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Titel2209

Die Entdeckung der US-Mussolinis  (Gerhard Zwerenz)

Die Frage lautet, »warum so viele Berater um Bush so große Probleme hatten, die vielen Lügen – über den Irakkrieg etwa – öffentlich einzugestehen«. Die Antwort: »Nach dem Verständnis ihrer Schule, die Strauss, der von 1949 bis 1969 in Chicago politische Philosophie lehrte, begründet hat, taten sie nur, was notwendig ist, wenn man regieren will.«

Das luzide Frage-Antwort-Spiel ist in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 11.10.2009 nachzulesen. Über den genannten Strauss, gemeint ist Leo Strauss, weiß FAS-Autor Cord Riechelmann mitzuteilen: »Offen Faschist konnte man in Amerika nach 1941 nicht mehr sein. Wie man aber Faschist bleibt, ohne es zu schreiben, davon handelt Strauss’ Kunst des Schreibens auch. Und es ist wirklich interessant, wie ein in Deutschland geborener jüdischer Philosoph zum Faschisten werden konnte. In Briefen hat Strauss davon erzählt. In einem Brief, den er aus dem Pariser Exil 1933 an den noch in Deutschland lebenden Philosophen Karl Löwith schickte, hieß es: ›Das ganze deutsch-jüdische intellektuelle Proletariat befindet sich hier.‹ Es sei furchtbar, fügte er hinzu, ›am liebsten liefe ich fort nach Deutschland!‹ Das deutsch-jüdische intellektuelle Proletariat bestand in Paris unter anderem aus Hannah Arendt, Walter Benjamin und Günther Anders. Für den Geistesaristokraten hieß bis 1941 die Alternative zu diesen Proleten Mussolini.«

Die Tatsache, daß der jüdische Mussolini-Faschist und Philosoph Strauss noch im 21. Jahrhundert der Kriegsverbrechergruppe um Bush junior dienlich sein konnte, wird in der FAS mit einer Rezension der Strauss-Schrift »Die Kunst des Schreibens« legitimiert, die uns weniger interessieren muß, obgleich die darin gelehrte faschistische Sklavensprache nicht nur für die USA relevant ist. Das deutet Riechelmann in seinem Schlußsatz über Strauss auch an: »Daß heute viele seiner politischen Ideen in liberalen Programmen für Staat und Ausbildung wieder auftauchen, macht seine Kunst des Schreibens zur lohnenden Lektüre.«

Wir kannten Strauss schon als geistigen Vater der Chicago Boys, die in Chile nach dem faschistischen Putsch 1973 den Neoliberalismus ausprobieren durften. Daß nun das Organ der Frankfurter Neokonservativen so offen über die Kameraden vom rechten Flügel der US-Republikaner urteilt, ist beachtlich. Mit Arendt, Benjamin, Anders und einigen anderen Linken war Strauss befreundet. Seine schroffe Abwendung von diesem linken »deutsch-jüdischen intellektuellen Proletariat« weist auf einen innerjüdischen Konflikt hin, den wir nur deshalb nicht als letzten jüdischen Krieg bezeichnen, weil wir nicht zu den heute üblichen verbalen Übertreibungen beitragen wollen. Eher könnte es der vorletzte jüdische Krieg sein. Der letzte deutet sich offensichtlich im Konflikt um Israel und Palästina an, eingrenzbar auf Israel selbst, wo die Macht von der Art der Straussianer in den USA ist, während die schwächelnde Kritik den jüdisch-deutschen Linksintellektuellen vor 1933 ähnelt, wo nicht gleicht.

An dieser nicht ganz schmerzlosen Stelle ist Differenzierung angebracht. Der vorliegende mediale Verstoß gegen die guten westlichen Sitten der Besitz-, Spekulations- und Meinungsdiktatur erfolgte nicht in der FAZ, sondern in der FAS. Das ist zwar Jacke wie Hose, doch die Hose signalisiert mitunter Jeans: lockerer, wagemutiger, frecher, fast wie moderate Aufmüpfigkeit gegen die Krawatten der FAZ-Väter. Eine Sonntagsrevolte als Pendant zum Wort zum Sonntag im TV.