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Titel1819

In Italien nichts Neues?  (Susanna Böhme-Kuby)

Nun ist seit dem 10. September eine 66. Regierung (seit 1945) im Amt. Für viele ein Aufatmen nach einer der bizarrsten Hochsommerkrisen Italiens.

 

Exakt einen Monat zuvor hatte der seit einem Jahr amtierende Innenminister Matteo Salvini den Regierungspakt mit dem Movimento 5 Stelle (M5S, zu Deutsch: Fünf-Sterne-Bewegung) ad hoc in der Hoffnung aufgekündigt, damit sofortige Neuwahlen provozieren zu können. Der Chef der rechtsextremen Lega, die bei der Parlamentswahl im März 2018 gerade 17 Prozent der Stimmen erhielt (bei einer Wahlenthaltung von knapp 30 Prozent), hatte sich im äußerst wackligen Regierungspakt mit dem M5S als lautstarker autoritärer Macher profiliert. Nun wollte er den bei der Europawahl im Mai eingefahrenen Stimmenzuwachs der Lega (auf 34 Prozent) kapitalisieren, auf seine künftige Vorherrschaft in einer neuen Regierung (einem Rechtsbündnis mit Berlusconis Forza Italia und Melonis Fratelli d’Italia) setzend. Die Rechnung ging nicht auf.

 

Über die Hintergründe des riskanten Aktes lässt sich nur spekulieren. Auch in Brüssel war man irritiert, denn eine solche Rechts-Regierung in der drittgrößten Ökonomie Europas hätte das Gewicht der Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei) innerhalb der EU stärken können. Doch der italienische Staatspräsident, der in einer Regierungskrise zum politisch Handelnden wird, ermöglichte eine andere Lösung: eine Regierungsbildung aus den bis dahin verfeindeten Spitzen von Partito Democratico (PD) und M5S – um Neuwahlen abzuwehren. Verfassungsgemäß beauftragte Präsident Mattarella die beiden stärksten Parteien der letzten Parlamentswahl 2018, nun die Geschicke des Landes zu lenken. Interessanterweise war es Matteo Renzi, der diese Lösung sofort befürwortete, nachdem er sie vor einem Jahr arrogant verworfen hatte. Er hat zwar nicht mehr den Parteivorsitz der PD, aber immer noch seine starke Hausmacht und droht wieder, mit ihr eine neue Partei zu gründen. Auch in der Fünf-Sterne-Bewegung gibt es mehrere Stimmen, die entscheiden – inklusive der Fünf-Sterne-Internetplattform Rousseau, die die Basis einbezieht. Diese Situation macht allerdings das neue Regierungslager unübersichtlich und Entscheidungen schwierig. Sie wird in Zukunft ein hohes Maß an Kompromissfähigkeit und Koordination erfordern, das der erneut beauftragte Regierungschef Conte nun garantieren will.

 

Der angeschlagene Salvini ruft derweil zum Kampf auf gegen die Regierung des »Staatsstreichs«, wie er sie nennt. Die Meinung der Wähler zur Haltbarkeit der neuen Regierung ist – den Umfragen nach – stark gespalten. Man darf gespannt sein.

 

Worum geht es? Die im letzten Jahr von Lega und M5S auf den Weg gebrachten Sozialreformen zur Armutsbekämpfung in der von vielen Jahren Austeritätspolitik geschwächten Gesellschaft erhöhen die Staatsausgaben, was Brüssel und Berlin nicht goutierten und die Finanzwelt mit sofortiger Erhöhung der Zinsspekulation auf die italienischen Staatspapiere beantwortete. Der aus diesem sogenannten Spread resultierende erhöhte Zinsaufschlag für Staatsanleihen belastete die italienische Staatskasse in nur einem Jahr zusätzlich mit etwa 20 Milliarden Euro. Der Aufschlag sank rapide, als die neue Regierung in Aussicht stand, was nun Milliarden einsparen wird. Dass sie dann aber für andere dringende Ausgaben zur Verfügung stehen, ist mehr als fraglich. Der Primärhaushalt ist zwar seit Jahren ausgeglichen, aber die hohe Zinslast für die Staatsschuld lässt eben keine weiteren finanziellen Spielräume.

 

Das innerhalb weniger Tage zusammengeschweißte Zweckbündnis aus M5S und der stark angeschlagenen PD steht nun sofort vor der Quadratur des Kreises, denn die Aufstellung des Staatshaushaltes für 2020 steht kurzfristig an: Der neue Finanzminister muss innerhalb des Brüsseler Fiskalpakt-Korsetts – des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) – Gelder für dringend nötige öffentliche Investitionen auftreiben, die Arbeit und Brot für viele schaffen könnten. Ein Widerspruch in sich. Solange der nicht aufgebrochen werden kann, bleibt es immer nur bei finanziellen Brosamen für Investitionen, die der Rezession keinen wirklichen Einhalt gebieten können. Immerhin hat die PD sich nun im Regierungsprogramm den sozialen Belangen der Bürger, für die M5S sich eingesetzt hat, wieder angenähert, zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung. Doch woher soll das Geld dafür kommen, wenn nicht neue Steuereinnahmen (zum Beispiel durch Vermögensteuer oder Bekämpfung der Steuerflucht) ermöglicht werden können? Aber die sind nicht in Aussicht, und so bleibt wieder nur der kleine Spielraum aus dem Spread, de facto unter strenger EU-Kontrolle. Auch die Besetzung der neuen EU-Kommission lässt auf keine wesentlichen Änderungen schließen. Der Handlungsspielraum des neuen EU-Finanzkommissars Paolo Gentiloni wird begrenzt sein. Der sich dennoch  optimistisch gebende Regierungschef Conte, der sofort nach seiner Vereidigung nach Brüssel flog, bekam denn auch gleich einen Dämpfer: Ursula von der Leyen wird ihm zwar in der Frage der Flüchtlingsverteilung in Europa etwas entgegenkommen, damit die skandalöse Hafensperrung Salvinis beendet  wird, das ihr politisch zugrundeliegende Dublin-Abkommen wird aber nicht reformiert. Für eine prinzipielle Lockerung des ESM gibt es gleichfalls kein grünes Licht, nur eine Hoffnung auf grüne EU-Projekte zum Klimaschutz.

 

Salvini wird es voraussichtlich leicht haben, aus der Opposition die künftigen Maßnahmen der neuen Regierung, die sich in vieler Hinsicht schwer tun wird, anzugreifen, denn eine linke Opposition als Konkurrenz gibt es im Parlament seit Jahren nicht mehr.

 

Handelt es sich also wieder nur um eine Veränderung, bei der alles so bleibt, wie es ist? Oder kann die propulsive Rolle des Staates gestärkt werden, die im letzten Jahrzehnt bis zur Unkenntlichkeit verkümmerte? Man kann der neuen Regierung nur wünschen, dass sie nicht an den vielen vor ihr liegenden Klippen zerschelle. Denn sollte sie scheitern, wird Italien für lange Zeit nach rechts abdriften.