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Titel1918

Bemerkungen

Kurz notiert

Unsere Zeit ist eine Travestie der Zukunft.

 

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Lesefrüchte sind Kompost des Denkens.

 

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Nur der schiefe Gedanke zieht eine gerade Bahn.

 

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Die Logik ist das Magnetfeld des Verstandes. Nur leider wird es so oft vom Leben umgepolt.

 

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Wer Intelligenz mit Kraftlosigkeit assoziiert, sagt nur, dass seine Intelligenz kraftlos ist.

 

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Der Mantel der Geschichte heißt andernorts Narrenkleid.

 

Norbert Büttner

 

 

 

Nicht aufenthaltsberechtigt

Hier soll kurz auf ein Taschenbuch hingewiesen werden, das seit mehreren Monaten in hiesigen Buchhandlungen und gut ausgestatteten Bibliotheken zu finden ist. Erschienen ist die Flüchtlingsgeschichte zuerst unter dem Titel »Flotsam« (Strandgut) in der englischen Übersetzung von Denver Lindley.

 

In dem Werk werden Schicksale einzelner aus ihrem Heimatland geflohener Menschen geschildert und wie Einheimische in anderen Ländern auf sie reagieren. Eindrücklich dargestellt wird unter anderem, wie es ist, wenn man als Flüchtende/r ohne Aufenthaltsberechtigung von einem europäischen Land in ein Nachbarland abgeschoben wird, dort aber nicht bleiben darf. Und wenn man dann (mangels zwischenstaatlichen Rücknahmeabkommens) im Dunkel der Nacht über die grüne Grenze wieder zurückgeschoben wird – um auf deren anderer Seite wieder vor demselben Problem zu stehen.

 

Der Roman, in dem der Verfasser unter anderem eigene Erfahrungen sowie ihm von Betroffenen geschilderte Erlebnisse verarbeitet hat, soll die Öffentlichkeit wachrütteln. In einem Vorwort schreibt der Autor: »Wenn das Buch dazu beiträgt, die Aufmerksamkeit zu steigern und das Schicksal der Unschuldigen zu mildern, die Opfer wurden, hat es seinen Zweck erfüllt.«

 

Verfasst hat die Flüchtlingsgeschichte ein selbst Betroffener (auch wenn es sich bei ihm nicht um einen »einfachen Flüchtling« handelt). In der Fremde zurechtkommen konnte er eine Zeitlang nur, weil er sich mit eigenem Geld einen Pass zu besorgen vermochte, der immerhin zwei Jahre gültig war, wenn auch nicht ohne Falschangaben auskam.

 

Erst ein halbes Jahr nach der englischsprachigen Übersetzung konnte der Roman in der Muttersprache des Autors erscheinen – im November 1941 unter dem Titel »Liebe Deinen Nächsten«. Erich Maria Remarque – vom Nazistaat ausgebürgerter Deutscher, der sich vorübergehend als angeblich panamesischer Staatsangehöriger auswies, dann mexikanischer und schließlich US-Bürger wurde – hat sich nicht nur während der Hochphase der seinerzeitigen Flüchtlingswelle, sondern auch danach für von Flucht und dem Problem fehlender Aufenthaltsberechtigung betroffene Menschen eingesetzt.

 

Die in so manchem Aufnahmeland zu hörende Frage »Was bietet der Flüchtling?« beantwortete Remarque so: »Seine einfache Menschlichkeit. Seine Fähigkeit zu fühlen, zu leiden, zu hoffen, zu arbeiten, nach etwas zu streben. Er ist aus jenem gewöhnlichen Lehm, der die Zivilisation aus Würmern und Dschungel erschaffen hat. Das ist genug.«

 

Der schon vor acht Jahrzehnten geschriebene Roman ist nicht nur spannend und lesenswert, sondern in den dargestellten Problemen – leider – nach wie vor aktuell. Herausgeber der um einen informativen Anhang ergänzten Neuauflage ist Thomas F. Schneider, Leiter des Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrums an der Universität Osnabrück.

 

Irene Denk

 

Erich Maria Remarque: »Liebe Deinen Nächsten«, Kiepenheuer & Witsch, 554 Seiten, 12,99 €

 

 

 

Fundsache

Am 21. Dezember 1967 erschien die folgende Karikatur unter dem Titel »Eskalation zum nationalen Duett« in Die Andere Zeitung. Zeichner: Ossietzky-Autor Conrad Taler. Ähnlichkeiten mit heutigen Personen oder Parteien sind rein zufällig.                                        

 

K. K.

 

 

Ben Akiba

Alles ist schon einmal dagewesen, sagt

 

Ben Akiba. Der Spruch ist gewagt. Hätte wirklich schon mal alles stattgefunden, wäre längst die Welt  verschwunden.

 

Günter Krone

 

 

Vom Aufbau eines Feindbildes

Die Bilder der jüngsten rechtsradikalen Ausschreitungen dominierten zwischenzeitlich ganze Tage lang Nachrichtensendungen und Onlineportale. Mittlerweile waren sogar hochrangige Politiker genötigt, sich von dem radikalen Mob zu distanzieren. Die Frage nach den Ursachen dieser Hass- und Gewaltwelle gegen Minderheiten wird allerdings eher selten gestellt. Und öffentlich geäußerte Antworten fallen zumeist mehr als dürftig aus.

 

Rechtsanwalt Eberhard Schultz thematisiert in seinem kürzlich erschienenen Buch die seit Jahren zielgerichtet verbreitete rassistische Propaganda, die sich überwiegend gegen Menschen muslimischen Glaubens richtet. In einem einleitenden Kapitel schildert er die Entstehung der Islamfeindlichkeit als Produkt des kolonialen Zeitalters, zitiert unter anderem die Philosophen Michel Foucault und Domenico Losurdo sowie den Soziologen Immanuel Wallerstein. Schultz widerspricht der häufig kolportierten Meinung, der besonders im Osten Deutschlands weit verbreitete Rassismus sei eine Erblast der DDR. Rassistische Einstellungen waren als Produkt einer jahrelang von Politik und Justiz praktizierten Abschreckungspolitik auch in den alten Bundesländern verbreitet, fanden aufgrund der sozialen Verwerfungen nach dem Ende der DDR dort allerdings einen besonders günstigen Nährboden.

 

Ausführlich behandelt Schultz den vor allem nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zunehmenden Rassismus in Regierungen und Justizapparaten. Politiker und Beamte bauten den Islam zielgerichtet als Feindbild auf, um dann im Namen des Kampfes gegen den »islamistischen Terrorismus« immer mehr Bürgerrechte außer Kraft setzen zu können. Lesenswert ist ein leider nur kurzer Abschnitt, in dem Schultz auf die wenig rühmliche Rolle von Geheimdiensten und besonders auf die Geschichte und gegenwärtige Praxis des Verfassungsschutzes eingeht.

 

In weiteren Kapiteln beschreibt Schultz nach rassistischen Prinzipien ausgerichtete Fahndungsmethoden der Polizei, Beispiele konstruierter Anschuldigungen gegen muslimische Geistliche sowie Fälle ganz bewusst betriebener Verharmlosung, Vertuschung oder gar Unterstützung rassistischer Gewalttäter durch Behörden und Polizei. Nein, die jüngst bekannt gewordenen Entgleisungen des inzwischen ehemaligen obersten »Verfassungsschützers« Maaßen konnten in das Buch nicht einfließen. Aber gerade im Kontext dieses Geheimdienstskandals sollte das Werk unbedingt gelesen werden.                                    

 

Gerd Bedszent

 

Eberhard Schultz »Feindbild Islam und institutioneller Rassismus. Menschenrechtsarbeit in Zeiten von Migration und Anti-Terrorismus«, VSA, 222 Seiten, 15,80 €

 

 

Exhumierung Francos

Mit einer knappen Mehrheit hat das spanische Parlament am 13. September das Dekret über die Exhumierung des faschistischen Diktators Francisco Franco beschlossen. Noch vor Jahresende soll der Leichnam des am 20. November 1975 Verstorbenen aus dem »Valle de los Caídos« entfernt werden (s. Ossietzky 18/2018). Mit der Abstimmung hat Ministerpräsident Pedro Sánchez (Partido Socialista) bewiesen, dass seine Minderheitsregierung handlungsfähig ist. Bei der Abstimmung enthielten sich die Abgeordneten der Partido Popular (PP) und der Ciudadanos (Bürgerpartei). Zwei Abgeordnete der PP, auch der ehemalige Parlamentspräsident Jesús Posada, stimmten mit Nein.

 

Mit dem Parlamentsbeschluss beginnt endlich die weitere Aufarbeitung der Franco-Diktatur.             

 

Karl-H. Walloch

 

 

Vom Zwang gestriger Moral

Christoph Hein scheint sich zu beeilen, seine Chronik deutscher Geschichte anhand von Einzelschicksalen immer reicher machen zu wollen. Nach »Glückskind mit Vater« (2016) und »Trutz« (2017) liegt ein »neuer Hein« – »Verwirrnis« – vor, und auch dieses Buch sollte man sich nicht entgehen lassen.

 

Diesmal geht es um das Schicksal des Sohnes eines autoritären und streng gläubig katholischen Studienrates. Friedward ist schwul und findet schon früh in Wolfgang, dem Sohn des Kantors, die große Liebe. Selbstverständlich müssen sie in den prüden 50iger und 60iger Jahren ihre Beziehung geheim halten, und das gelingt sogar einigermaßen pfiffig dank einer Vereinbarung mit einem lesbischen Paar. Friedward wird ein angesehener Germanist, der auch noch nach dem Wegfall des Homosexuellenparagraphen seine sexuelle Neigung verschweigt. Dass er nach der Wende gezwungen werden soll, sein Geheimnis einem Ministerium mitzuteilen, gleicht für ihn der Züchtigung mit dem Siebenstriemer, die er noch als Abiturient durch seinen Vater erleiden musste. Friedward entscheidet sich für den Suizid.

 

Wieder ein deutsches Schicksal, das sich an gesellschaftlichen Zwängen wund reibt. Hein schildert beeindruckend die Enge und Brutalität von Elternhaus und Kleinstadt, aber auch die Atmosphäre während des Studiums in Leipzig. Hier ist ein Kabinettstück besonderer Art gelungen, denn Hans Mayer und sein Wirken in Leipzig finden im Buch eine schöne literarische Würdigung. Da fällt die fast ausschließlich dokumentarische Darstellung der Ereignisse an der Universität in der Nachwendezeit ein bisschen ab, was jedoch den Genuss am Ganzen wenig mindert.

 

Christel Berger

 

 

Christoph Hein: »Verwirrnis«, Suhrkamp, 302 Seiten, 22 €

 

 

 

Walter Kaufmanns Lektüre

Das macht ihm so bald keiner nach: auf drei Buchseiten, zuweilen gar weniger, ein Schriftstellerleben aufzuzeigen und dabei entlang der Höhepunkte im Schaffen eines jeden viel Nähe zu vermitteln. Der Lyriker, Essayist und Biograf Hans Magnus Enzensberger schöpft aus dem Vollen. Seine 99 literarischen Vignetten, die er mit »Überlebenskünstler« überschreibt, bestechen allesamt, sie werden dem anfangs vorgestellten Knut Hamsun gerecht, der mit seinem späten »Auf überwachten Pfaden« verlorene Wertschätzung zurückgewinnt, und am Schluss singen sie dem noch lebenden Albaner Ismail Kadare ein wundersames Loblied: Über ihn schreibt Enzensberger so, dass es einen auf der Suche nach dem Roman »Der General der toten Armee« zur nächstgelegenen Bibliothek drängt. Ähnliches passiert quer durch das Buch, das kaum einen namhaften Schriftsteller des 20. Jahrhundert unerwähnt lässt – Gelesenes will neu gelesen, Unbekanntes aufgespürt werden. Man sieht das eigene Urteil bestätigt, gewinnt zunehmend Vertrauen in Enzensberger, nicht zuletzt auch seines geschliffenen Stils wegen und der gekonnten Gestaltung der Vignetten. Vignetten? Das Wort lässt an zu den Rändern hin unscharf werdende Miniaturgemälde denken. Weit verfehlt! Was Enzensberger zustande bringt, ist durchweg klar umrissen, es haftet im Gedächtnis und summiert sich zu einer Art Enzyklopädie von 99 Künstlern, die der Nachwelt gute Bücher hinterließen.        

 

W. K.

 

Hans Magnus Enzensberger: »Überlebenskünstler. 99 Literarische Vignetten aus dem 20. Jahrhundert«, Suhrkamp, 367 Seiten, 24 €

 

 

Vorsicht und Rücksicht

Man will es einfach nicht glauben …, aber bei Flensburg denken die meisten nicht an die nördlichste Stadt Deutschlands, sondern eher an die Punkte, die man dort durch Verkehrsdelikte angesammelt hat. Seit 1957 werden all unsere kleinen und großen Verfehlungen auf der Straße im Verkehrszentralregister – auch Verkehrssünderkartei genannt – erfasst. Hat man acht Punkte angesammelt, dann ist der Führerschein (sprich »Lappen«) erst einmal weg.

 

Den Führerschein gibt es in ganz Deutschland seit 1909. Obwohl wir Deutschen ja schon immer für unsere Ordnungs- und Regulierungswut bekannt sind, waren wir in dieser Angelegenheit aber beileibe nicht die Vorreiter in
Europa.

 

Nein, die Franzosen waren da viel, viel schneller. Sie führten bereits 1893, also vor 125 Jahren, in Paris weltweit die erste Führerscheinprüfung ein. Dabei mussten die Anwärter vor allem zeigen, dass sie ihr knatterndes Gefährt notfalls reparieren konnten. (Die theoretische Prüfung wurde in Frankreich erst 1970 eingeführt.) Nach bestandener Prüfung durften sie mit maximal zwölf Stundenkilometer durch die Stadt fahren. Übrigens war es mit der Herzogin von Uzès eine Frau, die den ersten Führerschein machte. Doch drei Monate später erhielt sie den ersten Strafzettel, weil sie zu schnell gefahren war.

 

Obwohl das motorisierte Verkehrsaufkommen damals noch ziemlich überschaubar war, herrschten doch recht raue Sitten auf der Straße. Es soll mitunter zu regelrechten Prügeleien zwischen Fußgängern und Automobilisten gekommen sein. Da kann man ja froh sein, dass es heute wenigsten beim Stinkefinger bleibt.

 

Manfred Orlick

 

 

 

Fundamentalopposition

Die Forderungen ins Unmögliche steigern und das Mögliche verweigern.

 

Günter Krone


 

Zuschrift an die Lokalpresse

Das Maaßen-Maß ist voll, verkündeten die Medien. Der oberste Verfassungsschützer muss seinen Schlapphut nehmen und sich ins Innenministerium trollen. Die wochenlangen Auseinandersetzungen über seine streitbaren Bewertungen und über das, was er gemeint, aber nicht gesagt hat, sind durchgestanden, und die angeschlagene GroKo einschließlich ihrer Repräsentanten kann sich in die nächste Phase des Schlagabtauschs hineinwinden. Der Berliner Kurier titelte am 20. September: »Was Maaßen die sich an!« Endlich können sich die Medien auch wieder anderen Themen widmen, so den katholischen Missbrauchsskandalen, dem wachsenden Lebensalter der freiheitlich-demokratischen Senioren, der Rentenunsicherheit und den Berichten über die illegalen Hitzepausen der Playmobil-Mitarbeiter (Märkische Allgemeine vom 18.9.18). Ich finde es gut, dass sich das juristische Prinzip »Im Zweifel für den Angeklagten« wiederum an einer repräsentativen Persönlichkeit durchgesetzt hat. Vor dem Gesetz sind halt alle gleich, manche nur etwas gleicher. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob eine Verkäuferin gedankenlos eine übriggebliebene Schrippe in sich hineingemampft und damit volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet hat oder ob sich ein »klassischer Beamter, der eben den Dienst da tut, wo er hingestellt wird« (H. Seehofer, zitiert im Berliner Kurier v. 18.9.18) einmal irrte. Das kann schließlich jedem passieren, denn jeder Mensch macht Fehler. Ich wollte, ich hätte auch einen. – Sebastian Schlauberger (38), Logistiker, 54689 Irrhausen

 

Wolfgang Helfritsch