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Titel1916

Die bildende Weltbühne des L. L.  (Harald Kretzschmar)

Da raunen die Untergangspropheten schon das nahende Ende gedruckter Presseorgane herbei. Sie beschwören den verführerisch phosphoreszierenden Abendhimmel der Pressegegenwart. Dabei ist noch nicht einmal die unmittelbare Vergangenheit des Mediums nur ansatzweise zur Kenntnis genommen. Deutschlands Presselandschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts könnte zu wunderbaren publizistischen Spaziergängen einladen. Vorausgesetzt, man kennt sie und verlässt die Einbahnstraße des längst Geläufigen. Und man wagt sich zum Entdecken dahin und dorthin. Zum Beispiel: ins Pressewesen im süffisant als »Zone« abqualifizierten Teilland dies- oder jenseits des Eisernen Vorhangs (je nach Positionierung). Bisher ist man über ein wenig qualifizierbares Naserümpfen kaum hinausgekommen.

 

Was gab es denn dort jenseits der dem Tag gehorchend agitatorisch überfrachteten, daher übel beleumundeten Parteiorgane? Immerhin wöchentlich in Großauflagen erscheinende Blätter wie Wochenpost und Eulenspiegel, NBI und Freie Welt. In bescheidenerer Stückzahl flankierten diese Sonntag und Die Weltbühne. Der Ehrgeiz, den aus Hamburg in alle Welt wirkenden Journalen Die Zeit und Der Spiegel so etwas wie Die Republik und Das Profil entgegenzustellen, musste schon im Ansatz aufgegeben werden. Ja, solche Projekte gab es in der zweiten »Presse-Gründerzeit« nach dem 17. Juni 1953 tatsächlich. Doch dafür war man weder potent noch flexibel genug. Eine feste achtbare Größe wurde seit 1954 dagegen jeden Monat ganz kultiviert Das Magazin – dazu kam spät, aber nicht zu spät Horizont. Immerhin einige Spielwiesen für gediegenen Journalismus waren da zu verzeichnen.

 

Die Weltbühne musste nicht nur vom Ruhm der Vorgängerin aus den 20er und 30er Jahren zehren. Nein, sie startete nur damit, indem sie sich auf die linksliberale Tradition berief. Dann ging sie zwangsläufig den Weg in die eindeutig sozialistisch geprägte Gesellschaft. Originell daran war, dass sie eine Autorenzeitschrift blieb: Wer immer da schrieb, musste das Merkmal einer ausgeprägten Profession mitbringen. Häufig promovierte und habilitierte Autorinnen und Autoren wetteiferten miteinander, gleichermaßen populär wie intellektuell ansprechende Texte anzubieten. Weiß Gott – nicht immer gelang dieser Spagat. Aber, etwas machte von Anfang bis Ende den unverkennbar bürgerlichen Charakter des Unternehmens aus: Im Ziel einig, war durchaus extrem individuelle Meinung angesagt.

 

War es da ein Wunder, dass bereits 1957 der damals noch nicht ganz dreißigjährige Lothar Lang zu dem ständigen freien Mitarbeiterstamm des »Blättchens« stieß? Eine Chance tat sich auf. Der von der Pädagogik kommende Kunsthistoriker konnte sich peu à peu zum Kunstkritiker profilieren. Ja, dass ein solcher im enggestrickten Kostüm des herrschenden gesellschaftlichen Systems genug Bewegungsfreiheit haben konnte, war erst einmal zu beweisen. Geistig enorm beweglich und aufnahmefähig bis zum Exzess, stürzte sich der forschende und analysierende Kunstkenner in das Abenteuer Journalismus. Für den souveränen Umgang mit dem medialen Genre kam ihm zweifellos zugute, dass ihm 1964 die Leitung der Marginalien anvertraut wurde, der Zeitschrift der bibliophilen Pirckheimer-Gesellschaft im Kulturbund. Lothar Lang durfte mit den Jahren als Einzelgänger gewisse Privilegien genießen. Künstlerfreundschaften bestätigten ihn. Die Übelnehmerei diverser Kunstrichter lieferte die Begleitmusik.

 

Jahrzehnte erschien mindestens einmal monatlich für ein kümmerlich zu nennendes Honorar im Wochenblättchen seine oft kontrovers abwägende Meinung zur bildenden Kunst. Eine Fülle von Entdeckungen der Kunst weltweit, aus schnell vergessener Vergangenheit oder aber neuer junger Namen, kam da über die Leser. Gemessen an der eher sporadisch erscheinenden Film- oder Literaturkritik war die bildende Kunst so immer kritisch präsent. Wer zählt die Texte heute noch? Allein aus 37 Beiträgen der Jahre seit 1968 stellte er 1975 »Begegnungen im Atelier« zusammen. Ein Büchlein zur Würdigung vor allem der Alten. Längst selbst aufs Altenteil in Spreewerder zurückgezogen, hat der Altmeister alles wiederholt in Augenschein genommen und für einen rückblickenden Band mit einer Auswahl der besten Texte aller Jahre sortiert. Nachdem er am 20. Juli 2013 mit 85 Jahren gestorben war, hat seine Witwe Elke Lang das Buch mit sachdienlichen biografischen Vorbemerkungen und der Geburtstagsrede Elmar Fabers von 1988 zum Druck vorbereitet. Es ist nun im Quintus-Verlag erschienen. Eine äußerst straffe Auslese, die einen charakteristischen Einblick erlaubt.

 

Auffällig ist, wie kritisch der Autor auswählt. Die frühen Jahre spart er fast aus, wählt nur: 1957 das überfällige Erinnern an Johannes Wüsten, 1960 den Besuch beim russischen Meister des Holzstichs Wladimir Faworski, 1965 Bill Lachnit sowie einen ersten Blick auf die sich bereits formierende »Leipziger Schule«. Dann geht es schon in die so vital sich gestaltenden 70er und 80er Jahre. Und überraschend breit noch die 90er Jahre – L. L. im nun imposant umfassenden gesamtdeutschen Mitarbeiterkreis immer noch tonangebend. Mit dem Knalleffekt des brüsken Abschieds 1993, als sein Rundumschlag gegen das nun herrschende Kunstmarktgehabe am Beginn eines Textes zu Max Beckmann nicht gedruckt werden durfte. Allein dieser Akt wertet alles Vorhergehende, anstandslos Akzeptierte ungemein auf. Da ist unter der Hand eine Art Lehrbuch zu einem Kapitel Pressegeschichte entstanden.

 

Lothar Lang: »Begegnung und Reflexion. Kunstkritik in der Weltbühne«, herausgegeben von Elke Lang, Quintus-Verlag, 248 Seiten, 20 €