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Titel1910

Der Mut der Gedankenlosigkeit  (Hans Krieger)

»Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut«, sagte Kanzlerin Merkel bei der Verleihung des Medienpreises »M 100« an den Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard. Mut haben einst starke Geister bewiesen, die in zähem, ausdauerndem Kampf gegen die Herrschenden erstritten haben, wovon heute in demokratischen Ländern jeder Gimpel unangefochten und ziemlich risikofrei Gebrauch machen kann: das Recht auf freie Meinungsäußerung. Geschützt werden sollte die Kühnheit des befreienden Gedankens, die schonungslose Schärfe des kritischen Argumentes. Geschützt ist damit unvermeidlich auch das bornierte Gefasel, das dumpfe Vorurteil, das hetzerische Klischee.

Welche Gedankenarbeit steckt in der Zeichnung vom Propheten Mohammed mit der Bombe im Turban? Keine. Westergaard hat ein billiges Klischee, die Gleichsetzung des Islam mit Gewaltbereitschaft, auf eine simple, mäßig originelle bildnerische Formel gebracht – in einer Zeit, in der es Aufgabe des kritischen Geistes gewesen wäre, die gefährlich vereinfachenden Feindbilder kritisch differenzierend aufzulösen. Er hat damit nicht der Freiheit des Denkens gedient, sondern dem unreflektierten Nachplappern. Wenn dazu Mut gehört, so ist es der Mut der Gedankenlosigkeit. Kennzeichnend waren nachträgliche Beteuerungen, er habe nicht den Islam schlechthin, sondern nur den gewaltbereiten Islamismus treffen wollen – genau diese Unterscheidung ließ seine Zeichnung nicht zu.

Der Mut, der »das Geheimnis der Freiheit« ist, bewährt sich darin, daß er der Macht trotzt – der realen politischen Macht oder der Macht der herrschenden Meinungen. Der dänische Karikaturist hat, islamophobe Stimmungen nutzend, sein Mütchen gekühlt an einer mißliebigen Minderheit, den Muslimen im eigenen Land, und an den Anhängern einer Weltreligion, die nach leidvollen Erfahrungen mit westlichem Imperialismus einigen Grund zu besonderer Empfindlichkeit haben. Hätte er seine Zeichnung auch dann veröffentlicht, wenn er gewußt hätte, welch explosive Massenproteste er in der islamischen Welt auslösen würde? Wenn er geahnt hätte, daß er zur Zielscheibe von Todesdrohungen werden würde und sich vor einem axtbewehrten Mörder, die kleine Enkelin schutzlos preisgebend, ins gesicherte Badezimmer würde flüchten müssen? Wenn ja, so wäre dies nicht Mut gewesen, sondern ein leichtfertiges Spiel mit dem Feuer.

Zum »Symbol für die Presse- und Meinungsfreiheit« sei Westergaard geworden, heißt es in der Begründung der Jury für die Preisvergabe. So hat es seit Beginn des »Karikaturenstreits« überwiegend auch die deutsche wie die internationale Presse gesehen. Es gab viele Solidaritäts-Nachdrucke, und der konkret-Chefredakteur verstieg sich einmal sogar zu der Forderung, die Mohammed-Karikaturen täglich in allen Zeitungen zu drucken. Als gälte es, der islamischen Welt zu demonstrieren, daß wir uns die Meinungsfreiheit von ihr nicht nehmen lassen. Auch ohne solche Demonstration könnte sie uns diese Freiheit nicht nehmen, aber sie will es auch gar nicht. Sie will lediglich, trotz Redefreiheit, mit Respekt behandelt und nicht in dem, was ihr heilig ist, verächtlich gemacht werden. Dies zu verstehen, sollte nicht ganz unmöglich sein.

Die Meinungsfreiheit gilt als einer unserer höchsten Werte. Als eines der Grundrechte ist sie, anders als die Unantastbarkeit der Menschenwürde (auch der Menschenwürde von Muslimen!), ein formales Recht; sie ist nicht selbst ein Wert, sondern schützt einen Wert: das freie autonome Denken. Daß sie nicht grenzenlos ist, zeigt schon die Strafbarkeit von Beleidigung und übler Nachrede oder der Verbreitung der »Auschwitzlüge«. Weil jede Meinungsäußerung, anders als der bloße Gedanke, der schrankenlos frei ist, ein soziales Handeln ist, unterliegt sie ethischer Bewertung und entbindet nicht von der Verantwortung für ihre Folgen. Da die Meinungsfreiheit als im Grunde wertblinder Selbstwert auch die Dummheit, die Gedankenlosigkeit, die ressentimentgeladene Borniertheit schützt, gibt es notwendig Fälle, wo ein Wort des Bedauerns, eine ehrliche Entschuldigung fällig wäre, keinesfalls aber eine Preisverleihung. Schon gar nicht eine Preisverleihung mit Kanzlerbeteiligung.