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Titel202013

Deutscher Weltflüchtlingstag  (Renate Hennecke)

In meinem Beitrag »Falsches Signal aus München« in Ossietzky 16/13 habe ich über den Beschluß des bayerischen Kabinetts berichtet, ab 2014 den zweiten Sonntag im September als »Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation« zu begehen. Der Beschluß – er wurde im Mai gefaßt – sollte Druck zugunsten der Einführung eines entsprechenden Gedenktages auf nationaler und europäischer Ebene aufbauen. Als das Heft schon im Druck war, bemerkte ich, daß ich etwas übersehen hatte: Am 13. Juni hatte der Bundestag auf Antrag und mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP (SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatten sich enthalten, die Linke dagegen gestimmt) die Bundesregierung aufgefordert, »sich bei den Vereinten Nationen dafür einzusetzen, daß Vertreibung weltweit geächtet und der Weltflüchtlingstag [am 20. Juni, R. H.] um das Gedenken an die Opfer von Vertreibung erweitert wird und nach dieser Entscheidung dieses Gedenkens auf nationaler Ebene zu begehen« (sic). In der Debatte, die der Abstimmung über den Antrag voranging, hatte auch Erika Steinbach, in Hessen wohnende Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, ihr Einverständnis kundgetan, wenngleich hörbar zähneknirschend: »Ein Gedenktag zum Schicksal von Flucht und Vertreibung: Es hängt nicht am 5. August. Der 20. Juni ist genauso ein guter Tag. Hauptsache, dieser Gedenktag kommt.«

Offensichtlich handelte es sich bei dem Vorstoß im Bundestag um einen Schachzug von Kanzlerin und Außenminister mit dem Ziel, der Forderung nach einem Vertriebenengedenktag am 5. August auszuweichen, ohne sie direkt abzulehnen. Denn erstens würde die Erfüllung dieser Forderung unweigerlich neue Irritationen im deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Verhältnis heraufbeschwören. Zweitens stünde der 5. August in offenem Widerspruch zum Votum zahlreicher renommierter Historiker, die die Einführung eines Gedenktages am Jahrestag der Unterzeichnung der sogenannten Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 ausdrücklich und entschieden als »falsches geschichtspolitisches Signal« ablehnen. Drittens ist es unwahrscheinlich, daß der dafür zuständige Bundespräsident einen derart umstrittenen nationalen Gedenktag ausrufen würde. Zu einem erweiterten Weltflüchtlingstag konnte eine breitere Zustimmung erhofft werden. Dabei weist auch der Ausweichtermin 20. Juni brisante Aspekte auf: Wenn die UNO das Gedenken am Weltflüchtlingstag auf die Deutschen erweitern würde, die auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens von 1945 die Tschechoslowakei und Polen verlassen mußten, käme dies einer internationalen Verurteilung der alliierten Deutschlandpolitik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gleich; bisher stand die Bundesregierung mit dieser Position allein.

Ich stellte also fest, daß in meinem Ossietzky-Beitrag etwas Wichtiges fehlte, und ärgerte mich, den Leserinnen und Lesern des Ossietzky mit überholten Informationen Zeit gestohlen zu haben. Denn der Alleingang Bayerns in Sachen Gedenktag schien mit dem Bundestagsbeschluß vom Tisch zu sein.

War er aber nicht. Am 27. August unterzeichnete der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) trotzdem die Proklamation zur Einführung des bayerischen Gedenktags, der ausdrücklich »im Sinn der Charta der deutschen Heimatvertriebenen« begangen werden soll. Ganz allein ist Bayern damit allerdings nicht mehr. An demselben Tag wie Seehofer unterschrieb auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) die Proklamation. Bei der zentralen Veranstaltung zum »Tag der Heimat« in Berlin bedankte sich Erika Steinbach bei beiden und forderte für die gesamte Republik zusätzlich zur Erweiterung des UNO-Weltflüchtlingstages einen »eigenständigen Gedenktag für die deutschen Vertriebenen, der nicht im Allgemeinen verschwimmt«.