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Titel2116

Bemerkungen

Was die Bank so braucht

Sonntag im Berliner Hauptbahnhof: Ich kaufe mir den Tagesspiegel. Bei der Gelegenheit greife ich gleich noch daneben und nehme – ohne lange zu überlegen – für 3,50 Euro das neueste Produkt aus dem Hause FAZ mit: die freitags erscheinende Frankfurter Allgemeine Woche.

 

Dabei hätte ein Blick auf die Rückseite des neuen Wochenmagazins genügt, um zu erkennen, dass ich mangels finanzieller Ressourcen nicht zur Zielgruppe dieses Printmediums gehöre. Im Text der Anzeige lädt die Deutsche Bank zum »ZinsDialog« ein und bietet »Unser Wissen für Ihr Vermögen« an. Es geht um »Anlagealternativen«, die nicht näher beschrieben werden.

 

Die Deutsche Bank schreibe rote Zahlen. Ihr Aktienkurs sei abgestürzt. Aufgrund ihrer Strafverfahren drohe der Bank das Geld knapp zu werden, informiert mich an diesem Tag der Wirtschaftsteil des Tagesspiegels. Der neue Vorstandsvorsitzende John Cryan habe vor über einem Jahr den notwendigen Wandel einleiten wollen. Davon sei aber »nicht viel zu spüren«, meint der Tagesspiegel.

 

Die Frankfurter Allgemeine Woche teilt im redaktionellen Teil die Auffassung, dass die Deutsche Bank in ihrer bisher größten Krise stecke. Der Artikel ist dann aber kaum mehr als ein Lobgesang auf Vorstandschef Cryan. Er endet mit den Worten, der in Frankfurt lebende Manager gelte »als Freund der Oper und hört gerne zu«. Vielleicht sei »dies gerade das, was die Bank gerade braucht«.

 

»Hintergründe und Analysen in höchster journalistischer Qualität«, verspricht die FAZ-Woche in ihrer Eigenwerbung. Gleich daneben versucht sich ein Kolumnist unter der Überschrift »Das war's« mit dem Thema Willkommenskultur auseinanderzusetzen. Daraus nur ein Satz: »Es reicht schon die ans Hysterische grenzende Willkommensbesoffenheit mit der sogenannten Leitkultur zu konfrontieren, die in der Flüchtlingsdebatte feststeckt wie ein Angelhaken im Fischmund«. – Das reicht.                                

Manfred Laube

 

 

Ronald Paris – Syrien 1978

In Zeichnungen und Gouachen hat der Künstler seinen Besuch in einem damals friedlichen Syrien festgehalten. Zwischen der DDR und der Syrischen Arabischen Republik bestand ein Kulturabkommen. In diesem Rahmen unterzeichnete Walter Womacka, Vizepräsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR, eine Vereinbarung zwischen seinem Verband und der Syrischen Künstlergewerkschaft. Deshalb gab es zwischen beiden Organisationen einen Künstleraustausch, den Ronald Paris für seine Reise nutzte. In farbenprächtigen Bildern und zahlreichen Skizzen hielt Ronald Paris 1978 diese Erlebnisse fest. Da sind noch Schätze des Weltkulturerbes, die heute zerstört sind, zu bewundern.

 

Viele Syrer suchen Schutz bei uns und wünschen sich sehnlich eine Rückkehr in ihre Heimat. Warum diese Sehnsucht so groß ist, wird beim Anblick der Bilder von Ronald Paris verständlich. Er zeigt Bilder des Friedens in einem nun geschundenen Land.      

           

Luise Weigel

Ladengalerie der Tageszeitung junge Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin, geöffnet Mo. bis Do. 11 bis 18 Uhr, Fr. 10 bis 14 Uhr. Die Ausstellung läuft bis zum 16.11.2016.

 

 

Zurück zu Hitlers Kunst-Tempel

Die Bäume sollen weg. Unverstellt soll der Blick wieder sein auf die Protzfassade von Hitlers Tempel der »deutschen Kunst« in München mit seiner 175 Meter langen gigantischen Säulenfront und der mächtigen Freitreppe. Vorbei sein soll die Zeit der Verschämtheit, die den Anblick des gebauten Größenwahns gnädig mit einem Vorhang aus Vegetationsgrün abmilderte. So will es Okwui Enwezor, der Direktor des Hauses der seit 1945 nicht mehr deutschen Kunst, das 80 Jahre nach seiner Eröffnung generalsaniert werden muss. So plant es das Architekturbüro David Chipperfields, das mit der Revitalisierung der Berliner Museumsinsel Furore machte. So will es auch Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle, der den »demokratischen Umgang mit der Geschichte« rühmt.

 

»Transparenz« lautet das Stichwort. Man stellt sich der Geschichte, und an der gibt es nichts zu verbergen. Die von Paul Ludwig Troost entworfene Herrschaftsarchitektur ist schließlich ein »bedeutendes Bauwerk der Dreißiger Jahre«, dessen »ursprüngliche Qualitäten« sichtbar sein sollen. Dazu gehört auch die Wiederherstellung des überdimensionalen »Ehrensaals«, in dem Hitler 1937 seine programmatische Eröffnungsrede gehalten hatte. Schon Enwezors Vorgänger hatten die Zwischenwände herausgerissen, die in den ersten Nachkriegsjahren eingezogen worden waren, um Ausstellungsraum für die Schätze der kriegszerstörten Pinakotheken zu schaffen. Nun soll der Saal auch nach oben geöffnet werden, damit das Himmelslicht wieder hereinströmen kann. Der Raum ist dann nicht mehr klimatisierbar, also für Ausstellungen nicht zu nutzen. Selbstverständlich geschieht das alles nicht aus Ehrfurcht vor Nazi-Größe. Enwezor will ein Haus der weltoffenen Begegnung. Es ist da nur ein Missverständnis um das so demokratisch wirkende Wort »Transparenz« passiert. Ein kolossales Missverständnis um ein kolossales bauliches Monstrum. Ob wohl die Stadt München und die Bayerische Schlösserverwaltung als Eigentümerin der Immobilie noch einen nachdenklicheren Umgang mit dem verstörenden Erbe herbeiführen können?

   Hans Krieger

 

 

Erinnern an Hilmar Thate

Angelica Domröse und ich kamen 1962 an das Berliner Ensemble, damals »unser BE«. Wir waren jung und neugierig und ahnungslos. Wir alle wurden durch dieses Theater geprägt, in unserem Denken und Handeln. Ja, das Theater bestimmte unser Leben. Ich denke an »Die Tage der Commune«, wo Du den Jean Cabet spieltest, Angelica die Babette Cherron und ich die Genevieve Guericault. Mehr als 30 weitere Kollegen traten in der Inszenierung auf, darunter Ekkehard Schall, Gisela May, Wolf Kaiser, Raimund Schelcher, Günter Naumann, Agnes Kraus, Manfred Karge. Es war eine beglückende Zeit, weil ein so großes Ensemble mit ganzem Einsatz, mit Interesse am Stück, mit großer Lust und mit Spaß gemeinsam arbeitete. Alle beschäftigten sich mit der Zeit der Pariser Kommune. Wir trafen uns freiwillig eine Stunde vor Probenbeginn, um über diese Zeit zu reden und sie mit tagespolitischen Ereignissen zu vergleichen.

 

Unvergessen bleibt mir Dein Givola in »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« oder der Aufidius in »Coriolan« (1964). Wir haben Matineen und Brechtabende bestritten. Später, 1971, war ich Deine Lady Anne in »Richard III.« am Deutschen Theater. All diese Inszenierungen hat Manfred Wekwerth mit einem großen Team auf die Bühne gebracht. Wekwerth und Du, Ihr kamt beide aus dem Anhaltischen, Wekwerth aus Köthen, Du aus Dölau. Ihr verstandet Euch auf Zuruf. Dein Richard III. war ein Ereignis. Später folgten Fernsehfilme wie »Optimistische Tragödie« und »Zement«. Große Schauspielkunst, die Zusammenarbeit war von Kollegialität und Freundlichkeit geprägt, von Freude am Spiel und am Probieren. Du warst ein durch und durch politisch denkender Mensch, Deine Arbeits- und Denkweise von Brecht geprägt. Du konntest auch wütend und streitsüchtig werden, wenn Du eine Sache für richtig hieltest, das ging manchmal bis zum Jähzorn, aber es ging uns immer um die Sache, »die dritte Sache«.

 

Zerwürfnisse, Meinungsverschiedenheiten trennten uns jahrelang, machten uns sprachlos. Doch wir fanden wieder zueinander, Du machtest den ersten Schritt. Ein Happy End: Wekwerth, Du und ich lasen 2010 in Buckow aus dem Buch »Neues vom alten Brecht« zur Freude des zahlreich erschienenen Publikums.

 

Hilmar – Du warst ein großer Schauspieler, Salut, mein Lieber.

Renate Richter

 

Hilmar Thate starb am 14. September 2016 im Alter von 85 Jahren.

 

 

Ein stiller Alltagsfilm

»Alles was kommt« – ein Film ohne Sensationen, mit einer wunderbar sensiblen Isabelle Huppert.

 

Eine Frau, Nathalie, arbeitet als Philosophiedozentin an einer Hochschule, wird sogar von ihren ehemaligen Schülern noch verehrt, hat fast erwachsene Kinder. Ein Schulbuchverlag gibt ihre Lehrbuchreihe heraus, sie wohnt mit ihrem Mann, einem Professor, in einem schönen Haus, und ihre Studenten fühlen sich durch ihren Unterricht zum Demonstrieren angeregt. Selbst demonstriert sie nicht mehr, sie »war auch mal Kommunistin, aber das ist lange her«. Momentan muss sie sich oft um ihre Mutter kümmern, die an der Einsamkeit des Alters und den vielen ungelebten Möglichkeiten einer typischen Frauenbiografie leidet. Leitmotivisch wird in den Szenen mit der Mutter Nathalies eigenes Zukunftsproblem deutlich.

 

Dann gerät das Leben aus der bisherigen Bahn: Der Professor fühlt sich zu einer anderen Frau hingezogen, der Schulbuchverlag kündigt den Vertrag, und ein junger Philosoph nimmt Nathalie mit in eine Landkommune.

 

Mehrmals bietet der Film Einblicke in Nathalies Unterricht: Einmal erklärt sie, was Wahrheit ist, mit einer Sophokles-Frage: »Kann man über Wahrheit diskutieren?« Die Schüler meinen ja. Nathalie weiter: »Dass sich die Erde um die Sonne dreht ist als Wahrheit bewiesen, oder? Ab wann kann man nicht mehr über die Wahrheit diskutieren?« Eine kluge Frage. Das Thema des Films: das Porträt einer Frau, die die Lebensmitte überschritten hat, auf ihre Jugend schon länger zurückblickt und das Alter nah vor sich hat. Der Film zeigt eine Wahrheit: wie kurz das Leben ist.

 

Gefühle werden angedeutet, oft nur im Gesicht der Huppert, Handlungen durch den Alltag bestimmt. Vieles bleibt im Vagen, es bleibt Raum für Mehrdeutigkeit. Der Film rennt nicht, er fließt dahin, zerrinnt wie die Zeit, in der er spielt. Es scheint sich um einen einzigen Sommer zu handeln, für die Hauptperson bricht etwas weg, aber sie bricht nicht zusammen, sie besteht. Die Änderungen brechen sich leise Bahn. Ja, sie ist allein, der Mann ist weg, die Mutter gestorben, die Kinder aus dem Haus, der jugendliche Geliebte war eine Illusion. Und doch endet dieses Jahr mit einer Weihnachtsfeier in ihrer Wohnung, zu der die Kinder kommen. Unspektakulär und doch nicht langweilig.

 

Leben ist oft in dieser Art unspektakulär, es ist endlich, es ist keine Zeit zu verlieren, und doch verliert man sie. Unmerklich. Das zeigt dieses kleine Meisterwerk, eine französisch-deutsche Produktion.                                      

Anja Röhl

 

»Alles was kommt«, Regie/Drehbuch: Mia Hansen-Løve, 102 Minuten

 

 

 

Good-bye Sommerzeit

Man will es einfach nicht glauben …, aber alles hat ein Ende. Und der Sommer hat sogar zwei, wenn in ein paar Tagen die Sommerzeit wieder einmal endet. Jedes Jahr stehen wir zweimal vor der Frage, ob wir die Uhren eine Stunde vor- oder eine Stunde zurückstellen müssen. Eine Stunde mehr oder weniger Schlaf?

 

Seit hundert Jahren wird in Deutschland an der Sommerzeit (im wahrsten Sinne) herumgedreht – und das zumeist in schwierigen Zeiten. So unternahm das Deutsche Kaiserreich im Kriegsjahr 1916 den ersten Sommerzeit-Vorstoß: Energie sparen zugunsten von Militär und Rüstungsindustrie. Außerdem verknappte die Seeblockade den Nachschub an Petroleum. 1919 wurde die Regelung zwar wieder rückgängig gemacht, aber die Nazis führten die Sommerzeit 1940 wieder ein. Nach Kriegsende waren dann die Siegermächte für die deutschen Belange und damit auch für die Sommerzeit zuständig, was teilweise zu einem Zeitchaos zwischen Rhein und Oder führte. So tickten beispielsweise die Uhren in der sowjetischen Besatzungszone im Sommer 1945 nach der Moskauer Zeit.

 

Von 1950 bis 1979 gab es dann in Deutschland zwar jedes Jahr einen Sommer, aber keine Sommerzeit mehr. Die 1980 wieder eingeführte Sommerzeit geriet im Vorfeld zu einer innerdeutschen Posse. Die BRD wollte sich ihren Nachbarstaaten anpassen, die die Sommerzeit angesichts der Ölkrise von 1973 bereits 1977 eingeführt hatten. Um jedoch unterschiedliche Zeiten im geteilten Deutschland (vor allem in Berlin) zu vermeiden, war eine Einigung mit der DDR notwendig, die zunächst nicht zustande kam. Die Sommerzeit wurde zu einer »politischen Frage«. Doch dann preschte die DDR überraschend vor. Die Uhren sollten im Arbeiter- und Bauernstaat plötzlich für den weiteren Aufbau des Sozialismus ticken. So wurden am 6. April 1980 ziemlich übereilt auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze die Uhren eine Stunde vorgestellt. Die erwartete Energieersparnis stellte sich aber bereits im ersten Jahr nicht ein, sodass die SED-Führung die Sommerzeit am liebsten wieder in der Mottenkiste verschwinden lassen wollte. Doch die Genossen in Moskau waren anderer Meinung und hielten ihrerseits an der Sommerzeit fest, was selbstverständlich auch für ihre Bündnispartner zu gelten hatte. So blieben die beiden deutschen Staaten – zumindest zeitlich – vereint.

 

Über die Vor- und Nachteile der Sommerzeit wird aber weiterhin heftig gestritten. Allein unser Körper muss sich mit dem halbjährlichen Unsinn herumschlagen, denn die Zeitumstellung bringt unsere innere Uhr für einige Tage aus dem Takt. Mediziner haben inzwischen negative Auswirkungen wie Schlafstörungen festgestellt, denn die Zeitumstellung ist jedes Mal ein Mini-Jetlag.

 

Aber was soll die ganze Aufregung? Untersuchungen haben längst ergeben, dass der Mensch im Grunde genommen einen 25-Stunden-Rhythmus besitzt – quasi jede Nacht eine Zeitverschiebung durchmacht. Jetzt weiß ich endlich, warum ich jeden Morgen wie gerädert aus den Federn klettere.         

Manfred Orlick

 

 

Roman und Lügen

Olaf Trunschke, einst Chemiker, später Werbetexter und Kleinverleger, ist durch Kurzprosa bekannt geworden. Jetzt, mit 58 Jahren, legt er seinen ersten Roman vor. »Die Kinetik der Lügen« ist eine Verschränkung der historischen Figuren und Schriftsteller Lord Byron, Percy Shelley und vor allem der Frankenstein-Erfinderin Mary Wollstonecraft-Shelley mit der Gegenwartsgeschichte des Ich-Erzählers, der als Dokumentarfilmer dem berühmten Kernforschungszentrum CERN Geheimnisse entreißen will. Es gibt eine Freundin Maria, also fast eine Mary, mit der er die Liebe und das Essen pflegt. Ganz so tun es auch im Jahre 1816 die historischen Figuren. Keine Frage, dass sich, wie in speziellen und allgemeinen Relativitätstheorien, die Zeiten und Räume vermischen.

 

Das Jahr 1816 ist vor allem durch sein Klima berühmt – eine durch einen Vulkanausbruch in Indonesien verursachte Saukälte. Die auch am Genfer See, wo heute das CERN liegt und einst die Byron-Truppe sich vergnügte, Regen, gelegentlich sogar Sommerschnee brachte.

 

Die Erfindung des Frankenstein-Monsters und die Versuche, in einem 27 Kilometer langen Tunnelgewirr Materie und Antimaterie miteinander kollidieren zu lassen, haben in diesem Roman sehr schöne Gemeinsamkeiten. Kann der Mensch einen Anti-Menschen, also ein Monster erfinden? Einer der heutigen Wissenschaftler spricht denn auch mal ziemlich bedeutsam: »Unser Gehirn lügt sich die Welt zurecht.« Nun, wir haben heute allerlei virtuelle Nachschlagewerke, die man anstelle althergebrachter Schmöker nutzen kann. Der Rezensent gesteht, dass er sich schon während, aber vor allem nach der Romanlektüre die Eskapaden des Lord Byron, die Amouren der Mary Shelley, aber auch die Vorgänge um das CERN – dort sind immerhin über 3000 Wissenschaftler fest beschäftigt – nachschlug, also per Klick sich allerlei Netz-Wissen reinzog. Ich empfehle durchaus diesen Roman – aber zusätzlich empfehle ich schnelle Zugriffe aufs Welt-Wissen. Selbst wenn man aus den vielen, sich immer mehr verzweigenden Elektro-Pfaden ständig Lügen herausfiltern muss. Fest steht: Shelley gab es, Marys Frankenstein gab und gibt es, Trunschke gibt es.    

                            

Matthias Biskupek

Olaf Trunschke: »Die Kinetik der Lügen«, Roman, homunculus verlag, 288 Seiten, 22,90 €

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Zur Demo »Die Waffen nieder!« hatten zahlreiche Friedensinitiativen, Parteien, Gruppen und Vereine aus der ganzen Republik für den 8. Oktober nach Berlin gerufen, und das war ein hoffnungsvolles Event in bedrohlichen Zeiten. Den generellen Forderungen nach weltweiter Abrüstung, nach zivilen Konfliktlösungen und nach einem ausgleichenden System gemeinsamer Sicherheit schlossen sich offenbar alle Zusammengeströmten an – gleich, welchen Parteien und Glaubensrichtungen sie zuzuordnen waren, ob sie vom Norden oder aus dem Süden, von den Friedensforen Nürnberg und Lübeck, von pax christi aus Dortmund oder vom Deutschen Freidenkerverband aus Ostthüringen angereist waren, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes vertraten oder der Berliner Friedensglockengesellschaft angehörten, ob sie die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend repräsentierten oder das Aktionsbündnis Großmütter gegen den Krieg. Schon die Anzahl und die Vielfalt der Erstunterstützer und Gruppenunterzeichner machten Mut und gaben trotz inhaltlicher Kontroversen Hoffnung. Und selten haben wir einen Aufruf gelesen, der so einleuchtend, so vernünftig und so verständlich formuliert war wie das Dokument, das in Anlehnung an die eindringliche Mahnung der Pazifistin Bertha von Suttner »Die Waffen nieder!« zu Kooperation statt Konfrontation und zu Abrüstung statt Sozialabbau aufforderte. Es war uns eine Genugtuung, zu den schätzungsweise 8000 (die offiziellen Zahlenangaben schwankten, wie üblich, um mehrere 1000) alten und jungen Teilnehmern zu gehören, die nach dem Meeting am Alexanderplatz in fröhlicher Stimmung durch die herbstliche Berliner Mitte demonstrierten und ihre Forderungen und Hoffnungen in Wort und Schrift artikulierten.

 

Und was uns bei dem Treffen außerdem und besonders auffiel: Die Leute unterschiedlichsten Alters und unterschiedlichster Couleur sprachen miteinander in althergebrachter Weise, also von Mund zu Mund, und sie sahen sich dabei sogar in die Augen, und das ging erstaunlicherweise ohne Handys, Smartphones, Apps oder schiefertafelähnliche Instrumentarien, die die in Berlin ohnehin schmalen Straßen noch zusätzlich eingeengt hätten.

 

Wir gingen davon aus, dass das Ereignis, dessen Inhalten sich jeder halbwegs vernünftige Mensch nur anschließen konnte, auch in den Medien einen gebührenden Niederschlag finden würde, sahen uns jedoch in dieser Erwartung in den beiden Tagen danach bitter enttäuscht. In einigen Redaktionen hatte sich die Veranstaltung offensichtlich noch nicht herumgesprochen und in anderen, die dürftig und unter »ferner liefen« darüber berichteten, wurde die Demonstration heruntergespielt. Andere Nachrichten, so die über die Ehekrise des Traumpaares Brangelina oder über das erste graue Haar im natürlichen Schopf von Heidi Klum, schienen für die Tagesberichterstattung von größerer Bedeutung zu sein.

 

Sollten die Zeitungen besser zu Demonstrationen zur Erhaltung des Ehefriedens von Promis oder zu Spenden für die Haarfärbung von Stars aufrufen, um danach großspaltig und unfrisiert über diese Ereignisse berichten zu können? – Bastian und Lotti Unglaube (43), Berater, 07957 Neuärgerniß

Wolfgang Helfritsch