erstellt mit easyCMS
Titel2015

In der falschen Ecke  (Conrad Taler)

Während meiner Zeit als Nachrichtenchef einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt habe ich die Erfahrung gemacht, dass man es mit der Vereinfachung komplizierter Sachverhalte nicht zu weit treiben darf. Vom Vereinfachen zum Versimpeln ist es nämlich nicht weit, und vom Versimpeln zum Verfälschen ist es nur einen Katzensprung. Das sollten auch Filmemacher bedenken, wenn sie sich mit einer Person der Zeitgeschichte wie Fritz Bauer befassen, der nach den Worten von Andreas Voßkuhle als Demokrat und Patriot an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten hin beeinflusst hat. Leider haben das die Beteiligten am Zustandekommen des Films »Der Staat gegen Fritz Bauer« nicht bedacht. Sie schieben den hessischen Generalstaatsanwalt in eine Ecke, in die er nicht gehört. Sex and crime ist für Fritz Bauer nicht das angemessene Genre.


Am Anfang stand ein Irrtum, vergleichbar dem eines Vegetariers, der sich von einem Fleischermeister Ratschläge für die Gestaltung seines Speiseplanes erhofft. Die Filmemacher suchten Rat bei einer wissenschaftlichen Einrichtung, die zwar nach Fritz Bauer benannt ist, aber mit ihrem Namensgeber wenig im Sinn hat. »Wozu ein Film über Fritz Bauer?« blaffte vor Jahren der damalige Direktor des Fritz-Bauer-Instituts die international renommierte Regisseurin Ilona Ziok an, als sie um Material für ihren Dokumentarfilm »Fritz Bauer – Tod auf Raten« bat. Sein Nachfolger ließ die Historikerin Irmtrud Wojak am ausgestreckten Arm verhungern, als sie an ihrer Biografie über Fritz Bauer arbeitete. Bis heute werden der Film und die Biografie vom Fritz-Bauer-Institut boykottiert; der Film, weil er die Gegner Bauers nicht zu Wort kommen lasse und Mordtheorien stricke, die Biografie, weil sie nicht genug Distanz zu Fritz Bauer wahre. Die ARD weigert sich unter Verweis auf nicht näher benannte »gravierende Einwände«, den Film »Fritz Bauer – Tod auf Raten« im Ersten Deutschen Fernsehen zu zeigen. Ein medienpolitischer Skandal!


Anders als Ilona Ziok und Irmtrud Wojak wurden die Beteiligten an dem Filmprojekt »Der Staat gegen Fritz Bauer«, darunter der Regisseur Lars Kraume und der Schauspieler Burghart Klaußner, mit offenen Armen empfangen. Sie orientierten sich an einem Buch, an dessen Zustandekommen das Fritz-Bauer-Institut aktiv beteiligt war und das die so bezeichneten »weißen Flecken« im Leben Fritz Bauers thematisiert (s. Ossietzky 12/2014, 19/2014). Der Verfasser Ronen Steinke schwärmt in seiner Danksagung, das Fritz-Bauer-Institut habe ihm den Status eines Gastwissenschaftlers mit allen dazugehörigen fachlichen und technischen Hilfestellungen freundschaftlich gewährt, allen voran Werner Renz, der Leiter des Archivs und der Dokumentation des Instituts. Es ist jener Werner Renz, dem der ehemalige Untersuchungsrichter im Auschwitz-Prozess, Heinz Düx, vorgeworfen hat, er betreibe die Demontage und Desavouierung Fritz Bauers. Selbst scheute er sich, öffentlich über die »weißen Flecken« zu reden, das besorgte der Schnellschreiber Ronen Steinke und das besorgt jetzt der Film »Der Staat gegen Fritz Bauer«; er stellt den hessischen Generalstaatsanwalt wahrheitswidrig als Homosexuellen und politischen Wendehals dar, der sich durch ein Treuebekenntnis gegenüber der Naziführung die Freilassung aus KZ-Haft erkauft habe.


Irmtrud Wojak, die zehn Jahre über Fritz Bauer geforscht hat, schreibt in einer Besprechung des Films, Fritz Bauer erscheine darin als eine Karikatur seiner selbst, als Verräter der Juden, der Sozialdemokraten und der Homosexuellen. Das sei die missratene und gewiss nicht unschuldige Botschaft dieses Films. Hat Lars Kraume, der über Fritz Bauer sagt, sein Mut und seine Hartnäckigkeit seien eine wunderbare Inspiration für jeden, der sich in unserer modernen Gesellschaft gegen Unmenschlichkeit zur Wehr setzt, etwas übersehen? Fritz Bauer wurde wegen seiner politischen Haltung bekämpft. Ich habe das selbst miterlebt. Seine Bemühungen, die Ursachen der von den Nazis begangenen Verbrechen bloßzulegen, machten vielen ein schlechtes Gewissen. Burghart Klaußners Aussage, es sei alles andere als denunziatorisch, zu zeigen, dass der Schwulenparagraph über Bauers Haupt geschwebt habe, hat mit der historischen Wahrheit nichts zu tun. Auch eine gut gemeinte Geschichtsfälschung ist und bleibt eine Fälschung.