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Titel219

Whistleblowing könnte Werte schaffen  (Hermann Theisen)

George Orwell soll 1945 auf Englisch geäußert haben, Freiheit sei das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen, und auf diese Äußerung wird in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um Freiheits- und Informationsrechte im digitalen Zeitalter immer wieder Bezug genommen. Doch auch für Wirtschaftsunternehmen könnte der Satz eine lohnenswerte Ermutigung sein, wenn es um das Ausloten ihres Umgangs mit Whistleblowing geht. Warum könnte es für Unternehmen gewinnbringend sein, ihre meist kritisch-ablehnende Haltung zum Whistleblowing in eine konstruktiv-bejahende Haltung zu verändern? Die Frage wird nachfolgend anhand wirtschaftsethischer Prämissen und aktueller Strafverfahren zu Whistleblowing-Aufrufen erörtert.

 

Wirtschaftsethik stellt die Frage, inwieweit moralische Ideale, gesetzliche Normen und ethische Werte unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft zur Geltung gebracht werden können, ohne dabei im Widerspruch zueinander stehen zu müssen. Voraussetzung dafür ist die unternehmerische Bereitschaft, eigenes Handeln unter Einbeziehung sämtlicher beteiligter Interessensgruppen kritisch zu reflektieren. Das Interesse der Shareholder (Anteilseigner) an Gewinnoptimierung wird dabei ebenso berücksichtigt wie das Interesse der kritischen Öffentlichkeit, der eine wichtige Rolle bei der politischen und ökonomischen Willensbildung zukommt und die das öffentliche Meinungsbild prägt sowie Gesetze und Rahmen-ordnungen unserer Wirtschaftsordnung beeinflusst und mitbestimmt. Auf Druck der Öffentlichkeit sind in den letzten Jahren wichtige internationale unternehmerische Standards und Initiativen entstanden. Dabei stellt der Globale Pakt der Vereinten Nationen die wohl wichtigste Initiative dar. Er zielt darauf ab, die auf allen gesellschaftlichen Ebenen immer weiter fortschreitende Globalisierung sozialer und ökologischer zu gestalten.

 

Konkret geht es dabei um die Einhaltung multinationaler unternehmensethischer Standards unter Berücksichtigung von Menschenrechten, Arbeitsrechten, Umweltschutz und Strategien der Korruptionsbekämpfung. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan stellte die Initiative im Januar 1999 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erstmals vor, und bereits im Juli 2000 wurde in New York die operative Phase des Pakts gestartet, nachdem sich ihm zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 50 multinationale Unternehmen angeschlossen hatten. Bis heute traten mehr als 10.000 Wirtschaftsunternehmen dem Pakt bei, darunter 20 der 30 wichtigsten Konzerne in Deutschland. Parallel zu der Bereitschaft deutscher Unternehmen, sich einem solchen Pakt anzuschließen, ist ein Zuwachs bei der Implementierung von Hinweisgebersystemen zu beobachten. Mit ihnen können Beschäftige Fehlverhalten innerhalb ihres Arbeitsortes melden.

 

Die wachsende Bereitschaft von Unternehmen, sich unternehmensethischen Fragen zu öffnen und Hinweisgebersysteme zu schaffen, dient nicht zuletzt auch einem ureigenen Interesse an Prävention (Verhinderung von potentiellem Fehlverhalten) und Risikomanagement (Schadensabwendung durch die Aufdeckung und Verhinderung von Straftaten und Vertragsverletzungen sowie Verstößen gegen den eigenen Verhaltenskodex). Beides ist aber auch Ausdruck einer werte-orientierten Unternehmenskultur, deren (im)materieller Nutzen durch die mit ihr einhergehende Wahrnehmung und Bewertung in der Öffentlichkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

 

Demgegenüber reagieren Unternehmen auf Versuche der kritischen Öffentlichkeit, an ihr Bewusstsein für ihr eigenes Fehlverhalten zu appellieren, nur allzu oft reflexhaft mit strafrechtlichen Mitteln, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen:

 

Flugblätter gegen illegale Waffenexporte von Heckler & Koch

Am Firmensitz des Waffenherstellers Heckler & Koch in Oberndorf wurden im Jahr 2016 Flugblätter verteilt, in denen die Beschäftigten aufgefordert wurden, die Öffentlichkeit über die Hintergründe illegaler Waffenexporte zu informieren. Nach einer Strafanzeige des damaligen Geschäftsführers leitete die Staatsanwaltschaft Rottweil ein Strafverfahren wegen Aufforderung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ein, zog unmittelbar vor dem Verhandlungstermin ihre Klage mangels Erfolgsaussichten aber wieder zurück. Danach beantragte die Staatsanwaltschaft Rottweil einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch, der vor dem Amtsgericht Oberndorf zu einem Freispruch führte, da die von Heckler & Koch beauftragte Freiburger Kanzlei Brüggemann & Eichener falsche Angaben bei der Erstellung der Strafanzeige gemacht hatte.

 

 

Flugblätter gegen illegale Waffenexporte von Krauss-Maffei Wegmann (KMW)

Im Mai 2018 wurden am Firmensitz des Panzerherstellers in München Flugblätter verteilt, in denen die Beschäftigten aufgefordert wurden, die Öffentlichkeit über die Hintergründe illegaler Waffenexporte in Krisen- und Kriegsgebiete zu informieren. Der Justitiar des Rüstungsherstellers erstattete Strafanzeige. Am 16. Januar erfolgte nun vom Landgericht München I ein Freispruch. Das Amtsgericht München hatte den Flugblattverteiler zu Unrecht zu einer Geldstrafe wegen öffentlicher Aufforderung zum Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verurteilt.

 

 

Flugblätter gegen illegale Waffenexporte der Rheinmetall AG

In Unterlüß wurden am Firmensitz des Rüstungskonzerns Rheinmetall im Mai 2018 Flugblätter verteilt, in denen die Beschäftigten aufgefordert wurden, die Öffentlichkeit über die Hintergründe illegaler Waffenexporte in Krisen- und Kriegsgebiete zu informieren. Der Geschäftsführer der Rheinmetall-Tochterfirma Waffe Munition GmbH erstattete Strafanzeige und beauftragte den Rechtsanwalt Hans-Peter Huber (Tsambikakis & Partner) mit der Prüfung, ob zivilrechtliche Schritte gegen die Behauptung, in illegale Rüstungsexporte verstrickt zu sein, erfolgversprechend sein könnten. Huber gab seinerseits ein Rechtsgutachten bei der internationalen Anwaltskanzlei Herbert/Smith/Freehills in Auftrag. Nach dessen Prüfung riet er von zivilrechtlichen Schritten gegen den Flugblattverteiler ab, da der Ausgang wegen der hohen Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit zu vage sei und ein Gerichtsverfahren das Export-Geschäftsgebaren von Rheinmetall nur erneut öffentlich thematisieren würde.

 

 

Flugblätter gegen illegale Medikamentenexporte der Vet Pharma Friesoythe

Am Firmensitz des Pharmaunternehmens Vet Pharma in Friesoythe wurden im September 2018 Flugblätter verteilt, mit denen die Beschäftigten aufgefordert wurden, die Öffentlichkeit über die Hintergründe illegaler Medikamentenlieferungen zu informieren. Das Pharmaunternehmen steht in Verdacht, im großen Stil in die USA Medikamente zum Einschläfern von Tieren geliefert zu haben. Da der Verdacht besteht, dass die Medikamente in US-amerikanischen Gefängnissen auch zur Hinrichtung von Häftlingen Verwendung finden, unterliegen sie den strengen Ausfuhrbestimmungen nach der europäischen Antifolterkonvention, weshalb die Staatsanwaltschaft Oldenburg ein Strafverfahren gegen das Unternehmen eingeleitet hat und es dort zu einer Hausdurchsuchung gekommen ist. Das Unternehmen erstattete Strafanzeige.

 

Somit wurden vor den Amtsgerichten München, Celle und Cloppenburg Strafverfahren wegen des Verdachts einer Aufforderung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen eröffnet, die zum Teil noch nicht abgeschlossen sind. Die Medien berichteten ausführlich über die Strafprozesse. Das dürfte nicht im Interesse der Unternehmen gewesen sein. Deshalb sollten sie alles dafür tun, damit die kritische Öffentlichkeit erst gar keinen Anlass sieht, ihnen ein Fehlverhalten vorzuwerfen. Ein Perspektivenwechsel – hin zur Sichtweise der kritischen Öffentlichkeit – könnte hilfreich sein, um Whistleblowing überhaupt nicht nötig werden zu lassen. Er wäre Ausdruck einer werteorientierten Unternehmenskultur, die keine Angst vor kritischer Öffentlichkeit hat, denn laut George Orwell existiert Freiheit dort, wo man frei sagen darf, dass zwei und zwei vier ergibt!

 

 

Hermann Theisen wird bei den Gerichtsverfahren von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (Berlin) begleitet, deren wichtige Arbeit über folgende Bankverbindung unterstützt werden kann: Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V., IBAN DE88 4306 0967 1182 9121 00; BIC GENODEM1GLS; Kennwort: Strafverfahren Hermann Theisen.