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Rechter Schulterschluss in Chemnitz  (Ulla Jelpke)

Die Ermordung eines Chemnitzer Familienvaters am Rande eines Stadtfestes hat zu tagelangen Protesten eines rassistischen Mobs in der sächsischen Stadt geführt. Als dringend Tatverdächtige, die Daniel H. mit mehreren Messerstichen getötet und zwei seiner Begleiter schwer verletzt haben, wurden zwei aus Syrien und dem Irak Geflüchtete in Untersuchungshaft genommen.

 

Was in der Berichterstattung oft untergeht: Das Mordopfer Daniel H. war weder Hooligan noch AfD-Anhänger, sondern Antifaschist. Auf seiner Facebook-Seite bezeichnet Daniel H., der als Tischler arbeitete, seine Heimatstadt konsequent als Karl-Marx-Stadt, das Logo »Fuck Nazis« findet sich dort ebenso wie die Aussage: »Die Nationalität ist völlig egal! Arschloch bleibt Arschloch!« Daniel H. outete sich zudem als Fan linker Punkbands wie Slime und als Sympathisant der Linkspartei. Daniel H.s Vater stammte aus Kuba, wegen seiner dunkleren Hautfarbe war Daniel nach Angaben von Freunden selbst rassistischen Anfeindungen ausgesetzt.

 

Dies ungeachtet missbrauchten rechtsextreme Gruppierungen umgehend die Trauer über den Tod von Daniel H. für eine rassistische Mobilmachung gegen Flüchtlinge und Migranten. Noch am Sonntag, dem 26. August, kam es im Umfeld einer spontanen Demonstration der extrem rechten Fußballfantruppe »Kaotic Chemnitz« mit rund 1000 Teilnehmern zu regelrechten Treibjagden auf Migranten. Am darauffolgenden Montag zogen dann etwa 7000 Neonazis, NPD-, AfD- und Pegida-Anhänger, »Reichsbürger« und Hooligans durch Chemnitz. Dabei gab es zahlreiche Übergriffe auf antifaschistische Gegendemonstranten, Journalisten und Migranten, aber auch Polizisten. Immer wieder zeigten Demonstranten offen den Hitlergruß. Der Verfassungsschutz hatte vor »überregionalen Anreisebewegungen« »rechtsextremer« und gewaltbereiter Gruppierungen gewarnt. Dennoch war die sächsische Polizei, die sonst bei kleineren antifaschistischen Kundgebungen wie vor einem Jahr in Wurzen schon mal Sondereinsatzkommandos mit Kriegswaffen aufmarschieren ließ, lediglich mit 600 völlig überforderten Beamten vor Ort. Viele Beobachter waren sich einig, dass die personell völlig unterbesetzte Polizei das staatliche Gewaltmonopol verloren hatte und die temporäre Bildung einer »national befreiten Zone« in der Innenstadt von Chemnitz zulassen musste. Erst am Donnerstag, als der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer zum Bürgerdialog nach Chemnitz kam, war die Polizei stärker vertreten. Ebenso dann am folgenden Samstag, an dem AfD, Pegida und die extrem rechte Wählervereinigung Pro Chemnitz zu neuen als »Trauerzügen« getarnten Aufzügen aufgerufen hatten.

 

In Chemnitz ließ die selbsternannte »Rechtsstaatspartei« AfD, die in der Vergangenheit zumindest noch pro forma Abgrenzungsbeschlüsse gegen NPD und Identitäre hochhielt, alle Hüllen fallen und übte offen den Schulterschluss mit der militanten Rechten. Der AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland legitimierte die rassistischen Treibjagden von Chemnitz. »Wenn eine solche Tötungstat passiert, ist es normal, dass Menschen ausrasten«, erklärte Gauland gegenüber der Tageszeitung Die Welt. Gauland sah auch keinen Grund, sich vom AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier zu distanzieren. Dieser hatte über den Kurznachrichtendienst Twitter erklärt: »Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber […] Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende ›Messermigration‹ zu stoppen!« Es handele sich um einen Aufruf zur »Selbstverteidigung«, kam Gauland dem daraufhin in der Kritik stehenden Abgeordneten zur Hilfe.

 

AfD-Anhänger und Mitglieder, darunter Vorstandsmitglieder, Abgeordnete und Kommunalvertreter, demonstrierten Seite an Seite mit den Neonazis der NPD und uniformierten Anhängern der Partei »Der III. Weg«. Letztere Kleinpartei dient als Auffangbecken für verbotene Nazikameradschaften, auch verurteilte Rechtsterroristen bewegen sich in ihrem Umfeld. Zum vermeintlichen Trauermarsch eine Woche nach der Bluttat hatten die thüringischen, brandenburgischen und sächsischen AfD-Landessprecher Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Jörg Urban gemeinsam mit Pegida aufgerufen. »Keine Extremisten und Gewalttäter«, forderte Höcke – selbst Vordenker des offen völkischen »Flügels« seiner Partei – zwar im Vorfeld auf seiner Facebook-Seite. Es dürfte sich dabei aber klar um ein Täuschungsmanöver gehandelt haben. Denn eine Stunde vor AfD und Pegida hatte Pro Chemnitz eine weitere Demonstration angemeldet, die wie bereits am Montag zuvor zum Sammelpunkt offener Neonazis wurde. »Der Plan war und es war so angemeldet, dass wir dann hier langkommen und uns dann quasi vereinigen mit den beiden Demonstrationszügen«, gestand Pro-Chemnitz-Frontmann Martin Kohlmann am Rande der Demonstration gegenüber dem ARD-Magazin Monitor. Entsprechend marschierten am Samstag wie schon fünf Tage zuvor AfD, Pegida und offene Neonazis Seite an Seite durch Chemnitz. Nicht nur Kohlmann, der als rechter Szeneanwalt »Reichsbürger« und Naziterroristen vertritt, dürfte das so geplant haben. Dies entsprach offensichtlich auch der Strategie von Björn Höcke, der es als Ziel seiner Partei angab, »die rohen Formen der Bürgerproteste geistig zu veredeln«.

 

Im Juni hatte Höcke sein neues Buch »Nie zweimal in denselben Fluss« vorgelegt, das sich als geschichtsphilosophische Anleitung zum faschistischen Umsturz liest. Träger der von Höcke erhofften »Renovation«, durch die ein Führer »als alleiniger Inhaber der Staatsmacht ein zerrüttetes Gemeinwesen wieder in Ordnung bringen« könne, ist eine aus drei »Fronten« bestehende »Volksopposition«. Die erste dieser Fronten sieht Höcke in der AfD mit ihrem Parteiapparat und ihren parlamentarischen Vertretungen. Die zweite Front sei die »patriotische Bewegung« auf der Straße, gemeint sind damit Strömungen wie Pegida, aber wohl auch der Mob in Chemnitz. Dazu kommt eine dritte »Front aus frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates […], die die Wahnsinnspolitik der Regierenden ausbaden müssen und auf das Remonstrationsrecht zurückgreifen können«. Entsprechend hat Höcke mehrfach auf Demonstrationen dazu aufgerufen, sich den Befehlen von Vorgesetzten zu widersetzen. In der Tat scheint die AfD zu einem Hort für Teile des Sicherheitsapparates geworden zu sein. Rund ein Drittel der Abgeordneten ihrer Bundestagsfraktion haben nach Recherchen der taz etwa über ihre früheren Berufe als Richter, Staatsanwälte, Polizisten oder Soldaten enge Verbindungen zu Polizei, Bundeswehr oder Justiz. In den Landesparlamenten dürfte es ähnlich aussehen.

 

Vielfach wurde nach den Ereignissen von Chemnitz der Ruf laut, die AfD vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Doch angesichts der jahrzehntelangen Verstrickungen des Inlandsgeheimdienstes in die rechtsextremistische, neonazistische und rechtsterroristische Szene erscheint das keine gute Idee zu sein. Erinnert sei nur an das Scheitern des ersten NPD-Verbotsverfahrens, weil das Karlsruher Bundesverfassungsgericht die Durchsetzung der Funktionäre der neonazistischen Partei mit V-Leuten der Geheimdienste beklagte. Oder an die Naziterrorzelle NSU, die während ihrer mörderischen Aktivität von einer ganzen Armee von V-Leuten regelrecht eingekreist war, was die Verfassungsschutzämter mit massivem Schreddern ihrer Akten zu vertuschen suchten. Schließlich ist es ja nicht so, dass der Verfassungsschutz die AfD gänzlich ignorieren würde. Vielmehr hat Geheimdienstchef Hans-Georg Maaßen zumindest laut eidesstattlicher Aussage einer AfD-Aussteigerin im Jahr 2016 die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry dahingehend beraten, wie die AfD einer offiziellen Observation durch den Verfassungsschutz entgehen könnte. Die Verfassungsschutzämter sind also gänzlich ungeeignet, die weitere Radikalisierung der AfD zu bekämpfen, vielmehr besteht die Gefahr einer weiteren Stärkung der rechten Partei durch bezahlte V-Leute im Falle einer Überwachung.

 

Oberster Dienstherr für den Verfassungsschutz ist zudem Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU). Und der verkündete nach langem Schweigen zu den Chemnitzer Ereignissen, er habe Verständnis, wenn die Menschen sich empörten, denn »die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land«. Sachsens CDU-Ministerpräsident Kretschmer hatte zuvor schon entgegen massenhafter Zeugenaussagen und Filmaufnahmen behauptet, in Chemnitz habe es »keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome« gegeben. Deutlich wird, wie nicht nur die AfD die Reihen zu den offenen Neonazis zu schließen sucht, sondern auch der rechte Flügel des Staatsapparates und der Regierungen seinerseits den Schulterschluss nach Rechtsaußen übt. Wenn wir jetzt nicht wachsam sind, stehen uns demnächst österreichische oder italienische Zustände ins Haus.

 

Ermutigend ist, wie die antifaschistische Zivilgesellschaft nach einem ersten Schock in Chemnitz Flagge gezeigt hat. Tausende Antifaschisten stellten sich dem rechten Aufmarsch eine Woche nach dem Mord an Daniel H. entgegen. Und zum Konzert »Wir sind mehr« mit bekannten Bands wie Feine Sahne Fischfilet kamen mit 65.000 Zuhörern wesentlich mehr als anfänglich erwartet. In Sprechchören riefen die Menschen antifaschistische Parolen und machten damit deutlich, dass sie keineswegs nur wegen des Freikonzerts gekommen waren, sondern ein politisches Anliegen hatten. Auch in anderen Städten wie Hamburg und Berlin gingen Tausende Antifaschisten auf die Straße. Daran lässt sich anknüpfen – darauf ausruhen dürfen wir uns freilich nicht. Vor allem gilt es jetzt, nicht nur klare Kante gegen rechts zu zeigen, sondern auch wieder um eine linke Diskurshoheit zu kämpfen, die die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt.