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Titel0210

Die feine Art der üblen Nachrede  (Hans Krieger)

Sehr vornehm kann die üble Nachrede sein und sehr diskret die Manipulation der öffentlichen Meinung. Wie macht man unbequeme Wahrheiten unschädlich? Wie wehrt man sich dagegen, daß die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland den Krieg in Afghanistan für ethisch nicht verantwortbar erklärt hat? Bloß die übliche Kriegsrhetorik in Stellung zu bringen (»unsere Sicherheit«, »den Terroristen nicht das Feld überlassen«), wäre plump, und die Verlagerung des Schauplatzes der Debatte (»Darf die Kirche sich in die Politik einmischen?«) reicht allein nicht aus. Subtiler macht es ein Blatt, das mit dem Slogan »Seien Sie anspruchsvoll!« um Leser wirbt, die Süddeutsche Zeitung: Sie schickt der Bischöfin eine Reporterin ins Haus, die nicht etwa fragt, wie Margot Käßmann zu ihrer Überzeugung gekommen ist, wie sie sie nicht nur ethisch, sondern auch politisch begründet und welche Wege sie sieht, aus einem nicht zu verantwortenden Krieg auf verantwortbare Weise herauszukommen. So zu fragen, wäre riskant, denn es könnte sich ja zeigen, daß Margot Käßmann nicht nur ihre Bibel kennt. Lieber knüpft man ein anekdotisches Rankenwerk, schwärmt von Käßmanns »entwaffnenden Offenheit«, evoziert die disziplinierte Zähigkeit, mit der sie, Kind von Flüchtlingen aus Pommern, sich durchs Leben kämpfte, befragt den schneeschaufelnden Chauffeur und läßt sich von ihm sagen, daß er manchmal nicht weiß, ob er »einen Popstar oder eine Bischöfin« durchs Land kutschiert. Und ruft theologische Vaterfiguren als Zeugen auf, die mit liebevoller Besorgtheit auf eine herzensreine Gläubige blicken, die sich von »strong feelings« leiten läßt (was mit »brennende Leidenschaft« übersetzt wird).

Eine Gutmenschin also, wohlmeinend und arglos. So präsentiert die SZ auch das Foto: riesenhoch, in halber Untersicht, den verklärten Blick nach oben gerichtet, die Hände zum Gebet gefaltet. Wir blicken zu Margot Käßmann auf, um besser auf sie herabblicken zu können. Den Rest läßt die Reporterin den Theologen Richard Schröder erledigen, der »längst Bundespräsident geworden« wäre, wenn er sich »vorzeigbarer« gäbe. Schröder schätzt Käßmanns »Nähe zu den Menschen«, würde aber seine »Exkommunikation beantragen«, wenn ihre Haltung zu Afghanistan die offizielle Position der Evangelischen Kirche würde. Denn die Kirche habe zwar »für Gewaltlosigkeit einzutreten«, könne aber den Erfolg der Gewaltlosigkeit nicht garantieren und sei darum »für den Analyseteil« unzuständig Schließlich sei ja nicht ohne Grund auch die Polizei bewaffnet. Schröder ist »ein Denker«; man »spürt«, daß es ihn »schmerzt, wenn etwas nicht zu Ende gedacht wird«. Der Zuendedenker wird nicht gefragt, ob er es für richtig hielte, wenn die Polizei Häuser bombardiert, in denen sie einen gesuchten Bankräuber vermutet.

Nichts Besonderes ist an dieser Geschichte: ein Zufallsbeispiel aus dem journalistischen Alltag. Und eben darum exemplarisch: Es fällt schon gar nicht mehr auf. Wer nimmt noch Anstoß daran, daß es in Berichten über Palästina regelmäßig heißt, die Hamas habe sich im Gazastreifen »an die Macht geputscht«, obwohl längst erwiesen ist, daß es sich um die Abwehr eines von den USA und Israel finanzierten und mit Waffen versorgten Gegenputsches gehandelt hat? Selbst Blätter, die über die Enthüllung des wahren Sachverhaltes halbwegs korrekt berichtet haben, wiederholen mantraartig die Mär vom Putsch der Hamas. Und niemand fragt, gegen wen eine in einwandfreien demokratischen Wahlen mit absoluter Mehrheit an die Regierungsmacht gelangte politische Gruppierung eigentlich geputscht haben sollte.

Es fällt schon gar nicht mehr auf, wie bescheiden wir als Leser geworden sind, die sich für anspruchsvoll halten. Es fällt schon gar nicht mehr auf, daß unsere Presse nicht gleichgeschaltet werden muß, um gleichgeschaltet auszusehen.