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Ein Buch, quer zum »Preußenjahr«  (Kurt Pätzold)

In einem Moment, da alle Medienscheinwerfer grell auf den Preußenkönig gerichtet sind, für ihn Feste und Flötenkonzerte, gar Staatsakte stattfinden, Buchhandlungen Publikationen mit Titeln wie »Unser König« und »Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen« anbieten, kommt Gerd Fesser, ein ausgewiesener Spezialist der preußischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, mit diesem schmalen, geschmackvoll gestalteten Bändchen daher. Seiner Aufmachung diente ein Ausschnitt aus einem Gemälde »Blüchers Rheinübergang bei Kaub am Neujahrsmorgen 1814«. Es stammt von dem Schlachtenmaler Wilhelm Camphausen (1818–1885) und ist im Deutschen Historischen Museum zu sehen.

Um die hochdramatischen Ereignisse der Jahre 1806/07 bis 1815, die Zeitspanne zwischen Jena und Auerstedt und Waterloo, rankt sich eine komplette Mythologie. Ebenso um die im Vordergrund der rasch wechselnden historischen Szenen agierenden Personen. Die allgemeinste, aber nicht alleinige Ursache für deren Entstehung bildet die immer aufs Neue entdeckte Verwendbarkeit des Geschehens für verschiedenste, vor allem »volksbildende« Zwecke. Aus jenen Jahren stammen Sprachbilder wie »Volk brich auf und Sturm brich los« und »Gold gab ich für Eisen« und »Marschall Vorwärts«. Da ist zum wirklich Geschehenen vielerlei Zutat, Ausschmückung, Überhöhung, Verklärung gegeben worden.

Fesser macht den Leser zunächst mit der Realgeschichte bekannt, anschließend schildert er deren sich wandelnde Überlieferung, die Entstehung der Geschichtsbilder und deren Funktionen. Er verweist auf den Anteil, der Historikern mit Namen und Rang vor allem im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts an jenem Prozeß zukommt, der Bilder und Wirklichkeit immer weiter voneinander entfernte. Und er handelt von jenen seiner Zunftkollegen, die dem entgegentraten, ohne einen Sieg à la Cannae oder Stalingrad errungen zu haben. Das verhindern heute schon Drehbuchautoren von Fernsehfilmen, die immer aufs Neue aus geschichtlichen Vorgängen ihren Unterhaltungsstoff gewinnen.

Wer wissen will, wie aus der Königin Luise, der Gattin des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III., die »Königin der Herzen«, die »Preußenmadonna«, eine nahezu religiöse Figur wurde, sie in einem 1957 in der Bundesrepublik gezeigten Spielfilm gar zur »Lehrmeisterin der Friedensliebe« aufrückte, wird in Fessers Buch fündig. Dessen letztes Kapitel nimmt eine breitere Perspektive auf die Preußenmythen, fragt unter anderem wie und warum Begriffen wie »Preuße« und »Preußentum« noch immer positive Inhalte zugeschrieben bekommen. Das paßt ganz zu dem, was im erklärten »Preußenjahr 2012« droht.

Schön, daß Fesser an die Verdienste von Helmut Bock, Ingrid Mittenzwei, Karl Gass, natürlich Ernst Engelberg erinnert, denen in der DDR ein differenziertes, geschichtskritisches Bild Preußens zu danken ist. Da wären auch Literatur- und Kunsthistoriker und Schriftsteller zu nennen gewesen. Schade, daß der Name Olaf Groehler fehlt, dessen Band über die Kriege Friedrichs II. viele Auflagen erlebte. Die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem »Erbe Preußen« in DDR-Zeit kann übrigens ohne einen Blick in die Schulgeschichtsbücher nicht geschrieben werden. Keine Literaturgattung fand eine größere Zahl von Lesern. Darauf wird zurückzukommen sein.

Gerd Fesse: »Preußische Mythen. Ereignisse und Gestalten aus der Zeit der Stein/Hardenbergschen Reformen und der Befreiungskriege«, Donat Verlag, 192 Seiten, 16,80 €