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Der Job der treuen Hand  (Kurt Pätzold)

Die Stuttgarter Zeitung hat exakt ein Vierteljahr Abstand von jenem Datum gehalten, das in Kalendern als Tag der Deutschen Einheit vermerkt ist. Dann erst lenkte sie die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf ein Buch, das im August 2010 auf den Büchermarkt gelangt war, aber doch ungeeignet erschien, am runden, dem zwanzigsten Jahrestag beworben zu werden. Alles zu seiner Zeit.

Knapp nur stellte die Feuilleton-Redaktion die Publikation vor, zu deren Urhebern zwei Professoren der Universität Münster und ein Professor der im Ländle gelegenen Universität Konstanz gehören. Letzterer, Hans Theile, Lehrstuhlinhaber für Kriminologie, Strafrecht, Strafprozeß- und Wirtschaftsrecht, kommt in einem Gespräch mit einem Journalisten zu Wort. Den Inhalt kündigt die Überschrift »Verbrechen der Wende« an. Sein Gegenstand sei eine »Analyse der Straftaten in der Zeit der Treuhandanstalt«. In vierjährigen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Studien seien unter anderem 76 Interviews mit Beteiligten geführt worden. Das Buch könne als Kriminalgeschichte beschrieben werden, denn: »Nicht in allen, aber in vielen Fällen ging die Übereignung (die elegante Formulierung meint die Privatisierung der Betriebe; K.P.) einher mit Straftaten.«

Sensationell läßt sich das Resultat nicht nennen. Die untersuchten Vorgänge haben Gerichte beschäftigt. Jetzt, wird versichert, sei deren Tiefenprüfung vorgenommen worden. An Beispielen wird dargetan, wie es damals zuging im Dorado, das der deutsche Osten geworden war. Ausgewählt wurden die Privatisierung der ostdeutschen Werften durch die Bremer Vulkan, die Abwicklung des Ostberliner Wärmeanlagenbaus und des Metallurgiehandels sowie Vorgänge bei der Treuhandstelle in Halle. Für die Untersuchung des Umgangs mit den Leuna-Werken hätten die Gelder nicht mehr gereicht, sagt der Konstanzer Professor. Doch: Wiewohl die Arbeit bei weitem nicht getan sei, müsse man davon ausgehen, »daß es in vielen Fällen zu strafbaren Handlungen kam«. Nur, schränkt er ein, lasse sich nicht sagen, daß »jede einzelne Privatisierung durch Straftaten geprägt war«. Das ist beruhigend und soll es wohl auch sein.

Nun wollte der forschende Journalist nicht nur den groben Befund erklärt haben, sondern wissen, wie es in einem Rechtsstaat zu derart gehäufter Wirtschaftskriminalität kommen konnte. Die Antworten, die er erhielt, seien unkommentiert aufgezählt. Sie geben ungewollt auch in dieser nackten Form einen Fingerzeig darauf, wie am Ufer des Bodensees Wächter des Rechts herangebildet werden. Zunächst einmal sei es die Größe der Aufgabe gewesen, aus der sozialistischen eine kapitalistische Wirtschaft zu machen, die bewirkt habe, daß »es natürlich zu zahlreichen Wirtschaftsstraftaten kam«. Zweitens seien »in dieser spezifischen Situation der Privatisierung« eben »erhebliche Gelegenheiten für strafbare Handlungen« entstanden. Und wie der Volksmund schon weiß: Gelegenheit macht Diebe. Drittens habe es innerhalb der Treuhand wie auch in Polizei und Justiz an Kontrollorganen gefehlt. Das sei ein »Rekrutierungsproblem« gewesen. Viertens habe die Vorstellung existiert, die »Betriebe wahnsinnig schnell privatisieren« zu müssen, da hätten »Kontrollen nur hinderlich gewirkt«. Jedenfalls hätten sich die Forscher gefragt, ob die Treuhand unter solchem Druck »absichtlich nicht so genau hingeguckt hat«. Fünftens sei auch das Personal der Treuhand nicht durchweg von wünschenswerter Qualität gewesen. Sechstens habe begünstigend gewirkt, daß die Mitarbeiter dieser Anstalt zivilrechtlich von jeder Haftung freigestellt waren, sie also bei von ihnen angerichteten Vermögensschäden ungeschoren davonkamen.

Wie gelassen sich die Forscher auf die Spur offenkundiger Rechtsverstöße begaben, bezeugt eine weitere Frage, die sie sich bei ihrer Untersuchung stellten: Sie überlegten, ob »es volkswirtschaftlich sogar funktional war, daß Betriebe durch Ausplünderung kaputtgehen«, die – nach dem Urteil der Plünderer – »ohnehin nicht überlebensfähig gewesen wären«. Nach alledem überrascht das Fazit des Juraprofessors nicht: Die Straftaten seien zwangläufig passiert, mit der Treuhand sei »eine intelligente Lösung gefunden« worden, sie habe »keinen schlechten Job gemacht«. Na dann: Vorwärts zur Gewinnung des ausstehenden »gültigen Gesamtbildes der Wendekriminalität«. Eigentlich hätte sich das Buch auch in der Ausgabe des 3. Oktober 2010 vorstellen lassen.

Klaus Boers, Ursula Nelles, Hans Theile (Hg.): »Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe«, Nomos Verlag, 684 Seiten, 98 €