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Wie wird man regierungsfähig?  (Arnold Schölzel)

Was sich liebt, das neckt sich. Einige Wochen vor der Bundestagswahl sprach der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer der FDP die Regierungsfähigkeit ab, den FDP-Chef Guido Westerwelle titulierte er als »Sensibelchen«. In den frühen Morgenstunden des 24. Oktober, um 2.12 Uhr, einigten sich CDU, CSU und FDP auf eine gemeinsame Regierung. Nach Auskunft von Westerwelle duzten sich Seehofer und er seit 2.15 Uhr.

Der Umschlag von politischer Inkompetenz oder Impotenz zur Fähigkeit, »Verantwortung« zu schultern, »Realismus« zu zeigen, sich »auf den Boden der Tatsachen« zu stellen oder wie die positiv gemeinten Metaphern sonst lauten, dauert manchmal etwas länger, vollzieht sich aber am Ende stets in kürzester Frist. Das Viagra des politischen Betriebs heißt Ämter, Pöstchen und Diäten. Es bewirkt Wunder und macht über Nacht aus einem politischen Paria einen Minister.

Westerwelle war allerdings im hiesigen Politbetrieb nie ein »Unberührbarer« und das Sommertheater der CSU nicht ernstgemeint. Aber es gibt Schmuddelkinder, mit denen angeblich keiner spielen will. In der Bundesrepublik sind das offiziell Nazis, Neonazis und Kommunisten. Die ersteren durften ab 1949 mitmachen, weil sie alle zu Demokraten geworden waren. Einige Programmpunkte der Neonazis wie die Abschaffung des Asylrechts oder eine schärfere Gesetzgebung für Ausländer haben Union, FDP und SPD im Bundestag durchgesetzt. Nur bei Kommunisten oder Leuten, die welche waren oder die längst im Verdacht stehen, einen Kommunisten gekannt zu haben, sieht es anders aus. Die sind entweder verboten, nicht für den öffentlichen Dienst geeignet oder wenigstens abgewickelt, sofern sie aus der DDR stammen. 1990 wurden sie und die politische Linke insgesamt für tot erklärt, weil gescheitert, und für überflüssig, weil ab nun Frieden, Freiheit und Wohlstand herrschten.

In der 1990 gegründeten PDS gab es nicht wenige Leute, die das genauso sahen. Die Auffassung, der Kapitalismus sei grundlegend veränderungswürdig, galt als »nicht politikfähig«, wie seinerzeit des öfteren zum Beispiel von André Brie zu hören war. Der Spiegel ernannte ihn daraufhin zum »Vordenker« und ließ ihn dort – wie öfter vor Bundestagswahlen – auch in diesem Jahr vor seiner Partei warnen. Die Wendung »nicht regierungsfähig« kam in seinem Artikel allerdings nicht vor. Denn wem dieses Etikett zuerkannt wird, der ist zumindest schon mal in die engere Wahl einbezogen. So wiederholt der seit 2002 in Berlin zusammen mit der PDS beziehungsweise der Linkspartei regierende SPD-Spitzenanwärter Klaus Wowereit seit etwa eineinhalb Jahren mit solcher Regelmäßigkeit, die Linkspartei sei auf Bundesebene »nicht regierungsfähig«, daß alle Welt richtigerweise folgert, er halte genau das für möglich: die Beteiligung an einer Bundesregierung.

Das gilt in Westdeutschland noch als Sensation, im Osten seit der PDS-Unterstützung einer SPD-geführten Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt zwischen 1994 und 2002, der Koalition von SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern von 1998 bis 2008 und der Tolerierung eines SPD-Grünen-Senats durch die PDS 2001/2002 in Berlin, dem ein noch amtierender Senat von SPD und PDS beziehungsweise Die Linke folgte, nicht mehr. Kurz nachdem die PDS die Landesregierung in Magdeburg zu tolerieren begann, trommelte übrigens der damalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping die ostdeutschen Landes- und Fraktionsvorsitzenden seiner Partei zusammen und ließ von ihnen im August 1994 eine Dresdener Erklärung verabschieden. Darin wurde die PDS als »Partei der folgenlosen politischen Versprechen« und »Hort ehemaliger Staatsfunktionäre« bezeichnet. »Eine Zusammenarbeit mit ihr kommt für uns nicht in Frage«, hieß es. In Frage kam sie, eine echte Scharping-Leistung, nach Zuerkennung der Regierungstolerierungsfähigkeit. Bis zur Anerkennung der Regierungsfähigkeit in Schwerin dauerte es dann vier Jahre.

Ungeachtet aller Regierungsbeteiligungen fehlt seither in keinem Artikel der meist im Westen gelesenen Großpresse dieses Landes über die Linke die Sorge, ob die regierungsfähigen »Reformer« der Partei sich gegen – wahlweise – Stalinisten, Altkader, Populisten oder »Irre« (Gregor Gysi über Westgenossen) durchsetzen können. Dort, im Westen, wird die Frage dann völlig überraschend stets mit Nein beantwortet, siehe Hessen oder das Saarland.

Auf das »nicht regierungsfähig« verzichtete Brie in seinem Spiegel-Aufsatz vom 8. Juni. Er hatte Schrecklicheres auf Lager: Die »Zukunftsfähigkeit« der Linken steht auf dem Spiel. Sie ist nämlich durch den »Lafontainismus« gefährdet. André Brie 2009 ist ungefähr Scharping 1994, jedenfalls schrieb der Linksparteimann: »Eine zukunftsfähige sozialistische Linke braucht dauerhaft die selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Scheitern der sozialistischen Diktatur, wenn sie sich im demokratischen Pluralismus etablieren will. Der Verzicht darauf stärkt Tendenzen, die die Linkspartei am Ende in die politische Wirkungslosigkeit führen können. Leere ideologische Fundamentalismen machen sich vielleicht auf Plakatwänden gut, die konkrete Debatte etwa um die Zukunft des Sozialstaats oder die Zukunft Afghanistans nach einem Abzug der Bundeswehr können sie nicht ersetzen, auch aus Sicht der Wähler nicht.«

»Zukunftsfähigkeit« in diesem Sinn ist mehr als ein Programm für Regierungsfähigkeit, es ist eines zum Überflüssigmachen der Linkspartei. Aus dem »Ankommen« ist die »Etablierung« geworden, aus dem »demokratischen Sozialismus« die »konkrete Debatte um die Zukunft des Sozialstaats«, nicht etwa »Weg mit Hartz IV«, die »Zukunft« Afghanistans ist ein wichtigeres Thema als das sofortige Ende des Krieges, den der Westen dort führt.

Allerdings hilft das Aussenden solcher Signale von Politik- und Regierungsfähigkeit nicht viel. Die Bereitschaft der Thüringer Linken, auf Wunsch von SPD und Grünen die DDR als »Unrechtsstaat« zu charakterisieren und bestimmte linke Vereine nicht mehr einzuladen, beschleunigte nicht den Gang ins Erfurter Kabinett. Ein bißchen mehr muß schon draufgelegt werden, wie die Brandenburger Linke demonstriert. Dort hatte sie sich noch kürzlich im Volksbegehren für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2040 engagiert, scheint davon aber in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD nicht mehr viel wissen zu wollen. An Vattenfall kommt in Potsdam keiner vorbei, der dort regieren will. Der Verzicht auf ein Ministeramt, weil jemand vor einem Vierteljahrhundert mit der DDR-Staatssicherheit zusammengearbeitet hat, reicht jedenfalls nicht. Es läßt sich auch so sagen: Wer regierungsfähig ist, muß lediglich zu allem bereit, aber nicht kompetent sein und darf nicht Erinnerungen an Wahlversprechen mit sich herumschleppen. Und wer die Zukunftsfähigkeit einer linken Partei auf die Fähigkeit zur Regierungsteilnahme schrumpfen läßt, will keine linke Partei mehr.