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Titel1908

Reichstagsbrandstiftung – Eine neue Kampagne  (Wilfried Kugel)

Sie sind unbelehrbar. In diesem Jahr suchten sich einige Autoren den 75. Jahrestag der Reichstagsbrandstiftung (27. Februar) aus, um in Deutschland ihre Alleintäter-Legende in einer groß angelegten Medienkampagne aufs Neue zu präsentieren.

1933 hatte das Reichsgericht aufgrund technischer Gutachten festgestellt, daß nur mehrere Täter den Reichstag in Brand gesetzt haben konnten. Diese Sachlage wurde bis in die Gegenwart durch weitere brandtechnische Gutachten untermauert. Verurteilt und geköpft wurde aber einzig der im brennenden Reichstag verhaftete Holländer Marinus van der Lubbe. Das Reichsgericht konnte und durfte keine weiteren Täter oder gar Hintermänner ermitteln. Die Nazis denunzierten Kommunisten als Täter. Diese Verdächtigung blieb aber damals wie heute unbewiesen. Im Ausland sah man ein SA-Kommando am Werk. Eine Täterschaft der Nazis lag nahe, und diese Annahme wird durch viele heute verfügbare Indizien gestützt.

In der frühen Bundesrepublik Deutschland änderte sich jedoch die Sicht der Dinge auf wundersame Weise: Anonym erblickte 1949 eine seit 1947 vorbereitete Alleintäter-Legende erstmals das Licht der Öffentlichkeit. Sie wurde von Nazi-Tätern lanciert, die in Entnazifizierungsprozessen sich selbst zu entlasten, ja als Widerstandskämpfer darzustellen suchten. Kopf der Verschwörung zur Geschichtsfälschung war der selbst in die Reichstagsbrandstiftung involvierte erste Gestapo-Chef Rudolf Diels. Mitverschwörer waren dessen Adlatus, der ehemalige Gestapo-Referent für kommunistische Angelegenheiten beim Geheimen Staatspolizeiamt, Dr. Heinrich Schnitzler (Verfasser der anonymen Veröffentlichung von 1949) sowie die Kriminalkommissare Dr. Walter Zirpins und Helmut Heisig, die zwar als erste van der Lubbe informell vernommen hatten, der »Reichstagsbrandkommission« aber nicht angehörten. Seit spätestens 1949 bestanden Kontakte dieser Verschwörergruppe zum Spiegel. Dessen Herausgeber Rudolf Augstein hatte sich mit Diels befreundet und 1949 dessen verlogene Memoiren publiziert. Im März 1951 setzte sich Augsteins Spiegel massiv für die Wiedereinstellung des bis 1947 wegen Kriegsverbrechen internierten Dr. Walter Zirpins ein. Im Dezember 1951 durfte Zirpins, nunmehr Leiter einer Sonderkommission des Landeskriminalamtes Niedersachsen, gar einen eigenen Beitrag im Spiegel veröffentlichen. Zu dieser Zeit war Fritz Tobias Leiter des Polizeireferats im Niedersächsischen Innenministerium und Vorgesetzter von Zirpins. Ca. 1955 machte Tobias durch eine Intrige Zirpins zum Leiter der Landeskriminalstelle Hannover.

Die damalige Spiegel-Redaktion beschäftigte mehrere schwer belastete Alt-Nazis. Einer von ihnen, Dr. Paul Karl Schmidt alias Paul Carell, überarbeitete ein Manuskript zur Alleintäter-Legende, zusammengestellt von Tobias (seit 1959 Oberregierungsrat beim niedersächsischen Verfassungsschutz), der sich dabei auf Schnitzler und Zirpins als Kronzeugen berief. 1959/60 veröffentlichte der Spiegel in elf Folgen das mit Manipulationen gespickte Elaborat. Überraschend bestätigte 1964 der Historiker Dr. Hans Mommsen entgegen seiner früheren Ansicht die Authentizität der Darstellung und verschaffte ihr damit akademische Weihen. Ein unliebsamer Kritiker der Machenschaften von Tobias, Mommsens Kollege Hans Schneider am »Institut für Zeitgeschichte«, wurde kaltgestellt.

Seit der »Wiedervereinigung« Deutschlands 1990 sind die originalen Ermittlungsakten der Reichstagsbrandkommission von 1933 im Bundesarchiv zugänglich. Mehrere Wissenschaftler werteten sie mit dem Ergebnis aus, daß nun eine erdrückende Fülle von Indizien für die Täterschaft der Nazis bei der Reichstagsbrandstiftung spricht.

17 Jahre lang, von 1990 bis 2007, hielt es niemand aus der nun um Tobias und Mommsen gescharten Clique für nötig, diese Akten einzusehen. Man erklärte schlicht, in den ca. 50.000 Blatt stehe nichts Neues. Doch bloßes Wegsehen war nicht durchzuhalten. Um die Alleintäter-Legende retten zu können, mußte jemand zumindest einen Teil der Akten einsehen.

Auserwählt wurde Sven Felix Kellerhoff vom Axel Springer Verlag. Er war nach eigenen Angaben Mitte der 1990er Jahre mit Tobias bekannt geworden und gefällt sich seit 1998 in der Pose von dessen Nachbeter. In seinen Beiträgen hieß es bis 2008 immer wieder: »zitiert nach Tobias«, dabei schoß er mehrere Böcke. 2007 mußte er sich schließlich ins Bundesarchiv begeben. Seither beansprucht er, alle neuen Quellen zu kennen, und schrieb ein Buch, dessen Qualität allerdings so miserabel wie gewohnt ist: Er verwechselte Personen und Dokumente, verschob willkürlich die Zeitpunkte von Ereignissen. Schon seit 2002 hatte Kellerhoff die brandtechnischen Begriffe »Flash over« und »Backdraft« verwechselt. Erst 2008 legte er sich dann auf »Backdraft« fest. Allerdings vermag keiner der modischen Begriffe der schon 1933 festgestellten Sachlage Rauchgasexplosion bzw. Verpuffung etwas hinzuzufügen, geschweige denn eine Einzeltäterschaft zu plausibilisieren.

2007 illustrierte eine ZDF-Dokumentation mit Experimenten, daß eine Alleintäterschaft technisch unmöglich war. 2008 startete die Gegenkampagne. Am 31. Januar erschien Kellerhoffs Buch »Der Reichtagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls«; das Fazit entsprach der Intention: »Nach 75 Jahren Streit steht am Ende eine einfache Wahrheit: Marinus van der Lubbe war ein Einzeltäter.« In einer »Danksagung« im Anhang bekannte Kellerhoff: »Prof. Hans Mommsen hat mich auf die Idee gebracht.« Dieser spendierte denn auch ein Vorwort und spannte einen seiner Schüler und späteren Kollegen an der Ruhr-Universität Bochum für Werbezwecke ein, den amtierenden Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert, Inhaber des zweithöchsten Amtes in der Bundesrepublik Deutschland. Gemeinsam mit Mommsen assistierte Lammert bei der Buchpräsentation (inklusive Fototermin, bei dem Kellerhoff strahlend zusammen mit Lammert sowie seinem Verleger posierte) in der »Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft«. Lammert äußerte hier: »Ich halte diese Publikation für außerordentlich verdienstvoll.[...] Dem Autor Kellerhoff gilt meine Hochachtung!« In Springers Welt erschien dann eine Rezension Lammerts, in der es hieß: »Erst der Amateurhistoriker Fritz Tobias [...] las die Akten genau, recherchierte, rekonstruierte Abläufe und kam zum Ergebnis, daß die Brandstiftung des Reichstages kein Komplott der Nationalsozialisten gewesen ist, sondern die Tat eines Einzelnen.«

Zur weiteren Popularisierung der Alleintäter-Legende strahlte Spiegel-TV auf Sat1 den Film »Flammendes Fanal« von Michael Kloft mit Kellerhoff als alleinigem Moderator aus. Parallel dazu erschien nicht nur ein Kellerhoffs Buch glorifizierender Beitrag von Ernst Piper auf den Spiegel-Webseiten einestages, sondern das Magazin verkauft bis heute Kellerhoffs Buch über seinen Internet-»Spiegel Shop«.

Ende April sendete das ZDF in der Guido Knopp-Reihe ZDF History (Folge »Die großen Kriminalfälle«) den Beitrag »Feuer im Reichstag«. Man bediente sich teilweise des Materials der ZDF-Sendung von 2007, neu garniert mit Statements von Kellerhoff, auf dessen Buch parallel zur Sendung auch auf den Internet-Seiten des ZDF hingewiesen wurde. Die 2007 dargestellte Unhaltbarkeit der Alleintäter-Legende wurde nun wieder in Frage gestellt: »Der Wahrheit näher kommt vielleicht eine neue Studie auf Grundlage von modernen Computermodellen. [...] Nach diesem Modell könnte auch ein Einzeltäter den Reichstagsbrand verursacht haben.« Die Animation zeigte jedoch eine völlig falsche, um nicht zu sagen gefälschte Darstellung des Plenarsaals.

Als Folge der Medienkampagne dominieren inzwischen positive Rezensionen der Alleintäter-Legende die deutsche Presse. Und Kellerhoff selbst präsentiert in Vorträgen die »einfache Wahrheit«.

Der Beitrag wird fortgesetzt. Der Autor hat 2001 gemeinsam mit Alexander Bahar in der Buch Dokumentation »Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird« die Nazi-Provokation vom 27. Februar 1933 rekonstruiert sowie den Umgang deutscher Historiker und Publizisten mit diesem Ereignis untersucht. Die Nazis nutzten den Reichstagsbrand als Anlaß für die Außerkraftsetzung der Weimarer Verfassung sowie für eine längst vorbereitete Massenverhaftung. Unter den Inhaftierten war Carl von Ossietzky.