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Die Gottbegnadete  (Hans Canjé)

Die Preußische Allgemeine Zeitung sieht schwarz: »Die Säuberung des kulturellen Gedächtnisses der Bundesrepublik geht weiter«, wehklagt die Reaktion. Der Grund: »Agnes Miegel wird ›entsorgt‹«. Eine Meldung aus Osnabrück hat die Blattmacher aufgeschreckt. Die dortige Agnes-Miegel-Realschule wird ab dem zweiten Schulhalbjahr Berta-von-Suttner-Realschule heißen. Ein von Schülern, Eltern und Lehrern lange diskutierter, 65 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus und angesichts der Vita der bisherigen Namensgeberin längst fälliger Schritt. Zum Fest des 50jährigen Bestehens der Schule am 23. April wird im Schulnamen der Name der Frau getilgt, die Adolf Hitler persönlich noch im Herbst 1944 in die sechs Namen umfassende Sonderliste der »Gottbegnadeten« als »überzeugendes nationales Kapital« aufnehmen ließ.

»Entsorgt« wird nun auch in Düsseldorf. An der rheinischen Realschule in der Tersteegenstraße, die 1958, wie es auf der Internetseite der Schule heißt, »auf allgemeinen Wunsch von Schülern, Eltern und Lehrern den Namen der ostpreußischen Dichterin Agnes Miegel erhielt«, wird es sich im Oktober dieses Jahres ebenfalls ausmiegeln, nachdem vor allem die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Reimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) schon seit Jahren darauf gedrungen hatte. Im Foyer der Schule begrüßt bisher eine von Arno Breker, dem Hofbildhauer des braunen Regimes, geschaffene Büste die Besucher und ehrt die Frau, die nach dem Überfall des faschistischen Deutschland auf Polen ihren blutrünstigen Schrei »An Deutschlands Jugend« verfaßte: »Jugend Deutschlands! Singend voran den Völkern /zogst Du in Deinen Tag, den Tag der Zukunft!/ (...) folgend dem Ruf des Führers/ Stehen zum erstenmal nicht Gatten und Brüder/ nur allein, wir stehen, Frauen und Kinder,/alle im Kampf und stehen gefaßten Herzens,/ auf uns zu nehmen wie sie die Schrecken des Krieges:/ Feuer und Nacht und Not und grausames Sterben,/ wie es das Schicksal bestimmt. (...)«

Im westdeutschen »Ostkundeunterricht« stand die Heimat der 1879 in Königsberg geborenen Agnes Miegel auf der Liste der heimzuholenden Provinzen, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg »geraubt« worden waren. Für diese Sicht der Dinge sorgte in Bonn von 1953 bis 1960 Theodor Oberländer, ein schwerer Kriegsverbrechen überführter Bundesvertriebenenminister, der am 23. März 1953 tönte: »Wir sind angetreten, um den deutschen Osten wieder zu gewinnen.« In Rußland warte »Boden auf uns«, verkündete er am 13. Juni 1957. »Dort müssen wir Wurzeln fassen. Das müssen wir der Jugend immer wieder einimpfen und sie darauf vorbereiten.«

Das hatte auch die heute noch von den Revanchistenverbänden als »Mutter Ostpreußens« Gefeierte gesungen und dabei in einem 1938 dem »Führer« gewidmeten devoten Lobgesang geschrieben: »(...) Laß deine Hand/ Führer! uns vor aller Welt bekennen:/ Du und wir/ nie mehr zu trennen,/ stehen ein für unser Vaterland!« 1940 legte sie noch eins darauf: »Übermächtig erfüllt mich mächtiger Dank, daß ich dieses erlebe,/ Dir noch dienen kann, dienend den Deutschen/ mit der Gabe, die Gott mir verlieh (...)«

Im rheinischen Willich ist die Trennung von Agnes Miegel schon seit Beginn des Schuljahres 2008/2009 vollzogen, nachdem Schulleitung, Eltern und Schüler, nicht zuletzt durch eine Studie der VVN-BdA, Aufklärung über die Rolle der vorgeblich »unpolitischen Dichterin« erhalten hatten. Die Offene Gesamtschule trägt nun den Namen der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. So bleibt von einstmals 40 Agnes-Miegel-Schulen nur noch die in Wilhelmshaven, die trutzig am zwielichtigen Namen festhält. Die dortige Schulleitung hat kein Problem mit der »Affinität zu nationalsozialistischen Ideen«, die Fischers »Biographisches Lexikon zum Dritten Reich« der Schriftstellerin bescheinigt. Schon dreimal lehnte der Rat der Stadt Anträge auf Umbenennung ab und wischte damit auch die Forderung der Wilhelmshavener Jungsozialisten vom Tisch: »Eine Schule, die junge Menschen ausbildet und prägt, darf nicht mit einem solchen Namen belastet sein. Wilhelmshaven darf nicht die letzte Stadt in Deutschland sein, die an diesem Namen festhält«.