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Titel022014

Der Kapitalismus und der Krieg  (Otto Köhler)

Am 24. Dezember wäre Robert Kurz 70 Jahre alt geworden, wenn nicht ein Werkzeug jenes privatisierten Gesundheitswesens eingegriffen hätte, das er bekämpft hatte. Kurz – entschiedener Gegner des von einem Ärztekammerpräsidenten propagierten »sozialverträglichen Frühablebens« – mußte am 18. Juli 2012 in einer Nürnberger Klinik sterben. Er sollte wegen Tumorverdachts an der Niere operiert werden. Doch da war kein Tumor. Der operierende Arzt verletzte die Bauchspeicheldrüse. Es entstanden qualvolle Entzündungen, sechsmal noch wurde Kurz operiert wegen des so erzeugten Fehlers ärztlicher Kunst.

Robert Kurz war aus dem Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands gekommen und wurde einer der bedeutendsten marxistischen Denker der Gegenwart. Mit seinem »Schwarzbuch Kapitalismus – Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft« (1999/2009) erledigte er das allseits geförderte »Schwarzbuch Kommunismus« (1997), das den Endsieg über jeglichen Sozialismus feierte.

Robert Kurz hat uns nach seinem herbeigeführten Tod drei Bücher hinterlassen. Bei Horlemann »Geld ohne Wert«, eine grundlegende Neuinterpretation der Kritik der politischen Ökonomie, die er fertigstellen konnte, bevor er in die Nürnberger Klinik eingeliefert wurde. Zwei andere Bücher entstanden aus wichtigen Zeitschriften-Artikeln. Im Laika-Verlag »Der Tod des Kapitalismus« – Quellen und Entstehungszeit der einzelnen Aufsätze sind fast nie genannt, immerhin enthält der Band ein Verzeichnis seiner Bücher und wichtigsten Zeitschriftenaufsätze. »Weltkrise und Ignoranz« in der Edition Tiamat bietet mit sorgfältiger Quellenangabe 23 Zeitschriftenaufsätze von 1991 bis 2012.

Es bleibt unendlich viel aufzuarbeiten aus dem umfangreichen Werk von Robert Kurz. Am wichtigsten aber erscheint mir in unserem immer mehr dem Bellizismus verfallenden Staat ein Kapitel aus »Geld ohne Wert«, das aus einem im Tiamat-Band nachgedruckten Aufsatz »Der Knall der Moderne« (2002) weiterentwickelt wurde: die Geburt des Kapitalismus aus dem Krieg, die Symbiose von Geld und Militär.

Daß beide zusammengehören, hatte Werner Sombart, der Hymniker des Ersten Weltkriegs und antisemitische Lobredner Adolf Hitlers, bereits 1913 in seinem soziologischen Werk »Krieg und Kapitalismus« erkannt. Nach dem Zweiten forschte – weniger freudig – der Mainzer Sozialwissenschaftler Karl Georg Zinn auf diesem Gebiet. Aber erst Robert Kurz erkannte den engen Zusammenhang von Schießpulver und der Entstehung der Kapitalismus.

Das Schwarzpulver – angeblich erfunden von dem legendären Franziskanermönch Berthold Schwarz – lag in der Wiege unserer Kultur. Die Chinesen kannten den Explosivstoff schon länger, nutzten ihn aber vornehmlich für prachtvolles Feuerwerk. Als Mordwerkzeug blieb das Pulver dem christlichen Abendland vorbehalten. Bischof Nikolaus I. von Konstanz setzte erstmals ein mit Pulver betriebenes Geschütz gegen seine Feinde ein.

Durch das Schießpulver wurde der Krieg ein Motor der ursprünglichen Akkumulation. Der vormoderne Krieger brachte seine Waffen mit und trug sie auch im Alltag oder bewahrte sie zu Hause auf. Helm, Schild und Schwert konnten nahezu in jeder Dorfschmiede produziert werden. Die elementaren Grundlagen von Hieb- und Stoßwaffen bis zu Belagerungsmaschinen blieben über Jahrtausende gleich. Erst die Feuerwaffen, Musketen und Raketen brachten, schreibt Kurz, »jene neue Qualität einer die unmittelbare menschliche Kampfkraft transzendierenden Vernichtungsmaschine, die zusammen mit dem Krieg auch die sozialen Grundlagen umwälzen sollte«.

Die Produktion von Feuerwaffen war nicht mehr dezentral im Rahmen der agrarischen Haus- und Naturalwirtschaft zu leisten, sie mußte gesellschaftlich konzentriert werden. Und selbstverständlich auch die Soldaten, die nicht mehr erst bei Bedarf aus den Bauern rekrutiert werden konnten. So entstanden die stehenden Heere und Militärapparate, deren Angehörige nunmehr, so Kurz, »hauptberufliche Killer« waren (die erste, völlig unnötige Sorge von US-Generalen beim Brunnenbohreinsatz der Bundeswehr in Afghanistan war, die Deutschen müßten das Töten erst wieder lernen).

Das Halten von stehenden Heeren kostete Geld, das jetzt anderswo fehlte. »Der Anteil des landwirtschaftlichen Mehrprodukts, der für Vernichtungszwecke verbraucht wurde«, so beruft sich Kurz auf Zinn, »blieb während des Mittelalters relativ gering, sonst hätten weder die für den agrartechnischen Fortschritt notwendigen Investitionen erfolgen können noch wären so viele Kathedralen, neue Städte und Stadtbefestigungen errichtet worden. Vor allem sticht aber beim Vergleich von Mittelalter und Neuzeit die grundlegend verschiedene Qualität des technischen Fortschritts hervor: landwirtschaftliche Neuerungen im Mittelalter und städtische Rüstungs- und Luxustechnik bei Vernachlässigung der Landwirtschaft in der Neuzeit.«

Und so wurden die gesellschaftlichen Ressourcen in einem nie dagewesenen Umfang für militärische Zwecke umgeleitet. Aus dem Geld als Tauschmittel, entstand der Kredit für unproduktive Zwecke: Der moderne Kapitalismus ist die Ausgeburt der durch das Schwarzpulver ausgelösten militärischen Revolution.

Nachgelassene Werke von Robert Kurz: »Geld ohne Wert: Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie«, Horlemann Verlag. 420 Seiten, 16,90 €; »Der Tod des Kapitalismus«, Laika-Verlag, 164 Seiten, 14,90 €; »Weltkrise und Ignoranz: Kapitalismus im Niedergang«, Edition Tiamat, 240 Seiten, 16 €