erstellt mit easyCMS
Titel2017

So tickt Deutschland  (Winfried Wolk)

Unter diesem Slogan informiert das Deutschlandportal deutschland.de über aktuelle Aktionen und Projekte, wie zum Beispiel am 18. September, wo ich einen ausführlichen Artikel über eine weltweit einmalige Werkschau zeitgenössischer deutscher Kunst in Peking lesen kann. Ich erfahre, dass das mehr als drei Millionen Euro teure Projekt in sieben Museen und einem Forum zeigt, »wie sich deutsche Kunst seit 1945 zu ihrer enormen Diversität entwickelt hat« und bin außerordentlich gespannt. Denn eine Weltsensation sei das, sagt Kurator Martin Smerling. Chinas Hauptstadt Peking verwandle sich so in eine »deutsche Kunsthalle auf Zeit«. Selbst im ehemaligen Ahnen-Tempel in der Kaiserstadt, wo nie zuvor zeitgenössische Kunst gezeigt wurde, sind jetzt Werke deutscher Nachkriegskünstler zu finden, die sich mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigten, so lese ich. Allen voran sind das Arbeiten von Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Günther Uecker.

 

Veranstalter von der »Deutschland 8« genannten Kunstschau, die 320 Werke von 55 Künstlern aus sieben Jahrzehnten in der chinesische Hauptstadt zeigt, ist neben der Central Academy of Fine Arts Peking die Stiftung für Kunst und Kultur, Bonn. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland fördert das Projekt. Die chinesische Seite wusste besonders zu schätzen, dass Außenminister Sigmar Gabriel, der das Projekt »als hervorragendes Zeichen für Verständigung und interkulturellen Dialog« würdigte, direkt vor der Bundestagswahl eigens zur Eröffnung nach Peking reiste. Ich lese die Liste der ausstellenden Künstler und finde vor allem die seit langem den internationalen Kunstmarkt dominierenden Namen. Maßgeblich in den 40 Jahren der DDR tätig gewordene Künstler aus dem Osten Deutschlands finde ich nicht. Dieses vom deutschen Außenminister als »hervorragendes Zeichen für Verständigung und interkulturellen Dialog« gewürdigte Projekt hat somit einen eklatanten Schönheitsfehler, denn es dokumentiert eine ignorante Blindheit, was das Bemühen um Verständigung und interkulturellen Dialog im eigenen Land angeht.

 

Es gibt kein einziges Bild von Werner Tübke, Bernhard Heisig oder Wolfgang Mattheuer, keine Skulptur von Fritz Cremer, Wieland Förster oder Werner Stötzer. Außer Neo Rauch sind auch keine der namhaften Künstler der diesen nachfolgenden Generation vertreten. Für mich bedeutet das, dass alle ihre Werke keinen Anteil an der seit 1945 zu beobachtenden »enormen Diversität« haben und somit nicht zur deutschen Kunst gehören sollen. Das scheint angesichts dieser Ausstellung ganz offensichtlich die Position sowohl des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland als auch der Stiftung für Kunst und Kultur zu sein. Ich schlussfolgere: So tickt also Deutschland heute, 27 Jahre nach der deutschen Einheit! Die Kunst und somit die Künstler, die sich nach 1945 im Osten Deutschlands, auch entgegen der dort anfangs protegierten Kunstdoktrin, in der Nachfolge der im faschistischen Deutschland verfemten Kunstrichtungen des deutschen Expressionismus, des kritischen Realismus und der Neuen Sachlichkeit sahen, sind nun wie ihre Vorväter ganz in alter, unguter Tradition ausgegrenzt. Ich bin schon sehr verwundert, gehört doch der Islam nach Aussage eines vergangenen Bundespräsidenten zu Deutschland, nicht aber die ostdeutsche Kunst, wie das mit dieser Ausstellungskonzeption markant demonstriert wird. Integration, das Zauberwort der letzten Monate und Jahre, hat in Bezug auf die ostdeutsche Kunst und Kultur auch nach 27 Jahren deutscher Einheit nicht stattgefunden. Deutschland, der Integrationsweltmeister. Wir schaffen das – wirklich?

 

Nun präsentiert Deutschland einseitig blind in China »seine kulturelle Vielfalt«. Die in der Ausstellung gezeigten Werke, die »zwangsläufig nicht nach Kunst aussehen müssen«, wie einer der ausstellenden Künstler sein Anliegen formulierte, sorgen im fernen China »für Verständigung und interkulturellen Dialog«. Allerdings ist das so einfach nicht, denn einige der chinesischen Ausstellungsbesucher verstehen die Botschaften der ausgestellten Objekte nicht. Beim Anblick des Kunstobjektes »Brenner 05«, einer schwarzen Auto-Rohkarosse ohne Räder, bei dem der Motor durch einen Holzverbrenner ersetzt und ein dickes Ofenrohr nach außen geführt ist, fragt ein junger Chinese verwirrt, was das wohl sein solle. Eine andere, offensichtlich in Sachen moderner Kunst kundigere Besucherin erklärt ihm: »Das ist ein Kunstwerk.« Und weil es ein Auto ist, kommt dieses Kunstwerk selbstverständlich aus Deutschland. So ist es nicht ganz zufällig, dass auch VW maßgeblich diese Ausstellung unterstützt. Volkswagen Group China ist Partner des Projektes, das Teil der Feierlichkeiten zum 45-jährigen Jubiläum der deutsch-chinesischen Beziehungen ist (https://www.volkswagen-media-services.com/detailpage/-/detail/Volkswagen-untersttzt-grte-Ausstellung-zeitgenssischer-deutscher-Kunst-in-China/view/5636631/). Wie im Deutschlandportal zu lesen ist, wollen die Kuratoren Walter Smerling von der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur und Fan Di'an von der Hochschule der Bildenden Künste (CAFA) in Peking »mit der Ausstellung dem Gütesiegel ›Made in Germany‹ eine neue Bedeutung geben. Deutschland und seine kulturelle Vielfalt sollen durch die Kunst ganz neu erlebt werden können« (https://www.deutschland.de/de/news/deutsche-kunstschau-in-china). Aus meiner Sicht ist es aber kaum möglich, das Vorhaben umzusetzen, die kulturelle Vielfalt Deutschlands durch die Kunst neu erlebbar zu machen, wenn die tatsächliche Vielfalt derart ignorant eingeschränkt wird. Allerdings genügt offensichtlich die in China gezeigte Schau, um dort das beschädigte Image unseres größten deutschen Automobilherstellers etwas aufzupolieren. Damit wäre dann auch ein wichtiges Ziel erreicht. So tickt Deutschland eben!