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Titel1908

Metapher Matsch  (Anne Dessau)

Im Zelt, in dem sich wegen Umbauarbeiten das Deutsche Theater Berlin abspielt, füllt Modderpampe knöchelhoch die Arena. Künstliche Berieselung erhält sie geschmeidig. Es regnet also in Illyrien, wo Shakespeare sein »Was ihr wollt« angesiedelt hat. Zuschauer der vorderen Reihen werden mit Folien behängt, denn die Catcher im Ring werden stürzen, rutschen, sich wälzen. Weithin spritzt der Schlamm.

Die scheinbar abstruse Idee, Shakespeares Verwechselspiel, deftig-poetisch übersetzt von Thomas Brasch, lustvoll im Dreck spielen zu lassen, ist Metapher für Vieles: das rechte Themseufer, wo man einst zwischen Bordellen und Spelunken Theater spielte, der Schlick des Lebens, Training fürs Fallen, Stürzen, mühseliges Aufstehen, Kampf, Trübsal und auch heitere, unglaublich schwebende, tänzelnde Sprünge über morastigem Grund. Urgrund aus dem wir kommen, in dem wir enden, eingehen am Ende nach all der Plage.

Der Jahrmarkt der Eitelkeiten kann stattfinden. Spielen bis zur Auflösung, buchstäblich bis zur Unkenntlichkeit, sprich: bis zum Verschwinden der Figuren in irdener Materie. Ein gelungener Kunstgriff. Das ist Theater.
Ein grotesker Clownsreigen ist zu besichtigen, Abbilder menschlichen Seins, Hoffens, Leidens, Klagens. Kein übliches Jubilate am Ende des Stückes, bei der Wiedervereinigung der Paare, sondern Erschöpfung, Resignation und Trauer. So nie gesehen. Ungewöhnlich. Eindrucksvoll. Malvolio (Michael Benthin), der den Epilog spricht, ist ein einsamer Mensch, verraten, gedemütigt, er steht für alle Schürfungen, die Menschen erleiden, lebenslang.

Und das soll lustig sein? Ist es. Dafür sorgen in Michael Thalheimers Inszenierung spielvergnügte, wunderbare Protagonisten. Mittels ihrer Figuren führen sie uns Entschlossenheit vor, dieses Leben mit all seinen Turbulenzen nicht nur auszuhalten, sondern sich immer wieder hineinzustürzen. In torfschwarzen Matsch. Allen voran ist da Stefan Konarske zu nennen (wie einst bei Shakespeare üblich werden alle Frauenrollen von Männern gespielt). Konarske macht den doppelten Salto. Er spielt Viola, und der Mann Konarske, der die Frau Viola spielt, verwandelt sich im Spiel noch einmal in den Jüngling Cesario. Das ist trefflich gemacht, mit sicherem Instinkt fürs Ungewöhnliche, poetischer Seele und feinem Geschmack. Bravo.

Unvergleichlich prall ist Bernd Stempel als Sir Tony Rülps, der Harlekin, Bajazzo, Spaßvogel im Gaukelspiel. Neben ihm hat es Niklas Kohrt, zu Recht ausgezeichnet als bester junger Schauspieler des Jahres, schwer. Er setzt filigrane Mittel dagegen, eine Feinzeichnung des Sir Andrew Bleichenwang. Das ist gut gedacht, liebenswert in seiner Spinnwebigkeit; damit kann er bestehen.

Umtriebigkeit, Wollust, Intrige, Seufzen und Singen aller Beteiligten machen den Reigen rund. Sie geben ihr Bestes: Mathias Bundschuh (vortrefflich als Frauenzimmerchen Maria), Alexander Khuon, Mirco Kreibich, Michael Schweighöfer. Der oftmals überzeugend gesehene Ingo Hülsmann fand für Gräfin Olivia weder Gestus noch Tonart. Er ist grob, laut, utriert schmerzhaft seinen Part – was die anderen erfolgreich vermeiden. Es ist ein Abend der guten Laune trotz Schlammschlacht und Dauerregen.