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Titel1912

Die Rentenfalle  (Arno Klönne)

Auf eines versteht sie sich, die Bundesministerin Ursula von der Leyen, auf Öffentlichkeitsarbeit. Jetzt hat sie einmal mehr gewaltig von sich reden gemacht, mit einem Schreckensszenario: Wenn nichts unternommen werde, dann sei schon bald der Tag des Eintritts ins Rentenalter ein Termin, um schleunigst das Sozialamt aufzusuchen. Sie hat das vorgerechnet: Wer 35 Jahre lang von einem Lohn in Höhe von 2.500 Euro monatlich treu und brav in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahle, bekomme in seinen alten Tagen nur eine Rente von 688 Euro im Monat. An dieser Rechnung kann man im Detail herumkritteln, richtig bleibt, daß massenhafte Armut im Alter droht.

Was hat sich die Bundesministerin ausgedacht, um dem entgegenzuwirken? Durch einen Rentenzuschuß sollen, um beim Beispiel zu bleiben, die 688 Euro auf 850 Euro aufgestockt werden – bei Bedürftigkeit. Und nur wenn all die Jahre über ein Arbeitsverhältnis mit Einzahlung in die Gesetzliche Rentenversicherung bestand. Sowie unter der Voraussetzung, daß die zu Bezuschussenden auch »private« Altersvorsorge betrieben, also irgendwie »geriestert« haben. Praktisch würden nur wenige RentnerInnen in den Genuß dieser milden Gabe kommen.

Den Segen für ihr »Modell« bekam Ursula von der Leyen dennoch vom deutschen Rentenpapst, dem ehemaligen Wirtschaftsweisen und Politikberater Bert Rürup. Warum wohl? Rürup (SPD) war es, der durch seine ins Gewand der wissenschaftlichen Expertise gekleideten Ratschläge den politischen Weg hin zur »privaten«, kapitalgedeckten Rente ebnete. Längst ist er selbst höchst umtriebig in dieser expandierenden und profitablen Branche tätig.

Kritik am Vorschlag der Arbeitsministerin regte sich in der SPD, bei den Grünen, in der Linkspartei und im DGB, wurde aber auch in der CDU/CSU und in der FDP geäußert. Mit recht unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Argumenten. Von der einen Seite kam die Feststellung, daß so die Gefahr der Altersarmut nicht gebannt werden könne. Das stimmt ganz gewiß, jedoch ist zu fragen: Waren denn nicht Sozialdemokraten und Grüne in regierender Funktion daran beteiligt, eben dieses Problem zu produzieren – durch Absenken des gesetzlichen Rentenniveaus, Hinaufsetzen des Eintrittsalters in die Rente und Begünstigung der kommerziellen Versicherungsgesellschaften? Und welche Parteien waren es, die ganz eifrig den Arbeitsmarkt »auflockerten«, der Ausbreitung von Fristarbeit, Leiharbeit und Niedriglohn voranhalfen? Eben dadurch wurde dem System der Gesetzlichen Rentenversicherung zunehmend Boden entzogen. Inzwischen ist es tatsächlich instabil.

Aus dem sogenannten bürgerlichen Lager wurde Ursula von der Leyen entgegengehalten, sie wolle zu Lasten der ohnehin verschuldeten Staatskasse »neue Wohltaten verteilen«. Da ist der etwas versteckte Sinn des Auftritts der Bundesministerin nicht begriffen worden. Wenn sich die Angst ausbreitet, mit dem Umlageverfahren der Gesetzlichen Rentenversicherung könne ein Existenzminimum im Alter nicht mehr erreicht werden, entsteht ein verstärkter Schub hin zur kapitalgedeckten Rente, zu Verträgen mit den »privaten« Versicherungsunternehmen. Das Projekt »Zuschußrente« kann dann getrost wieder in der Versenkung verschwinden. Bei der öffentlichen Unterhaltung über Altersarmut darf freilich, wie die Bundeskanzlerin sagt, kein »Alarmismus« aufkommen, das würde die Regierenden in Mißkredit bringen.

Die Profilierung für den Bundeswahlkampf steht an, und so melden sich alle Parteien zu Wort, um aus den Rentensorgen der BürgerInnen Gewinn zu erzielen. CDU/CSU/FDP/SPD/Grüne sind bei allem Wirrwarr ihrer Konzepte in einer Botschaft einig: Auf die Gesetzliche Rentenversicherung allein dürfe sich niemand mehr verlassen.

Allerdings steckt in der Empfehlung, sich doch privat abzusichern, etwas Lügnerisches, denn: Aus Niedriglöhnen und bei gebrochenen Beschäftigungsverläufen lassen sich die Beiträge für eine hinreichende »private« Zusatzversicherung gar nicht aufbringen. Und trügerisch ist jedes Versprechen, die kapitalgedeckte Rente sei »sicher«. Die so hochgeachteten Finanz-»Märkte« haben keine Hemmungen, Rentenfonds in ihrem Wert absinken zu lassen oder auch dem Konkurs zu überlassen.

So bleibt nur der gar nicht angenehme Schluß: Zu befürchten ist für einen immer größeren Teil der Bevölkerung soziale Not im Alter, insoweit hat die Bundesministerin Recht. Aber sie selbst wirkt mit an einer großangelegten Fallenstellerei, die in Sachen Rente die regierenden oder im Wartestand fürs Regieren befindlichen Parteien betreiben, mit verteilten Rollen. Die »Privatisierung« der Rente deckt Kapitalinteressen ab, Deckung gegenüber dem Anmarsch und Zugriff der Armut bietet sie nicht.