept gesamtgesellschaftlicher Veränderung eingebettet waren. Die Anhänger*innen der »Ehe für alle« haben nichts gegen den Staat, wenn er nur die Diskriminierung bestimmter sexueller Orientierungen abschafft. Sie wollen ein »normales« (klein-)bürgerliches Familienleben – mehr nicht. Und sie passen exakt in die bevölkerungspolitischen Ziele der Eliten, denen angesichts der viel beschworenen demographischen Überalterungsgefahr sehr daran gelegen ist, die »Richtigen« die Kinder bekommen, die zur Rentensicherung gebraucht werden.

 

Anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes, das als »Ehe für alle« popularisiert wird, erinnerte ein Kommentator der Frankfurter Rundschau, der einst mit der Sponti-Szene verbunden war, an die Aufbruchszeiten und fragte: Warum nicht lieber »keine Ehe für alle«?

 

Warum nicht die Abschaffung einer ursprünglich patriarchalen Institution zugunsten einer Förderung und Unterstützung aller Individuen, die freiwillig miteinander leben, füreinander und für Kinder sorgen wollen – egal, ob »eigene« oder »adoptierte«?

 

Darauf gibt es wohl zwei Antworten. Nicht nur die kommunitären Konzepte sind out, sondern auch die ultra-liberalistischen. Auch Singles können vereinsamen und verarmen. Der Sozialstaat ist ausgedünnt, Einzelgänger*innen schaffen es nicht immer, sich finanziell und emotional durchzuschlagen, und müssen oft froh sein, vor den Frösten der Freiheit Zuflucht in ein ganz klein wenig auch staatlich geschützter Zweisamkeit zu finden.