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Titel1916

Wunschkinder: Das Reproduktionsgewerbe (3)  (Urte Sperling)

Welche Akteure finden wir im Gewerbe der sogenannten assistierten Reproduktion? In den Kategorien der Betriebswirtschaftslehre gedacht gibt es Anbieter_ innen und Nutzer_innen, Angebot und Nachfrage, Unternehmen, in denen das nachgefragte Produkt hergestellt wird, sowie Beschäftigte, die ihren Broterwerb mit der Herstellung des Produkts sichern. Im gegebenen Fall handelt es sich um ein besonderes Produkt: ein neuer Mensch beziehungsweise eine Schwangerschaft. Ver- und gekauft wird, was in der Volkswirtschaftslehre Dienstleistung heißt.

 

Die Dienstleistungen dieses Gewerbes wiederum benötigen ihrerseits bestimmte Produkte, die in großen Industriebetrieben hergestellt werden: Geräte und pharmazeutische Erzeugnisse, die in den Zentren oder Kliniken der Reproduktionsmedizin zur Anwendung kommen.

 

Beginnen wir mit der Kundschaft, jenen Frauen oder Paaren, die sich den Wunsch nach einem eigenen Kind nicht ohne Dienste des Gewerbes, von dem die Rede ist, erfüllen können. Von ihnen geht eine Nachfrage aus, die zum Teil erst mit dem Angebot entstanden ist. Männerpaare zahlen einen bestimmten Betrag und erhalten als Gegenleistung – wenn alles wunschgemäß verläuft – ein neugeborenes Kind. Die Kundinnen (weiblich) erwerben sozusagen den Beginn einer Schwangerschaft. Kundinnen und Kunden sind teilweise selbst in die Herstellung des Produktes einbezogen, indem sie gewisse Rohstoffe: männliche und/oder weibliche Geschlechtszellen aus »Eigenproduktion« beitragen. Diese Rohstoffe können aber auch von anderen Individuen gespendet oder käuflich erworben werden. Hier bieten sogenannte Kryobanken ihre Dienste an, die die Rohstoffe der Prokreation tiefgefroren lagern. Sie sind entweder Teil oder Zulieferer der Reproduktionskliniken.

 

Wer aber sind nun im Einzelnen die Dienstleistenden in diesem Gewerbe? Wer verrichtet dort welche Tätigkeiten? Wir finden angestellte Ärzt_innen und Laborant_innen in den »Kryobanken«, die wie alle größeren Gewerbebetriebe über ein Logistik-Netz, eine Administration und Verwaltung mit entsprechenden Beschäftigten verfügen. Dann gibt es die Klinikbetreiber_innen: Ärzt_innen, die zugleich Unternehmer_innen sind, es sei denn, es handelt sich um ein Zentrum einer größeren Klinikkette oder einer Universitätsklinik. In den Reproduktionszentren werden die gynäkologisch notwendigen Eingriffe durchgeführt, die die weibliche Kundschaft über sich ergehen lassen muss, um ihr erwünschtes Produkt zu erhalten: Superovulation durch Hormone, »Eierernte«, In-Vitro-Fertilisation, falls gewünscht: Präimplantationsdiagnostik und Transfer der befruchteten Eizellen in die Gebärmutter der austragenden Frau. Letztere kann mit der künftigen sozialen Mutter identisch sein, muss es aber nicht. Zu den Tätigkeitsfeldern ausländischer Reproduktionskliniken (in den USA, Indien oder der Ukraine zum Beispiel) gehören auch die Vermittlung und die medizinische Betreuung von Frauen, die als »Leih-« oder »Tragemütter« ihre Dienste gegen Entgelt anbieten und anstelle der künftigen sozialen Eltern die Schwangerschaft auf sich nehmen, das heißt ihr Körperpotential gegen Geld zur Verfügung stellen. (Dieses Angebot wird zunehmend auch von homosexuellen Männer-Paaren genutzt.) Die Betreiber_innen der Zentren sind nicht notwendigerweise mit den dort praktizierenden Ärzt_innen identisch. In der Ukraine beispielsweise fand ein fachfremder findiger Gründer für diese Geschäftsidee Kreditgeber und errichtete mit relativ geringem Aufwand und Risiko ein bald florierendes Unternehmen, das seine Werbung, die Akquise sowie den über Ländergrenzen hinweg funktionierenden unkomplizierten Kund_innen-Kontakt über das Internet abwickelt. Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Hier beschränkt sich das Angebot der Reproduktionsmedizin auf die oben genannte Hormonbehandlung (mit dem Ziel, möglichst zahlreiche Eizellen zu entnehmen), auf die Aufbereitung von Spermien für die Insemination in die Gebärmutter oder für die In-vitro-Fertilisation (die Befruchtung in der Petrischale) beziehungsweise für das ICSI-Verfahren (Injektion eines selektierten Spermiums in die Eizelle). Zum Schluss werden die im Brutschrank entstandenen Embryonen in die Gebärmutter der Kundin implantiert.

 

Dafür, dass die Kundschaft nicht auf die wohlhabenden Schichten beschränkt bleibt, die sich die nicht ganz billigen Dienste leisten können, sorgt in den Staaten, die noch über Sozialversicherungssysteme verfügen, eine teilweise Kostenerstattung durch die Krankenkassen. »Ungewollte Kinderlosigkeit« ist nach bestimmten Kriterien als therapierbare Krankheit anerkannt. Je nach Aufwändigkeit des gewählten Verfahrens kostet ein Behandlungszyklus mehrere hundert oder auch – bei ICSI – bis zu 7000 Euro. In der Regel sind häufig mehrere solcher Zyklen notwendig, und nicht selten schlagen diese Versuche auch völlig fehl. Hierzulande erstatten die gesetzlichen Krankenkassen einen Teil der Kosten für eine begrenzte Zahl von Behandlungszyklen, wenn es sich um verheiratete Paare handelt, die Frau älter als 25 Jahre und der Mann unter 50 ist. Es gibt gesetzliche Einschränkungen, die von Staat zu Staat differieren. Diese Unterschiede in der mehr oder weniger großzügigen Handhabung von Restriktionen (zum Beispiel was homosexuelle Paare oder was gewerbliche Leihmutterschaft betrifft) beflügeln weitere Geschäftsideen aus dem Bereich des Medizintourismus: Klinikaufenthalte und Behandlungen im Ausland erzeugen – wie Urlaubsaufenthalte – den Bedarf an Hotels oder anderen Unterkünften und den damit verbundenen Bereichen der Gastronomie. Wir sehen: Der unstillbare Kinderwunsch hilft nicht nur denen, die sich unbedingt »fortpflanzen« wollen, sondern auch dem Bruttosozialprodukt.