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Dalís Sofa und Gogols Nase  (Monika Köhler)

Wir befinden uns noch in der banalen Wirklichkeit. Im Untergeschoss der Hamburger Kunsthalle, im Vorraum, werden die Namen der Sammler vorgestellt: Roland Penrose, Edward James, Gabrielle Keiller, Ulla und Heiner Pietzsch, ohne die manche Kunstwerke wohl nicht entstanden wären. Hinter einem Mauerdurchbruch leuchtet es flammend rot. Um das Geheimnis zu erkunden, muss der Besucher die gesamte Ausstellung »Dalí, Ernst, Miró, Magritte … Surreale Begegnungen« (bis zum 22. Januar 2017) durchwandern.

 

Der Sammler und Erbe eines Millionenvermögens Edward James förderte nicht nur die Künstler, er vergab auch Aufträge (für seine Wohnräume) und ließ Salvador Dalí durch einen Vertrag exklusiv für sich arbeiten. So entstand dieses rote Ding: das »Mae-West-Lippensofa«. Bequem ist es sicher nicht, so straff gespannt. Dalí wusste sich in Szene zu setzen, und er nutzte die Werbewirksamkeit des Skandals. Auf der Londoner Surrealisten-Ausstellung 1936 trat er im Taucheranzug auf und konnte (oder wollte) sich nicht vom Helm befreien. Es heißt, der Mäzen James habe ihn gerettet. Von Dalí stammen wohl die meisten Ausstellungsstücke, so das »Hummer-Telefon« und ein »Fadenspiel-Hände-Stuhl«, der um Hilfe zu schreien scheint. Und Gemälde, die die karge nordspanische Erde seiner Heimat zeigen. Der riesige Paravent »Landschaft mit seilspringendem Mädchen«, welches ganz winzig und verloren in der Bildmitte erscheint. Ihr Schatten irritiert. Ein Beispiel, wie Bild und Rahmen verschmelzen können, die beiden Gemälde: »Paar, die Köpfe voller Wolken«. Innerhalb der Rahmen wie Scherenschnitte (sie sind das Paar), der Himmel, das Meer, weißgedeckte Tische. Sie neigt ihren Kopf ihm zu. Die Wolken über Spanien – nicht drohend – gemütliche Sommerwölkchen. Das Bild entstand 1936 – wie die meisten Exponate, die Dalí in der Zeit bis 1938 schuf. Der Krieg, der die Republik in Spanien für lange Zeit niederkämpfte, fiel in diese Zeit. Künstler aus der ganzen Welt nahmen daran teil, auf republikanischer Seite. Doch Dalí schlug sich – ahnungslos? – auf die Seite Francos und damit Hitlers, weshalb ihn die Gruppe der Surrealisten aus ihren Reihen verbannte, zeitweise.

 

Die Ausstellung macht, ausführlicher noch der Katalog (288 Seiten, Hirmer Verlag, 30 Euro), mit den Künstlern, die nicht zum Faschismus überliefen, vertraut. Max Ernst schuf Verspieltes, wie das Gemälde »Junger Mann beunruhigt durch den Flug einer nicht-euklidischen Fliege« (1942–47). Ein schmales, eher kubistisches Gesicht inmitten von Kreisen und Ellipsen mit schwarzen Punkten – die Fliege. Unberechenbar, das Biest. In den 30er Jahren entstanden düstere Dschungelbilder, 1936 das Gemälde mit dem irreführenden Titel: »Die Lebensfreude«. Im wuchernden Grün: Heuschrecken, Gesichter, die Zweige wie Gerippe. Aus demselben Jahr »Das Frühstück im Grünen«: Nichts ist pittoresk, Mensch-Tierwesen wie Urzeittiere erobern die Welt. Um 1937 entstand »Der Kopf des Hausengels«, ein Bild, das als »Der Hausengel« bekannt ist. Max Ernst schuf dieses schreckliche, das ganze Bild beherrschende Fabelwesen zur Zeit des Krieges in Spanien. In Deutschland verfemte ihn die Schandausstellung »Entartete Kunst«. Das Tier – aufgebaut wie ein Hakenkreuz – stürzt sich auf die Menschen unter ihm, um sie zu zertreten. Seine Buntheit, nur Tarnung. Der »Kopf des Hausengels«, wie eine Erscheinung gelbgrün-giftig drohend aus dem schwarzen Nichts auftauchend, ist in Hamburg ausgestellt. Picassos Bild »Guernica« (1937) entstand als Reaktion auf die Bombardierung dieser spanischen Stadt. Eine »Weinende Frau I« – gar nicht bunt –, die sich mit einem Tuch ihre Augen trocknet, in denen sich Schrecken widerspiegelt – Picasso arbeitete an dieser Radierung gleichzeitig. Hier ist sie zu sehen. »Traum und Lüge Francos« (1937), auch eine Kaltnadel-Radierung, ist nur im Katalog enthalten.

 

Von den 180 in Hamburg gezeigten Werken stammen nicht wenige von Künstlerinnen. Ein Satz von André Breton leitet das Kapitel »Mythen des Weiblichen« ein. Breton 1934: »Die Erde befiehlt gewissermaßen durch die Frau.« Hier sind Entdeckungen zu machen. Auch die Darstellung der Frau durch den Mann, wie Balthus sie sah: er als der sich hinfläzende, uninteressierte Chauvi, sie bemüht – ein Bild von 1932. Gemälde von Paul Delvaux: die Frau, nackt in der Stadt – surreal. Oder von Max Ernst »Lots Töchter« von 1941, viel blutrot. Dorothea Tannings Bilder (die Gefährtin von Max Ernst in Arizona) wirken elektrisierend, geheimnisvoll: »Voltage« (1942). Leonor Fini lässt uns sehen, wie sie – sich selbst? – durchs Schlüsselloch verfolgt mit brennenden Kerzen im Haar. Leonora Carringtons Gemälde »Porträt der verstorbenen Mrs. Partridge«, 1947 entstanden, in glühenden Farben, märchenhaft, mit großem blauen Vogel, der neben ihr zu schweben scheint – es zieht die Blicke an.

 

René Magritte, sein irritierendes Gemälde »Reproduktion verboten« (1937) vorn auf dem Katalog. Ein Mann vor einem Spiegel, von hinten gesehen. Der Spiegel gibt ihn genauso wieder – die Realität ist außer Kraft gesetzt. Vor einer Bretterwand: Schuhe, die in Füße übergehen, vorn die Zehen zeigen: »Das rote Modell III« – Titel helfen nicht. »Der Geist des Komischen« (1928) läuft, ein weißes Riesengespenst, über eine weite Landschaft. Sein Körper ist fragil, durchbrochen, der Himmel scheint hindurch. Komisch? Auch Magritte wurde vom Sammler James beauftragt, für ihn zu arbeiten. Der Ballsaal seines Stadthauses brauchte Bilder. Fazit: Eine Ausstellung, die sich zuallererst – wie das Vorwort freimütig bekennt – »detailliert mit jeder und jedem der beteiligten Sammlerinnen und Sammler« beschäftigt.

 

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Der »Geist des Komischen« – dreidimensional und in Bewegung? Zu sehen – und hören – im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses. Ein Stück nach Gogols Erzählung »Die Nase« unter Verwendung seines Einakters »Der Spieler«. Regie führte der ungarische Regisseur Victor Bodo. Bearbeitet von Peter Kárpáti – beide mit dem Europäischen Theaterpreis 2016 ausgezeichnet. Das Stück, hier »Pension zur wandernden Nase« genannt, wird wohl genauso erfolgreich wie ihre Kafka-Bearbeitung »Ich, das Ungeziefer«. Eigentlich mag ich jene Komödien nicht, in denen das Publikum so lacht wie im Ohnsorg-Theater schräg gegenüber. Aber das hier ist der Ausnahme-Klamauk, nicht albern, intelligent. Die Nase geht ein wenig verloren unter dem Kartenspiel. Am Schluss des Stücks wird sie mit großem Genuss elegant verspeist, nicht gefressen. Wunderbare Slapstick-Szenen wie im besten Stummfilm, so die Streichholzzähl-Virtuosität. Altes Russland und Commerzbank, ein Pokerspiel um Teile der Sowjetunion. Nicht die Puppen – ein Koffer im Koffer, im Koffer… Die Schauspieler müssen alle genannt werden: Karoline Bär, Andreas Grötzinger, Ute Hannig, Paul Herwig, Michael Prelle, Bastian Reiber, Aljoscha Stadelmann und Samuel Weiss. Der Geist des Komischen ist durch sie lebendig geworden.