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Titel1918

Geschenksammelstelle oder Raubkunstpalast?  (Monika Köhler)

Hamburg als die deutsche Hauptstadt des Kolonialismus – das bleibt und ist an vielen Orten noch sichtbar. Auch in den Exponaten des Völkerkundemuseums, das seinen alten Namen abgelegt hat und jetzt: »MARKK« heißt. Klingt nach Marke, was nicht falsch ist. Genau das ist die Absicht der hilfreichen Designer »Rocket & Wink«, der eine der »Raketentyp«, der andere der »Naturbursche«. Sie bedienen »vollrohr« in allen Kategorien, und so heißt es in der Pressemitteilung: »Man markk es, oder man markk es nicht.« Woher der neue Name? Soll heißen: Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste. Wo ist die Hauptsache geblieben: der Welt? Bei der Marke, vergessen. Inzwischen haben sich die meisten derartigen Museen umbenannt – Völkerkunde, das ist verstaubt und erinnert an Kolonialismus. Davon will man sich befreien, auch die neue Direktorin Barbara Plankensteiner, die zusammen mit Jeanette Kokott die gerade eröffnete Ausstellung »Erste Dinge – Rückblick für Ausblick« kuratiert hat. Objekte aus den überreichen Speichern, die bisher noch nie oder selten gezeigt wurden, stehen im Mittelpunkt, Dinge aus der Anfangszeit des Museums. Meist auf langen Tischen ausgebreitet – ein System ist nur schwer zu erkennen. Ein Katalog von 1867 war hilfreich. Schwierig, die Provenienz der Objekte zu verfolgen, wenn Exponate als »Souvenirs des Kontakts« oder als »Geschenke« bezeichnet werden. Namen der Spender – was sagen die aus? »Von lokalen Handwerkern zum Verkauf an die fremden Handelsreisenden geschaffen« – das soll heißen, es sind keine kostbaren Kunstwerke. So zeigt denn die Ausstellung auch viel Kleinteiliges, was in diesen Rahmen passt.

 

Als Auftakt und Blickfang eines der ersten Stücke (A1), effektvoll beleuchtet im dunklen Raum, die indische Göttin Durga. Keine Steinskulptur, keine Bronze – ungebrannter Ton über Stroh- und Holzkern und Stoffbekleidung, viel Schmuck, Farbpigmente. Das ist beste Handwerkskunst, für regionale Volksfeste geschaffen – jedes Jahr neu zum Durga-Puja-Fest in Kolfata (engl. Kalkutta) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese Durga symbolisiert auch die »bengalische Renaissance«, eine Bewegung kultureller Selbstbehauptung gegenüber den Briten. Als »Retterin der Welt« reitet sie auf einem Löwen und bekämpft das Böse – hier, ungewöhnlich, einen Elefanten – eigentlich ein Glückssymbol. Meist wird sie dargestellt, wie sie den Büffeldämon überwältigt. In Hamburg sind ihr dazu nur vier Arme gegeben. Ihre Hände – rot mit Henna gefärbt – sind leer, tragen keine Waffen. Ein Geschenk von H. G. T. Krogmann, 1852 eingeliefert. Im Katalog zur Ausstellung (185 Seiten, deutsch/englisch, 15 Euro) ist eine Namensliste der »Geschenkgeber*innen« (so heißt es – wenigstens gendergemäß – korrekt) abgedruckt, oft existiert nur ein Name oder nicht einmal das. So wie bei dem großen japanischen Hausschrein Butsudan, auch vom Anfang des 19. Jahrhunderts: »Schenker*in unbekannt«. Diese Schreine sind mit Ahnentafeln, Ritualgeräten, auch mit buddhistischen Figuren ausgestattet. Sie begleiten den Tod eines Angehörigen. Die Frage stellt sich, wie kam dieser doch sehr persönliche Schrein ins Museum? Eine »Spende aus Privatbesitz«? Kostbar, die Innenausstattung mit Buddha Amida Rajo, wie der Katalogtext vermutet. Ein Buddha, »der den Sterbenden entgegeneilt, um ihre Seelen in sein ›Reines Land‹ zu geleiten«.

 

Das Hamburger Museum hat eine Vielzahl von Gelbguss-Skulpturen und Reliefs aus Benin, die von Kunstkennern bewundert werden als außergewöhnlich und zur Hochkultur gehörend (Ossietzky 5/2018). Barbara Plankensteiner erwähnt in ihrem Katalogbeitrag die Unterscheidung – im 19. Jahrhundert – in Natur- und Kulturvölker und dazwischen die sogenannten Halbkulturvölker. Das drückt das Überlegenheitsgefühl der Europäer gegenüber »schriftlosen« Völkern aus. Ein Figurenpaar aus dem Gebiet Benin, heute West-Nigeria, keine »Benin-Bronzen«, sondern aus Holz geschnitzt, mit »Baumwollstoff«. Viele Informationen dazu, auch über den Stifter O. H. Diederich, der die Skulpturen 1862 einlieferte. Aber etwas irritiert. Der Baumwollstoff, das sind Lendenschurze. Wer hat sie dem Paar wohl verpasst? Missionare?

 

Die über zwei Meter hohe Figur des Buddha Siddharta Gautama aus Teakholz mit Gold, aus Mandalay, Myanmar, vom späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert. Der Buddha hat wohl einen Tempel geschmückt. Sein Künstler: unbekannt. Eine Frau Schultze war die Spenderin. Auch über sie weiß man nichts. Ganz bewusst behandelt die neue Ausstellung die Anfangsjahre, da bestanden noch keine deutschen Kolonien, Handel gab es schon.

 

In Hamburg existiert eine Forschungsstelle, die das Erbe des Kolonialismus aufzuarbeiten versucht – in Europa die einzige. Geleitet wird sie von Jürgen Zimmerer. Er sagt, es sei nicht möglich, die Objekte der Sammlung als »unschuldig« hinzustellen. Die Kolonialismusgeschichte sei in sie eingeschrieben. Barbara Plankensteiner stellt im Vorwort zum Katalog fest, »wie schwierig und manchmal erfolglos Provenienzforschung sein kann«. Jürgen Zimmerer will die Diskussion darüber anstoßen. Die Zeit zitiert ihn: »Erst wenn man beim Betreten des Museums unübersehbar darauf hingewiesen werde, man betrete nun einen Raubkunstpalast, sei eine weitere Auseinandersetzung mit den Gegenständen denkbar.«