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Titel1915

Der Grenzgänger  (Ralph Dobrawa)

Im Zusammenhang mit der DDR waren die Themen »Häftlingsfreikauf« und »Agentenaustausch« in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand der Erörterung in den Medien, nicht zuletzt vor einigen Monaten in einer Dokumentation des Mitteldeutschen Rundfunks.


Auch im Bereich der Wissenschaft sind in jüngerer Zeit zwei Dissertationen erschienen, die sich damit befassen. Im Mittelpunkt steht dabei der DDR-Anwalt Wolfgang Vogel, der seit Anfang der 1960er Jahre nahezu ausnahmslos mit Fällen dieser Art in seiner Praxis beschäftigt gewesen ist und sich damit auch einen Namen gemacht hat, wenngleich sein Wirken erst seit Beginn der 1980er Jahre der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Er wirkte im Stillen, und besondere Verschwiegenheit war ein wichtiges Kriterium seiner Glaubwürdigkeit. So überrascht es nicht, dass Vogel bald das besondere Vertrauen der Regierenden in beiden deutschen Staaten erwarb. Im Kalten Krieg herrschte Eiszeit, offizielle Kontakte zwischen der Bundesrepublik und der DDR gab es über lange Zeit nicht. So wurde der Rechtsanwalt zum »Briefträger« zwischen den Mächtigen der beiden Gesellschaftssysteme. Helmut Schmidt und Herbert Wehner unterhielten so inoffizielle Kontakte zu Erich Honecker.


31.775 Häftlinge wurden mit Vogels Hilfe durch die BRD in den Jahren 1963 bis 1989 freigekauft. Mehrere Agentenaustausche fanden mit Vogels Hilfe auf der berühmten Glienicker Brücke statt. Man möchte meinen, der in beiden deutschen Staaten geachtete Anwalt hätte nach dem Beitritt der DDR zur BRD eine besondere Ehrung erfahren. Dem war leider nicht so. Statt dessen klagte ihn die Berliner Staatsanwaltschaft unter anderem wegen des Vorwurfs der Erpressung Ausreisewilliger an, und er musste sogar für einige Monate in Untersuchungshaft nach Moabit. Erst sehr viel später hat ihn der Bundesgerichtshof im Wege der Revision freigesprochen beziehungsweise das Verfahren eingestellt.


Norbert F. Pötzl, lange Jahre beim Spiegel tätig, hat jetzt eine Biographie über Wolfgang Vogel geschrieben, in der er nicht nur dessen persönlichen Werdegang darstellt, sondern auch seine besondere Rolle und Funktion in der deutschen Geschichte. Das Buch beruht neben vielen anderen Quellen auf zahlreichen Gesprächen mit Vogel, der Pötzl auch Zugang zu seinem Archiv gewährte. Bereits einige Jahre zuvor hatte Pötzl mit seinem Buch »Basar der Spione« das Wirken Wolfgang Vogels, der 2008 verstarb, eindrucksvoll geschildert. Die jetzt vorgelegte Biographie trägt vor allem dazu bei, den Mythos, den es lange Jahre zur Person Vogels gab, zu entschleiern. Es zeigt sich das Bild eines Anwalts, dem das Schicksal der ihm zeitweilig anvertrauten Menschen wichtig war und dem dabei auch seine katholische Überzeugung hilfreich zur Seite stand. Er war kein Karrierist, der um die Anerkennung bei den jeweils staatstragenden Persönlichkeiten ringen musste. Diese fiel ihm zu, weil er sich durch seine verlässliche und vertrauliche Tätigkeit empfahl und sich dabei auch über lange Zeit unentbehrlich machte. Wer ihm begegnete oder mit ihm zusammenarbeiten konnte, der war von ihm angetan. So habe ich ihn auch Ende der 1980er Jahre noch bei einigen Fällen gemeinsamer anwaltlicher Arbeit erlebt.

Norbert F. Pötzl: »Mission Freiheit – Wolfgang Vogel, Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte«, Heyne Verlag, 512 Seiten, 22,99 €