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Titel2114

Bemerkungen

Frontstaat Finnland
Alexander Stubb, finnischer Ministerpräsident, hat sich für eine Mitgliedschaft seines Landes in der NATO ausgesprochen. Allerdings müsse für diesen Schritt aus dem Status der militärischen Neutralität hinaus erst noch eine mehrheitliche Zustimmung in der finnischen Bevölkerung gewonnen werden. Ein »starker Teil des Westens« sei die finnische Politik schon jetzt. Die Konfrontation mit Rußland habe ihren Grund darin, daß Putin sich nicht willig zeige, »die Regeln des Westens anzunehmen«, den russischen Staat »in den Westen zu integrieren«.

Stubb ist Vorsitzender der finnischen »Sammlungspartei« und politisch sozialisiert im nordatlantischen Milieu. Eine andere Welt als die der NATO mag er sich gar nicht vorstellen.

P. S.


Ein Vernunftbild

Andreas Buro (friedenspolitisch engagiert seit den frühen Ostermärschen) und Karl Grobe (ehemals Redakteur der Frankfurter Rundschau) haben eine »Road Map« veröffentlicht, wie der Konflikt um die Ukraine friedlich gelöst werden könnte. Vorgeschlagen wird darin unter anderem: Die NATO und Rußland erklären gemeinsam und verbindlich, daß sie den Einsatz militärischer Mittel, die Ukraine betreffend, ausschließen. Die NATO verzichtet, die Ukraine als Mitglied aufzunehmen. Die ukrainische Regierung verpflichtet sich auf einen neutralen Status ihres Landes. Die USA und die EU akzeptieren das. Die NATO zieht aus ihren Mitgliedsstaaten an den Grenzen Rußlands ihre Streitkräfte ab. Rußland sichert eine neue Volksabstimmung über den Status der Krim unter OSZE-Kontrolle zu. Eine dauerhafte Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit unter Beteiligung aller Staaten der konflikthaften Region wird eingerichtet, eventuell im Rahmen der OSZE.

Die Vorschläge geben ein Bild von dem, was vernünftige, auf ein Ende der Gewaltpolitik sinnende Politiker versuchen könnten, insofern haben sie aufklärende Bedeutung, für die Öffentlichkeit. Daß die politischen Machteliten sich von dieser »Road Map« beeindrucken lassen, ist leider nicht zu erwarten. Sie pflegen, ganz souverän, solche Ratschläge erst gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Marja Winken


Russische »Volksseele«
Den begabten russischen Romancier Viktor Jerofejew läßt die F.A.Z. mit einem von Kerstin Holm übersetzten Beitrag im Feuilleton zu Wort kommen, der offenbar den Anspruch enthält, historische und aktuelle Grundmuster der Politik Rußlands zu beschreiben und zu erklären. Die russische »Volksseele«, ein »Organismus«, so der Autor, ist demnach von einem bösartigen »Virus« befallen – Jerofejew hätte sich einen anderen, den heilsamen europäischen gewünscht (zu dem ihm Kritisches nicht in den Sinn kommt). Und so ist weiteres russisches »Monstertum« zu befürchten ... Bemerkenswert ist an dem Artikel, welcher ja nicht dem Genre Roman zugeordnet ist, der entschlossene Verzicht auf eine empirisch-analytische Betrachtung politischer Verhältnisse, auch deren mentaler Seite. Jerofejew denkt und schreibt hier in einer Manier, die methodisch der des russischen extrem rechten Publizisten Alexander Dugin entspricht, bei gegensätzlichen politischen Standpunkten. Solcherart Politikberatung, aus welcher weltanschaulichen Richtung auch immer, hatte stets fatale Folgen. Der F.A.Z. aber gefiel dieser Jerofejew, für ihr tägliches Putin-Bashing.
A. K.


Pro Test
Unter Berufung auf die Saarbrücker Zeitung berichtet die Leipziger Volkszeitung: »Die Verkehrsminister der Länder (wollen) bei ihrem Treffen Anfang Oktober über die Einführung regelmäßiger Sehtests für Führerscheininhaber beraten.« Überall dort, wo Gefahren für die Allgemeinheit lauern, können die potentiell Gefährlichen gar nicht genug getestet werden. Wenn in Spiegel online geklagt wird: »Die große Koalition beweihräuchert sich selbst – und fast alle klatschen. Der Bundestag droht zum Abnickverein zu verkommen«, fragt man sich doch unwillkürlich, ob da nicht Intelligenztests angebracht sein könnten.
Günter Krone


Monetarisierung
»Sharing Economy« – ein Zauberwort, das den Ausstieg aus kapitalistischen Gewohnheiten verspricht, den Einstieg in eine Welt des schönen Teilens. Zum Beispiel: Der gutbetuchte Besitzer eines prächtigen Fahrzeuges leiht dieses einem verarmten Menschen für einen Tag, damit der sich auch mal wieder wohlfühlen kann. Ein Akt der Solidarität? Mitnichten, wenn die Leihgabe ein Entgelt erbringt.

In der Frankfurter Allgemeinen sind mitunter gesellschaftskritische Überlegungen zu finden. Im Feuilleton, nicht allzu häufig. Jetzt in einem Beitrag von Evgeny Morozov. Er schreibt: »Der rasche Aufstieg der Sharing-Ökonomie kann erklärt werden durch die neue Fähigkeit des Kapitalismus, jede Ware, die gekauft und damit dem Markt entzogen wurde, in einen mietbaren Gegenstand zu verwandeln, der den Markt erst gar nicht verläßt.« Die IT-Welt verschafft diesem neuen Marktsektor enorme Möglichkeiten. Und in der Masse, um es rustikal auszudrücken, macht auch Kleinvieh Mist.
A. K.


Mythen auf den Müll

Die Reichen werden immer reicher, weil sie die Macht haben, sich einen steigenden Teil der Produktion anzueignen. Zur Festigung ihrer Macht kann ihnen staatliche Repression dienen, aber auch – vorzugsweise – Konfliktvermeidung, Beschwichtigung, Massenmanipulation, Verbreitung von Glaubenslehren zur geistigen Entwaffnung der Armen und von Armut Bedrohten. Mit einigen der zu diesem Zweck kunstvoll geschaffenen Mythen befaßt sich der Wirtschaftswissenschaftler Herbert Schui: »Hoher Lohn schafft Arbeitsplätze – in Fernost; gesetzlicher Mindestlohn kostet Arbeitsplätze; höhere Steuern für Leistungsträger lassen die Wirtschaft erlahmen; Staatsschulden bedeuten, sich an kommenden Generationen zu versündigen, die Altersrente hängt vom Kinderreichtum ab.« Hinter den Parolen – so Schui – stecke allemal die Absicht, jegliches politisches Handeln zu verhindern, das auf eine vernunftgeleitete Nutzung der Arbeitsproduktivität abzielt. Gewollt sei Resignation, schreibt Schui in seinem neuen Buch »Politische Mythen und elitäre Menschenfeindlichkeit«. Ausführlich zeigt er, wie das demokratische Gleichheitsprinzip abgetan wird. Langzeitarbeitslose sollen verächtlich erscheinen, sich sogar selber für schuldig an ihrer Lage fühlen. Jedenfalls sollen sie Herrschaftsstrukturen und -mechanismen nicht durchschauen.

Schui widerlegt etliche Mythen und belegt mit vielen Zitaten elitär-antidemokratische Tendenzen, die in die Nähe des Faschismus führen. Damit macht er sich nützlich, zum Beispiel auch da, wo er entpolitisierende Herrschaftssprache entschleiert. Amüsiert hat mich seine Durchforschung des Koalitionsvertrags von 2013. Da finden sich: Medienlandschaft, Wissenschaftslandschaft, Tariflandschaft, Kinolandschaft sowie zwei verschiedene Kulturlandschaften, ferner Innovationscluster, Spitzencluster, Spitzenclusterwettbewerbe, Schnittmengen zu anderen Clustern, Clusterstrukturen, regionale Cluster von Wissenschaft und Wirtschaft, kurz: viel Geschwätz, vor allem da, wo Absichten nicht zu deutlich hervortreten sollen. Schade, daß Schuis eigene, bisweilen arg barocke Sprache offenbar keinen Lektor gefunden hat.
Arnold Venn

Herbert Schui: »Politische Mythen und elitäre Menschenfeindlichkeit«, VSA Verlag, 112 Seiten, 10,80 €



Außerparlamentarisch geht was
Sind die Bürgerinnen und Bürger in einer Gesellschaft wie der Bundesrepublik letzten Endes ohnmächtig, wenn sie die Zugriffe der wirtschaftlichen Machteliten nicht hinnehmen wollen? Hilflos in ihrem oppositionellen Aufbegehren, weil dieses sich in Luft auflöst auf dem Weg durch das Parteiengelände und dessen taktisches Gestrüpp? Bleibt nur noch kapitalismuskritisches Theoretisieren, auf Insidertreffen oder als feuilletonistischer Trost? Das muß nicht so sein.

Es gibt aufmunternde Beispiele für Engagement mit Wirkung. Außerparlamentarische. Eines davon: Die Protestbewegung gegen TTIP und CETA und gegen Fracking, unabhängig von Parteiapparaten organisiert, medial selbständig durch Nutzung der Chancen des Internets (so über www.stop-ttip.org/de/ oder www.campact.de), klug vorgehend bei der Suche nach Bündnissen. Schon jetzt ist erreicht, daß dieser Protest, konkret gegen neue Eroberungszüge der Kapitalstrategen gerichtet, nicht vom üblichen Politikgeschäft vereinnahmt und ruhiggestellt werden kann.
A. K.


Walter Kaufmanns Lektüre
Frank Schätzings »Breaking News« ist ein großangelegter, sorgfältig erarbeiteter, brisant geschriebener Roman über jüdisches Leben in Palästina und dem späteren Israel, von den zwanziger Jahren bis zur Gegenwart. Das Nachtleben im heutigen Tel Aviv blüht darin auf und das von Jerusalem. Erstaunlich, wie genau hier die Ansichten und Sehnsüchte junger Israelis geschildert sind. Farmen werden ins Bild gebracht und Siedlungen und wie die Menschen dort miteinander umgehen. Sie offenbaren sich in ihrer Sprache und in dem, was sie denken und sagen. Schätzing hat hingehört und hat begriffen. Und künstlerisch umgesetzt, was er begriffen hat. Die Menschen treten vor den Leser, jeder in seiner Eigenart. Was aus Jehuda, aus Benjamin, aus Arik werden wird, zeichnet sich schon in deren Jugend ab.

Das Interesse an ihnen und denen, die ihnen nahestehen, hält sich, weil die Lebensläufe nicht chronologisch erzählt werden, weil die Zeiten und Schauplätze ständig wechseln – wie war das doch damals, und wie wird es weitergehen? Schätzing holt Spannung aus dem Alltag, aus jüdischen Bräuchen, aus der genauen Schilderung von Tätigkeiten und den nie enden wollenden Konflikten im Lande – den Konflikten mit den Palästinensern und mit der arabischen Welt ringsum. Da wirken die Geschehnisse um den von Anbeginn eingeführten deutschen Starreporter Tom Hagen konstruiert – etwa sein Versuch bei einer Geiselbefreiung in Afghanistan Zeuge zu sein, die seinetwegen tragisch scheitert, oder sein überteuerter Ankauf zweier CDs, die Enthüllungen über die Methoden israelischer Geheimdienste enthalten sollten, sich sehr bald jedoch als wertlos für die deutschen Medien erweisen, deren Besitz aber zu mörderischen Zweikämpfen führt, letztlich sogar zum Einsatz von Drohnen. So authentisch all das auch wirkt, im Vergleich mit den Bedrängnissen, die die anderen Romanfiguren ertragen, verblassen Tom Hagens Bedrängnisse. Die Räumung des sechs Jahre bestehenden Küstenstädtchens am Mittelmeer im Sinai, von den Israelis Jamit genannt, führt zum Selbstmord des aus Deutschland stammenden Katzenbach, der schon zuvor durch die Nazis die Vertreibung aus eigenem Haus erlebt hatte, und die Räumung der jüdischen Siedlung in Gaza (auch die auf Anordnung des von Schätzing in seiner Entwicklung grandios erfaßten Ariel Scharon) verursacht den Unfalltod des Jehuda Kahn, der seine Gewächshäuser und sein Heim in Gaza verlassen und mit seiner Frau in eine Wohnwagensiedlung im Negev umziehen mußte.

Schätzing wußte, daß mit der Schilderung der Geschehnisse um den deutschen Starreporter eine Leserschaft zu erreichen ist, die der Flucht vor Geheimagenten, den Kämpfen mit Killern und der Eroberung schöner Frauen mindestens so viel abgewinnen würde wie einer breit dargestellten jüdischen Familiensaga. Von dieser Familiensaga beeindruckt und berührt zu werden, wird sich für das Gros der Leser jedoch als eine einschneidende Erfahrung erweisen.
Walter Kaufmann

Frank Schätzing: »Breaking News«, Roman, Kiepenheuer & Witsch, 955 Seiten, 26,99 €


Israel und das Völkerrecht
Fast 23 Jahre lang war ich als Juristin Zeugin, wie die israelische Regierung in den 1967 besetzten Gebieten das Völkerrecht mit Füßen tritt.

Die Zerstörung von Häusern als Kollektivstrafe, die Kolonisierung von Gebieten durch Landenteignung, Folterungen, Deportationen, Haft ohne Gerichtserfahren – all das ist verboten durch die 4. Genfer Konvention von 1949, die Israel mitunterzeichnet hat. Laut Artikel 147 der Konvention gelten die oben genannten Taten als schwere Verstöße und bedeuten Kriegsverbrechen. Israel genießt bis jetzt Straffreiheit.

Während ich diese Zeilen schreibe, gibt es noch Opfer des aktuellen israelischen Gaza-Bombardements, die im Sterben liegen. Eine UNO-Untersuchungskommission zu den am 8. Juli von Israel auf Gaza begonnenen Angriffen wurde von der israelischen Regierung abgelehnt. Israel werde allein untersuchen, heißt es. Viele Jahre Erfahrung sagen mir, daß »eigene« Untersuchungen immer verlogen waren.

Die Gerechtigkeit fordert es, daß die israelische Regierung und alle Beteiligten am Völkermord in Gaza auf der Anklagebank des internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag landen.
Felicia Langer


Wahrheit und Selbsterhaltung

Heidrun Hegewald – der Name ruft bei vielen sofort eine Assoziation zum Bild »Kind und Eltern« (1976) hervor, das auf Kunstausstellungen in der DDR die Besucher anzog und zu heißen Diskussionen anregte. Da ist es sinnvoll, sich mehr mit den Werken dieser Künstlerin zu befassen, die so einfühlsam schwierige Probleme aufgreift. Zur Eröffnung ihrer Ausstellung »Bilder auf Papier und Leinen« waren viele Neugierige nach Berlin gekommen, um neue, seit 2000 entstandene Arbeiten zu sehen.

Wie schon früher in ihren Gemälden »Der Tanzmeister, ein Bild über die falschen Töne« (1980/81) oder »Kassandra sieht ein Schlangenei« (1981) ist Heidrun Hegewald auch heute eine Mahnerin, eine Warnerin. Die bedrohlichen Zeichen der Zeit lassen sie nicht kalt, fordern sie heraus. Sie fühlt sich verantwortlich, will aufrütteln und zum Nachdenken zwingen. Bequem sind ihre Bilder nicht. In der beachtenswerten Monographie »Heidrun Hegewald – Zeichnungen, Malerei, Graphik, Texte« (Arte-Misia-Press) schreibt Angelika Haas, Heidrun Hegewald sei »ein zutiefst politisch denkender und empfindender Mensch«, ihre Werke seien von »großer emotionaler Kraft und analytischem Verstand«. Immer wieder taucht in ihrem Werk das Mutter-Kind-Motiv auf. Am bekanntesten ist wohl »Die Mutter mit dem Kinde« (1984/85). Beeindruckend ist auch das Bild einer Mutter, die – einer Pietá gleich – ihr Drogenkind ratlos in den Armen hält. In ihrer Ausstellung in der GBM-Galerie ist ein weiteres Werk zu diesem Themenkreis zu sehen, die Graphitzeichnung »Terra und ihr ungeliebtes Kind« (2008).

Noch einen Stoff greift sie wieder auf, den sie in ihren erschütternden Blättern zur Novelle »Esther« von Bruno Apitz schon einmal gestaltete: den lautlosen Mord, der atemlos macht. Ich liebe ein Blatt, das Esther zeigt, die sich entschwebend im Gasnebel auflöst. Nun ist eine großformatige Kreidezeichnung mit dem Titel »27. Januar 1945« (2005) zu sehen: Ein Soldat der Roten Armee hält einen zum Skelett abgemagerten Auschwitz-Häftling in den Armen. Es sind immer große Themen, die Hegewald reizen und die ihr, wie der Bildhauer Rolf Biebl in seiner Eröffnungsrede sagte, für die »eigene Wahrheit und Selbsterhaltung« wichtig sind.

In der Ausstellung zeigt die Künstlerin eine Reihe von Arbeiten, teils Kohle, teils Pastell auf getöntem Karton, die sich mit den alttestamentarischen Gestalten Kain und Abel auseinandersetzen. Abel verkörpert die Opferrolle der Menschheit, Kain den brutalen Gewalttäter, den der Neid zum Brudermord treibt. Ihre Themen findet Heidrun Hegewald in der Bibel oder der griechischen Mythologie. Bezüge zur Gegenwart gelingen ihr gleichnishaft und überzeugend. So taucht auch die Ikarus-Problematik auf: ein Ikarus, der seine Flügel einem Behinderten schenkt. Besonders beeindruckt hat mich ein Pastell auf Leinen, schwarz grundiert: »Bohrende Frage« (2011). Es leuchtet von innen. Wird diese Frage eine Antwort finden?

H. H. verehrt Käthe Kollwitz. Wie diese hat sie sich zum Ziel gestellt: »Ich will wirken in dieser Zeit.« Ihr widmet sie die Arbeit »Als Nadine starb« (2012). Eine Mutter hält in fester Umklammerung ihr totes Kind im Arm. Der Schmerz über das Unfaßbare prägt ihre Züge. Der Tod ist für Heidrun Hegewald eine unabwendbare Tatsache; das zeigen auch die Arbeiten »Die letzte Bitte« (2000), »Tod ohne Abschied« (2008), »Gehen wir…« (2013).

In seiner Laudatio ging Rolf Biebl auf den gängigen Kunstbetrieb ein, in dem »eine Erstickungsgefahr durch seichten Pop oder exzessive Beliebigkeit« droht und vieles im Kitsch endet. Für Heidrun Hegewald aber »bleiben ethische Kategorien das wichtigste Fundament ihrer Arbeiten, gepaart mit meisterlichem Können«. Es ist eine erlesene Bilderschau, die den Betrachter nicht so einfach entläßt, die zum Denken zwingt und zum Handeln anregt.
Maria Michel

Noch bis 7. November in der GBM-Galerie, Weitlingstraße 89, Berlin, montags bis freitags 10 bis 15 Uhr.


Abenteuerin des Absoluten
Bilder und einige biographische Fakten Paul Gauguins kannte ich. Leben und Werk seiner Großmutter Flora Tristan (1803–1844) leider nicht. Sie war die Tochter eines spanisch-peruanischen Obersten und einer Französin. Als sie vier Jahre alt war, starb der Vater, die reichen und mächtigen Verwandten erkennen die Gültigkeit der Ehe nicht an, die Mutter muß sich mit den Kindern in Frankreich durchschlagen. Flora, die seit ihrer frühen Jugend malt, erhält eine Ausbildung in der Werkstatt eines Malers und Kupferstechers, der sie im Alter von 18 Jahren heiratet. Die Ehe wird zum Fiasko: Flora flüchtet den Rest ihres Lebens vor dem Mann, der sechs Jahre vor ihrem Tod auf offener Straße auf sie schießt. (Was für ein Stoff für Hollywood, wäre nicht der politische Inhalt ihres Lebens!)

Da ist sie schon eine anerkannte Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für mehr Rechte von Frauen und überhaupt Unterdrückten, besonders Proletariern. Eigene Erfahrungen und großer Bildungserwerb machten sie zu einer der ersten feministischen Sozialistinnen. Angefangen hatte es mit dem Entwurf einer Gesellschaft, die alleinreisende Frauen unterstützt und schützt, und zuletzt warb sie für eine »Arbeiterunion«, mit der sich die Arbeiter von der herrschenden Knechtschaft befreien sollten. Dazwischen Reiseberichte, soziale Reportagen, ein Roman, Reisen, wichtige Bekanntschaften, Agitationstouren, verrückte Erlebnisse. Eine bemerkenswerte Frau mit missionarischem Eifer zur Verbesserung der Welt. Florence Hervé hat ein Büchlein mit Texten von Flora Tristan samt einer Vorstellung ihrer Protagonistin zusammengestellt. Das Kennenlernen der Großmutter Gauguins lohnt allemal.
Christel Berger

Florence Hervé: »Flora Tristan oder: Der Traum vom feministischen Sozialismus«, Dietz Verlag, 144 Seiten, 9,90 €



Medizinische Privatisierung
Medizinisch sollen Organe nur entnommen werden, wenn der Mensch verstorben ist. Gesellschaftlich erfolgen Privatisierungen am lebenden Körper.
Andreas Stahl