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Titel2208

Rettungspäckchen  (Rita Rosmarin)

Richtig freuen konnten wir uns nicht, als wir beim Mittagessen in der Kantine über Angela Merkels »Rettungspaket« sprachen. So erfreulich es für die Banken sein mag, wenn sie gerettet werden – aber jeder von uns kennt arme Menschen, denen schon ein kleines Rettungspäckchen helfen würde.

Wir gerieten also mal wieder ins Rechnen.

Um wieviel Geld für eine notleidende Arbeitslose dürften wir denn wohl die Kanzlerin bitten?

Einmalig 500 Euro, schlug Christoph vor und bekam gleich einen roten Kopf, weil er fürchtete, zuviel zu verlangen.

Ich beruhigte ihn: Das »Rettungspaket« enthält rund 500 Milliarden Euro. Nehmen wir doch mal an, für die Notleidenden stände ebenso viel Geld zur Verfügung wie für die paar Banken. Wenn Du Dich nun mit 500 Euro begnügst, bleiben für 999.999.999 andere Menschen ebenfalls je 500 Euro übrig. So viele Menschen haben wir in Deutschland gar nicht. Und in ganz Europa nicht.

Alle staunten, ich auch.

Katrin dachte an die Hungernden in Asien, Afrika und Lateinamerika. In vielen Ländern reichen 500 Euro im Jahr zum Leben. Wenn eine Milliarde Menschen je 500 Euro bekämen, gäbe es keinen Hunger. Nirgendwo auf der Welt.

Aber nach einem Jahr wäre das Geld aufgegessen, wandte Lothar ein und brauchte sonst nichts zu sagen, um uns von hingebungsvoller Barmherzigkeit abzubringen und uns aus der versteppenden südlichen Hemisphäre nach Deutschland zurückzuführen.

Hierzulande, so schätzten wir, sind etwa fünf Millionen Menschen dringend hilfsbedürftig. 500 Milliarden Euro aufgeteilt auf fünf Millionen Menschen ergibt die schöne Summe von 100.000 Euro. Für jede und jeden. Hunderttausend. Alle wiederholten andächtig diese Zahl.

Aber brauchen denn fünf Millionen Arme überhaupt so viel Geld? Je 100.000 Euro auf die Hand? Wozu?

Dafür könnte sich jede und jeder eine kleine Eigentumswohnung kaufen, um fortan miet- und zinsfrei zu wohnen.

Fünf Millionen neue Wohnungen – was für ein Konjunkturprogramm! Dann hätten wir vielleicht bald gar keine Arbeitslosen mehr!

Wir schwärmten. Die Kolleginnen vom Nachbartisch rechneten begeistert mit. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als den Gedanken an viel Geld.

Am Ende der Mittagspause war das Ergebnis unseres Arbeitsessens – wie man eine solche Mahlzeit in Bankierskreisen nennt – gründlich durchdacht, es überzeugte uns alle. Die Banken, so verständigten wir uns, bekommen ihr großes Paket, wie sie es sich gewünscht haben, und wir verzichten auf zusätzliche Päckchen. Vielmehr richten die Banken für die fünf Millionen Notleidenden je ein Konto ein, das auf 100.000 Euro lautet. Den Konto-Inhabern müssen sie dann jeden Monat Zinsen zahlen, ein paar hundert Euro: die längst fällige Zulage zu Hartz IV. Die Banken behalten also die 500 Milliarden und können damit viele gute Projekte finanzieren, auch in Asien, Afrika und Lateinamerika.

Dann, so befanden wir, müßten alle zufrieden sein, auch die Bankiers, auch die Politiker.

Oder steckt in der Rechnung etwa doch ein Fehler? Ja, schon: Das Geld fehlt. Sonst fanden wir keinen.

Trotzdem grüble ich: Warum verzichten wir eigentlich auf die 500 Milliarden? Warum sind wir so bescheiden?