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Titel217

Fracksausen oder Neustart bei VW?  (Stephan Krull)

VW nähert sich dem Point of no return. Wer zieht die Notbremse?

 

Zwei Ereignisse prägen die Stimmung bei Volkswagen: das Fracksausen nach der Verhaftung des Managers Oliver Schmidt während einer Urlaubsreise am 8. Januar in Florida und die angeblich brillanten Verkaufszahlen des Jahres 2016.

 

Dem 48-jährigen Oliver Schmidt wird eine Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten angelastet. In Handschellen und Gefängniskleidung wurde Oliver Schmidt der Richterin vorgeführt, die die Haft aufrecht hielt. Im April 2014 schrieb Schmidt an seine Vorgesetzten: »Zunächst sollten wir entscheiden, ob wir ehrlich sein wollen oder nicht. Wenn wir nicht ehrlich sind, bleibt alles, wie es ist.« Schmidt habe zu einer Gruppe von Mitarbeitern gehört, die das Management bei einem Treffen am 27. Juli 2015 über die »Existenz, den Zweck und die Charakteristika« der Betrugssoftware sowie über die Risiken des Betrugs informierten. Statt die Aufklärung des Falls gegenüber den bereits unter Hochdruck gegen VW ermittelnden US-Behörden anzuordnen, habe die Konzernführung die am Gespräch beteiligten Manager autorisiert, die Tricksereien weiter unter den Teppich zu kehren. Die US-Behörden gehen von krimineller Energie des beteiligten Managements aus, mit dem der Betrug eingefädelt und verschleiert wurde. In Deutschland laufen Ermittlungsverfahren unter anderem gegen Martin Winterkorn, Hans Dieter Poetsch, Matthias Müller, Herbert Diess und weitere 20 Manager, die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelt. Piëch und Porsche blieben bisher verschont. VW-Markenvorstand Diess verpflichte einen hochkarätigen Rechtsbeistand für sich: Der Strafrechtsprofessor Tido Park verteidigte schon den Münchner Verwalter des NS-Kunstraubes Cornelius Gurlitt.

 

Gewichtig sind die Belastungen für Volkswagen durch das in den Betrug verstrickte Management und die Hauptaktionäre als Profiteure des Betruges. Klagen und Ermittlungsverfahren gegen Volkswagen laufen in vielen Ländern, so in der Schweiz, in Südkorea, in den USA, Kanada und Großbritannien, in Frankreich, Italien, Spanien, Belgien und durch die Europäische Union.

 

Und gewichtig sind auch die finanziellen Belastungen, die sich inzwischen auf über 25 Milliarden Euro belaufen. Wenn es nicht gelingt, Winterkorn und andere Manager dafür auch finanziell zur Verantwortung zu ziehen, wenn es nicht gelingt, die Betrugsdividende bei den Großaktionären des Porsche-Piëch-Clans und den Scheichs von Katar zu konfiszieren, werden die Beschäftigten und die Öffentlichkeit für diese gigantische Summe aufkommen müssen.

 

Noch dramatischer sind die Absatzzahlen – auch wenn der Konzern Rekorde verkündet und der oberste Platz auf dem Treppchen der Weltautomobilindustrie erklommen sein soll.

 

Der Konzern verkaufte weltweit 400.000 Autos mehr als im Vorjahr. Allein in China verkaufte er jedoch 430.000 Fahrzeuge mehr als im Jahr 2015, der Absatz stieg dort um 12,2 Prozent. In Deutschland hingegen gab es einen leichten Rückgang von 0,2 Prozent oder 3.000 Fahrzeugen – und dieses, obwohl der überwiegende Teil der verkauften Fahrzeuge inzwischen Geschäftswagen sind, es viele Eigen- und Händlerzulassungen gab und teure Rabattaktionen durchgeführt wurden. In den USA sank der Absatz um 2,6 Prozent und in Südamerika um fast 25 Prozent.

 

Noch schlimmer sieht es bei der Marke Volkswagen aus, das Verkaufsplus von 2,8 Prozent setzt sich zusammen aus minus 7,2 Prozent in Deutschland, minus 0,9 Prozent in Europa, minus 7,6 Prozent in den USA, minus 35 Prozent in Brasilien und plus 14 Prozent in China. Weltweit wurden zwar 150.000 Fahrzeuge mehr mit dem VW-Logo verkauft als im Vorjahr, allein in China jedoch 370.000 Autos mehr.

 

Man kann das feiern, man kann aber auch zu dem Schluss kommen, dass sich eine höchst gefährliche Abhängigkeit von einem Markt ergeben hat, die durch neue Produktionsstätten in Kenia, Ruanda und Nigeria nicht ansatzweise aufgefangen werden kann.

 

Man kann auch zu dem Schluss kommen, dass ein Festhalten an der überkommenen Produktion von Autos – und seien es Elektroautos, die autonom fahren – in die Sackgasse führt. Nötig wäre ein Neustart, der die Transportbedürfnisse in urbanen Zentren wie in infrastrukturarmen Regionen in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt, der die Endlichkeit der Ressourcen berücksichtigt, der die Belastung des Klimas minimiert. Solange private Eigentümer, in diesem Falle der Porsche-Piëch-Clan und die Scheichs von Katar, auf maximale Profite orientieren, ist ein solches Umdenken nicht zu erwarten. Solange das alte, in den Betrug verstrickte Management am Ruder bleibt, ist ein Neustart nicht in Sicht.

 

Bevor der Point of no return für Volkswagen erreicht ist, sollten die niedersächsische Landesregierung als weiterer Großaktionär und die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mit ihrer Mehrheit von zwölf Stimmen die Notbremse ziehen und diesen Neustart durchsetzen – gepaart mit einem neuen Konzept von Wirtschaftsdemokratie unter Einbeziehung der Beschäftigten, der Kommunen und Regionen als Mobilitätsnachfrager, der Umweltbehörden und weiterer gesellschaftlicher Gruppen. Die politischen, ökonomischen und die technisch-kommunikativen Voraussetzungen für einen solchen Neustart sind gegeben und müssen ergriffen werden.

 

Dem amtierenden Management ist die Betriebserlaubnis und den Hauptaktionären die Verfügungsgewalt über das Unternehmen zu entziehen! Nur so kann es den dringend nötigen Neustart geben.