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Titel1908

Kosovo – kein Präzedenzfall  (Ralph Hartmann)

Kürzlich meinte Frankreichs Staatschef Nikolas Sarkozy mit Blick auf Südossetien und Abchasien, Kosovo sei dafür kein Präzedenz-, sondern ein »besonderer Fall«. Dafür fand er Unterstützung bei einigen Kolumnisten der deutschen Presse wie auch bei mehr oder weniger renommierten Repräsentanten der Freien Welt. EU-Chefdiplomat Javier Solana, einst Generalsekretär der NATO, warnte davor, Ähnlichkeiten zwischen der Situation in Kosovo und der in Südossetien zu suchen. Der US-Botschafter in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, Roderick Moore, sagte auf einer Pressekonferenz, zwischen der Unabhängigkeit Südossetiens und Kosovos könnten »keine Parallelen« gezogen werden; über die zahllosen Unterschiede zwischen beiden Regionen könnte er ein ganzes Buch schreiben. Gebeten, dafür wenigstens ein Beispiel zu nennen, behauptete der Botschafter, mit der UN-Resolution 1244 sei »die Herrschaft Serbiens über Kosovo beendet« worden. »Das ist ein gewaltiger Unterschied.« Das Gegenteil ist richtig: Gerade mit der Resolution 1244 hatte der Weltsicherheitsrat Kosovo zum integralen Bestandteil Serbiens erklärt.

Aber ungeachtet dieser Sorte von Unterstützern hat Sarkozy die Wahrheit gesagt: Kosovo ist im Vergleich zu Südossetien ein »besonderer Fall«. Allein ein kurzer Blick in die Geschichte beider Gebiete zeigt gravierende Unterschiede. Kosovo war im Mittelalter das politische, wirtschaftliche und religiöse Zentrum Serbiens, Sitz der Nemanjiden-Dynastie. Nach der serbischen Niederlage in der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje) und dem Vorrücken der Türken veränderte sich die ethnische Zusammensetzung seiner Bevölkerung. Viele Serben zogen nach dem Norden, vom Süden her drängten die Albaner in das riesige Tal zwischen dem Schargebirge und den Bergen des Prokletije nach. Für die Serben aber blieb Kosovo die »Wiege ihrer Staatlichkeit«, und als Symbol gewann es in ihrem Nationalgefühl einen Platz, der mit dem Jerusalems für die Israelis zu vergleichen ist.

Von Südossetien dagegen kann niemand behaupten, daß es die Wiege der georgischen Staatlichkeit sei. Ende des 18. Jahrhunderts wurde es von Rußland annektiert, 1920 erklärte es sich zu einer selbständigen kleinen Sowjetrepublik, und erst Mitte der 1930er Jahre gliederte der Georgier Dschugaschwili, besser bekannt als Stalin, es der Sowjetrepublik Georgien an. 1990 schließlich erklärte sich das Gebiet im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion für frei von georgischer Fremdherrschaft.

Trotz dieser ganz unterschiedlichen Geschichte pochen die USA, die EU und selbstverständlich auch Bundeskanzlerin Merkel hinsichtlich Südossetiens auf das heilige Völkerrechtsgebot der Achtung der territorialen Integrität, während sie im Falle Kosovos ungeachtet der nach wie vor geltenden UN-Resolution 1244 darauf pfeifen. Sie okkupierten die südserbische Provinz, rissen sie aus dem serbischen Staatsgebiet und erkannten sie nach absurden Scheinverhandlungen mehrheitlich als unabhängigen Staat an.

Serbien protestierte energisch gegen die gewaltsame Abtrennung von 15 Prozent seines Territoriums, beugte sich aber der militärischen Übermacht der westlichen Eroberer. Dagegen versuchte das von den USA aufgerüstete Georgien unter der Führung seines in den USA ausgebildeten Präsidenten Saakaschwili – angeblich ohne Kenntnis der 167 US-Militärberater vor Ort und ganz ohne Absprache mit seinem Gönner Bush –, Südossetien im Handstreich zu erobern. Viele Zivilisten, darunter russische Staatsbürger, sowie Dutzende russische Friedenssoldaten, mandatiert von der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), wurden Opfer grausamer Gewalttaten der Angreifer. Als Rußland mit militärischer Macht zurückschlug, beschuldigten NATO und EU es der »übermäßigen Reak-tion« sowie der »Aggression« und erklärten den brutalen Aggressor Saakaschwili zum hilfsbedürftigen Opfer. Zu Recht stellten einige wenige Kommentatoren die Frage, was wohl geschehen wäre, wenn Serbien mit russischer Unterstützung versucht hätte, sein geraubtes Territorium in Kosovo mit Raketen und Panzern zurückzugewinnen? Dann hätte sich ganz sicherlich erwiesen, daß Kosovo ein »besonderer Fall« ist.

Eine Gemeinsamkeit zwischen Südossetien und Kosovo gibt es allerdings doch. In beiden Fällen geht es um strategische Interessen, um den Transit von Erdöl und -gas, um militärische Vorherrschaft, um die Schwächung und Einkreisung Rußlands, eines ehemals »kommunistischen Landes«, in dem der Kommunismus nie errichtet und auch als Ziel von den heute Regierenden längst aufgegeben wurde, aber in den Augen der NATO-Führer als Gespenst immer noch umgeht.

Zufrieden werden Washington, NATO und EU erst sein, wenn Rußland sich selbst und seine Bodenschätze den westlichen Konzernen, Geheimdiensten und Militärs ausliefert und sich in viele kleine Teile zerreißen läßt, die von solchen Satrapen regiert werden wie Saakaschwili und Thaci.