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Titel2210

Interessengegensätze  (Gerhard Feldbauer)

Die USA und andere NATO-Staaten, unter ihnen die EU-Führungsmacht Deutschland, intervenieren im ehemaligen Jugoslawien, im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan, in Afrika. Hinter der Fassade des demonstrierten einheitlichen Vorgehens wachsen die Interessenkonflikte. Befinden wir uns heute ähnlich wie in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erneut auf dem Weg in den Abgrund weltweiter kriegerischer Auseinandersetzungen, in denen es um die Weltherrschaft, um Einflußsphären und Rohstoffreserven geht? 75 Jahre sind jetzt seit dem Überfall Mussolinis auf Abessinien vergangen – ein Anlaß, sich der Gegensätze zu erinnern, die damals das Verhältnis zwischen den späteren Partnern der Achse Berlin-Rom charakterisierten.

Die widerstreitenden Interessen zeigten sich zuerst in der Österreich-Frage. Der von Hitler angestrebte »Anschluß« beunruhigte Rom, das im Falle einer gemeinsamen Grenze um das deutschsprachige, früher österreichische Südtirol, seine Kriegsbeute aus dem Ersten Weltkrieg, fürchtete. Außerdem lag von Wien aus der Balkan in greifbarer Nähe, eine Einflußsphäre, die Italien für sich beanspruchte. Als am 25. Juli 1934 die SS-Standarte in Wien nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß mit einem Putsch das Signal zum Einmarsch geben wollte, sicherte Mussolini Österreich Unterstützung zu und ließ am Brenner vier Divisionen aufmarschieren. In Berlin übergab Mussolinis Botschafter, Vittorio Cerruti, Außenminister von Neurath eine scharfe Protestnote. In der offiziösen Presse Roms wurde Berlin für den Mord an Dollfuß verantwortlich gemacht. Hitlers Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, berichtete nach Berlin, die Atmosphäre sei so gefährlich wie beim Kriegsausbruch 1914/15, als Italien den Dreibund verließ und auf die Seite der Entente übertrat. Hitler gab nach und verschob den Anschluß. Triumphierend reklamierte Mussolini die »historische Überlegenheit Italiens« und verkündete auf einer Kundgebung am 6. September 1934 in Bari: »Dreißig Jahrhunderte Geschichte erlauben uns, mit einem souveränen Mitleid auf gewisse Ideen von jenseits der Alpen zu blicken, die von einer Brut vertreten werden, welche wegen Unkenntnis der Schrift unfähig war, Dokumente ihres Vorhandenseins zu hinterlassen, als Rom einen Cäsar, Vergil und Augustus besaß.«

Der »Duce« fürchtete Hitlers Rivalität auch in Afrika, wo Deutschland im Ersten Weltkrieg seine Kolonien verloren hatte, die eine starke Fraktion in Berlin nun zurückforderte. Wie Mussolini später, 1940/41, mit den Überfällen auf Griechenland dem deutschen Vorstoß auf den Balkan zuvorzukommen suchte, wollte er sich auch mit der Annexion Äthiopiens eine Ausgangsbasis für weitere Eroberungen in Afrika und eine Vormachtstellung gegenüber Hitler sichern.

Schon während der Vorbereitungen des Kriegs gegen Äthiopien versuchte Hitler, Mussolini das Verhalten in der Österreich-Frage heimzuzahlen und ihn seinem Führungsanspruch zu unterwerfen. Im Auftrag des deutschen Heereswaffenamtes gingen auf anonymen Wegen Gewehre, Maschinengewehre, Handgranaten, Panzerabwehrkanonen, Munition und Medikamente nach Addis Abeba. Das Kriegsgerät stammte aus der Produktion von Rheinmetall-Borsig. Von den Waffen wurden die Firmenzeichen entfernt. Das Heereswaffenamt ließ auch in der Schweiz Kanonen kaufen und nach Äthiopien verschicken. Später folgten noch mehrere kleine Lieferungen als Geschenke. Offiziell erhielt Italien die Versicherung, daß »die Reichsregierung weder Waffenlieferungen an den Negus noch die Anwerbung deutscher Freiwilliger für Abessinien zulassen« würde. Nach dem anfänglichen Scheitern der italienischen Offensive, worüber von Hassell am 17. Januar 1936 Hitler informierte, kam es jedoch zu einem Meinungsumschwung in Berlin – auch als Reaktion auf das Angebot Mussolinis vom 6. Januar 1936, die Differenzen über die Österreichfrage beizulegen. Nach der Niederschrift Hassells gab der »Führer« danach die Devise aus, daß »ein Zusammenbruch des Faschismus in Italien (...) im höchsten Grade unerwünscht« sei. Deutschland müsse »alles tun, um zu vermeiden, daß sich die mannigfache Gegnerschaft der Welt gegen das autoritäre Regierungssystem auf uns als einzigen Gegenstand« konzentriere. Es liege »auch in unserem Interesse, daß Italien als Faktor im europäischen Spiel nicht allzu sehr geschwächt« werde.

Am 25. Oktober 1936 bildeten Hitler und Mussolini die Achse Berlin-Rom. Am 6. November trat Italien dem Antikominternpakt bei. Nach dem Scheitern des italienischen Überfalls auf Griechenland im Oktober 1940 zeigte sich, daß Italien seine Expansionsziele nur noch mit deutscher Hilfe ansteuern konnte. Mussolini mußte seine Pläne den deutschen unterordnen, wobei sich Hitlerdeutschland die günstige strategische Lage Italiens für seine eigenen Kriegsziele auf dem Balkan, in Nordafrika und Nahost zunutze machte. Der wirtschaftlich und militärisch schwächere römische Imperialismus zeigte sich dem raffinierteren, rücksichtsloseren, in Aggressionskriegen erfahreneren deutschen unterlegen.

Ausführlich hat Gerhard Feldbauer »Mussolinis Überfall auf Äthiopien. Eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkriegs« in einem Buch dargestellt, das unter diesem Titel im Verlag Pahl-Rugenstein erschienen ist.