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Titel022014

Keine Freude an der Restitutionsdebatte  (Thomas Rothschild)

Die Frage der Restitution von gestohlenen oder unter dem Druck der politischen Umstände unter Wert veräußerten Kunstwerken erregt, achtzig Jahre nachdem die inzwischen im Detail oft schwer zu rekonstruierenden Vorgänge stattgefunden haben, die Gemüter. Einmal mehr gilt Faulkners Satz, daß das Vergangene nicht tot, ja daß es nicht einmal vergangen sei.

Grundsätzlich halte ich es für sinnvoller, Kunstwerke, die in öffentlichen Sammlungen zugänglich sind, dort zu belassen, statt sie zurückzuerstatten, zumal die ursprünglichen Besitzer in der Regel tot sind und die »Restitution« in erster Linie der Bereicherung von Anwälten und Kunsthändlern dient. Aber warum sollen nur Juden von der De-facto-Enteignung betroffen sein? Das, in der Tat, würde lediglich das Nazi-Unrecht in die Gegenwart verlängern. Daß Kunstwerke nicht eine Ware sind wie jede andere auch, daß die Bevölkerung einen Anspruch auf sie haben sollte, daß also der Privatbesitz an Kunst an sich eine zweifelhafte Angelegenheit ist, läßt sich in unserer kapitalistischen Gesellschaft nicht vermitteln. Nichts scheint schützenswerter als das Eigentum – vom Grundstück am See bis eben hin zur Kunst, von der die Künstler selbst oft am wenigsten profitiert haben. Das gilt jedenfalls, wo die Eigentümer nicht das Pech hatten, Juden zu sein und nachhaltig den Schutz der Gesetze einzubüßen.

Aber es gibt einen triftigeren Grund, weshalb ich an der Restitutionsdebatte keine Freude habe. Sie bestärkt im »Sozialismus des dummen Kerls« die antisemitische Klischeevorstellung, daß die Juden alle reich gewesen seien und ihre Enteignung durch die Nationalsozialisten einen revolutionären Charakter gehabt habe. In Wahrheit hat sich der Prozentsatz der Juden, die teure Kunstwerke besaßen, nicht von dem der Kunstsammler in der Gesamtbevölkerung unterschieden: Er war verschwindend klein. Indem sich die öffentliche Diskussion auf die Rückgabe von Kunstwerken kapriziert, bagatellisiert sie die überwältigende Zahl der Fälle, in denen die Nachbarn das Geschirr und die Wintermäntel aus den Wohnungen der deportierten Juden geholt haben. Das ist das eigentliche Verdienst der Stolperstein-Initiative: Sie macht sinnlich erfahrbar, wie nah vor ihrer Vertreibung und Ermordung jüdische Menschen gewohnt haben, die allesamt Nachbarn hatten. Und die Verwandten, die ermordet wurden, lassen sich nicht restituieren. Das Leid der Hunderttausenden, denen die Eltern, die Geschwister, die Großeltern »gestohlen« wurden, verschwindet hinter den spektakulären Fällen von geraubten oder unter Preis erstandenen Kunstwerken. So gut die Absicht derer sein mag, die sich für die Rückgabe von Kunstwerken einsetzen: Objektiv tragen sie zu einer Verzerrung der Dimensionen bei. Eine »Wiedergutmachung« kann es nicht geben, wo man Tote nicht zum Leben erwecken kann. Ich wäre ja schon dankbar, wenn dafür eine Sensibilität bestünde. Doch davon will man nichts wissen. Davon hat man genug. Das ist »kein Thema mehr«. Der Rauch aus den Schornsteinen von Auschwitz hat sich verzogen. Schlagzeilen machen die Bilder in einer Dachkammer.