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Titel219

Schauplätze des Malers Jost Heyder  (Peter Arlt)

Lebendige Malerei entsteht, wenn aus der Stimmung Farbspuren geboren werden, spontane Gebilde, aus denen sich Farbspannungen und Strukturen von Pinselspuren entwickeln. Diese erfahren in Harmonien und Dissonanzen eine Verdichtung, oft eine Konkretisierung ins Motivliche mit körperhaft räumlicher Ausprägung. Diese Vorgehensweise lässt einen weiten Spielraum zur individuellen Entfaltung zu, wie Jost Heyder mit seiner Kunst im Gothaer Kunstforum zeigt.

 

Der 1954 in Gera geborene, in Erfurt lebende und im Arnstädter Atelier arbeitende Künstler, studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Bernhard Heisig, bei dem er diplomierte, und bei Arnold Rink. Meisterschülerzeiten bei Gerhard Kettner in Dresden und bei Wieland Förster an der Akademie der Künste zu Berlin deuten auf sein Interesse an geistigem Austausch, an Erweiterung und Vertiefung der eigenen künstlerischen Identität. Heyder zählt zu den arrivierten bildenden Künstlern Thüringens, sein Name drang mit dem Papstgeschenk der Landesregierung bis nach Rom.

 

In seiner Ausstellung »Schauplätze«, von der KulTourStadt Gotha und dem Verband Bildender Künstler Thüringens ausgerichtet und kuratiert von Angelika Steinmetz Oppelland, begrüßt uns Heyder im Erdgeschoss mit dem »Bildnis Johanna Röhl«, 2013, eine bekannte Dolmetscherin und Lehrerin, vom Oberbürgermeister Knut Kreuch als »pädagogische Instanz Gothas« gewürdigt, ebenso des Künstlers Schwiegermutter, der ihr weitblickendes, kluges Antlitz liebevoll und porträtnah erfasst hat. Eine Reihe von Porträts, Kohle- und Bleistiftzeichnungen belegt Heyder als analytisch Sehenden, der das Charakteristische der Porträtierten mit sicherem Blick und genauer Hand trifft, inspiriert von der geistigen und seelischen Lebendigkeit der Porträtierten und ihrer persönlichen Eigenart. Vor allem befreundete Menschen zeichnet er, wie »Melanie«, »Martina« und »Günter Hempel« und schon 1988 seinen kranken Vater, der ihm, künstlerisch veranlagt, sein Talent in die Wiege gelegt hat. Der begabte Porträtist beweist sich bei bedeutenden Leuten, wie Stephan Heyms (Versuch III, 2009), dessen hohe Aufmerksamkeit in der Profildarstellung noch gesteigert wird. Als eine Referenz auf den Realismus kann das nach einem Foto gemalte Bildnis des aufmerksam zeichnenden Adolph von Menzel, 2018, verstanden werden, dessen Bildnis in das Genre-Fach hinüberwechselt wie auch das von Johann Sebastian Bach, der von der Inspiration nach oben gerissen wird.

 

Den hingebungsvoll malenden Künstler sieht man oft mit Aktmodellen. In der »Atelierstunde«, ein Acrylbild von 2018, »ereilt den Maler«, wie Angelika Steinmetz Oppelland im Katalog schreibt, »die Inspiration« und steigen die Modelle vom Leben ins Bild.

 

Als ein Schüler von Bernhard Heisig bekennt sich Jost Heyder zu dessen Kunst. Bei ihm hat er gelernt, mit expressiv gesetzten Farbflecken die Bildgegenstände zu formen, Bildsignale, »optische Anspringer« (Heisig), zu finden und das Bildganze zu orchestrieren, dass sinnliche Pracht entfaltet und den Augen ein Fest bereitet wird. Aber dass er sich in dem Triptychon »Bernhard, Henri und ich«, 2018, auch auf Henri Matisse (1869–1954) zu beziehen weiß, kommt überraschend. Die meisten, auch ich, sehen bei Heyder den späten Corinth, doch vor allem Max Beckmann als Vorbilder. Dessen Einfluss auch über seinen Lehrer zu Heyder gelangte. Von der »Magie der Realität« (Max Beckmann) angezogen, taucht diese in Kunstgestalten verwandelt in seiner Bildwelt auf, ähnliche Motive, wie Boote und große Fische, finden sich auch bei Heyder.

 

Nun preist er im Gothaer Kunstforum freundschaftlich seine Vorbilder Heisig und Matisse gemeinsam. Es ist eine kühne Reihe, in die sich Heyder begibt. Die rechte Bildtafel »Henri« (der Katalog zeigt sie fälschlich links) trifft das Paradoxe der Malerei Matisses, der als gegenständlicher Maler die Gegenstände auflöst und die Mittel immer mehr vereinfacht (Jean-Louis Ferrier). Eine weibliche Kunstgestalt von Matisse zeigt das als Bild im Bild. Das Arabeske und das Ornamental-Dekorative in der Malerei von Matisse stammt vom Einfluss seines Lehrers Gustave Moreau und von den Orientalen aus Marokko. »Bernhard« ist die linke Bildtafel, denn mit dem Anschnitt seiner Schulter wird fast das mittlere Bild des Triptychons berührt und wendet sich Heisig dem Künstlerfreund Heyder zu. Das Mittelstück »Ich« zeigt aber kein Selbstporträt Heyders, sondern allegorische Motive der Kunst Heyders in nuce, also in knapper und komprimierter Form: einen tänzerischer Genius, einen liegenden weiblichen Akt und einen Fisch. Ein Schaukelpferd und das angehängte Lehrstück eines Haifisches deuten auf die Schulstube des Künstlers. Der steigt als arbeitslustiger Geselle aus der Nussschale der Unterrichtsstunden mit Farbeimer und einem zum Zauberzepter verwandelten Malstock aus Stab und Kugel.

 

Manchen Bildern Jost Heyders könnte man ansehen, dass sein Herz, vor einem Heisig, Matisse oder auch Kokoschka, wie er sagte, »zu hüpfen anfängt«. Vorbilder eröffnen gestalterische Möglichkeiten, bieten Schauplätze, auf denen sich die Künstler niederlassen können. Sie begeben sich in eine Filiation, um später aus der Kindschaft herauszutreten. Denn sie richten sich, wie Heyder, ebenso nach dem anderen Hinweis von Matisse, »die alten Vorbilder zu vermeiden, die sich so willig seiner Hand anbieten« (1947). Jost Heyder ist sofort als Jost Heyder erkennbar.

 

Erfahrene Realität steigt verwandelt auf zu Schauplätzen in mehreren Bildräumen, die auf der wie hochgeklappt erscheinenden Bildfläche angeordnet sind, zur Bühne eines gemalten Theatrum mundi. Figuren des Alltags wie des Mythos, Artisten vom Tanz, Schauspiel und Zirkus agieren in tragischen und komischen Stücken, Marionetten und Harlekine, Masken tragend, die Dame »M. im Mantel«, 2017, die Glückliche mit Riesenfisch, oft in Booten. Verführerisch lagern Heyders weibliche Akte, die Odalisken von Matisse sind Schwestern, der Venus gleich und ebenso der Leda. Wie »Die Schlafende«, 2014. Mit geöffnetem Schoß verheißen sie das Mysterium des Eros, bieten sie sinnliche Pracht und manchmal, wie Goethe meinte, der Welt lieblichste Szene.

 

 

Bis 17. Februar, Kunstforum Gotha, Querstraße 13-15, Di-So 10-17 Uhr