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Titel2217

Deutsche Post (II)  (Erhard Weinholz)

Normalität und Katastrophe könnte der Untertitel dieses Textes sein: Die Briefe und Karten, aus denen ich zitiere, wurden in den letzten zwei Jahren der Naziherrschaft versandt.

 

 

Ansichtskarte Heereserholungsheim in Grömitz mit Sonderstempel Grömitz Ostseebad der Sonnenseite

23.6.43

Liebe Else, liebe Mama! Ist für uns zu Hause bis jetzt gar keine Post angekommen? […] Wenn etwas für uns kommen sollte, schickt es uns bitte als »Feldpost« nach an: Herrn Feldw. K. Heereserholungsheim, Grömitz; wenn Ilse die Adresse schreibt, möchte sie richtig schreiben! Erholungs ohne h! Denkt bitte daran, die Lebensmittelkarten u. die Raucherkarte herzuschicken, da wir noch die 3. Woche hierbleiben. Wenn Ilse Fische holt, muss sie immer sagen, dass es für K. ist!!! Die Milchkarte brauche ich nicht, muss bei Schmalfeld eingetragen werden[,] und lasst Euch Milch darauf geben. Auf N° 6 u. 7 der Warenbezugskarte gibt es Erdbeeren oder Kirschen, lasst sie nicht verfallen, sondern lasst sie Euch gut schmecken! […]

 

Die Empfängerin wohnte in einem der besseren Viertel Hamburgs, nahe der Alster in der Hagedornstraße. War der Absender im zivilen Leben in gehobener Stellung tätig? Am 24. Juni wird seine Karte angekommen sein, genau einen Monat später setzen mit der Operation Gomorrha tagelange schwere Luftangriffe auf Hamburg ein. Die Hagedornstraße scheint aber zu den weniger betroffenen Gegenden gehört zu haben.

 

 

Postkarte, Mitteilung und Adresse maschinenschriftlich

 

Berlin, am 9.10.1943

Sehr geehrter Herr T.!

Hierdurch teilen wir Ihnen höflichst mit, dass Ihre Bestellung zur Abholung bereit liegt. Wegen Platzmangel wären wir Ihnen für recht baldige Abholung sehr dankbar.                                                                    Heil Hitler!

Stempel: Herren-Wäscheausstatter Stein & Co i. V. … [Unterschrift unleserlich]

Der Empfänger, wohnhaft in der Charlottenburger Uhlandstraße, war unter Gustaf Gründgens Schauspieler am Preußischen Staatstheater.

 

 

Ansichtskarte »Berlin bei Nacht«, Brandenburger Tor

 

Feldp. Nr. 33832   Nr. 21                                                              O. K. 11.7.44

Mein Liebes! Ich übersende Dir heute:

1) Entwurf meines letzten Willens. Ich habe ihn so gehalten, dass Du auf alle Fälle schon jetzt etwas in der Hand hast. Wir müssen über meine etwaigen Punkte … [unleserlich] sprechen.

2) Eine Aufstellung der laufenden Zahlungen

3) Lebens=Versicherung und Schulgeldquittung […]

8) Noch mehr Küsse Dein S.

 

 

Eine Adresse fehlt, wahrscheinlich wurde die Karte im Umschlag verschickt. Steht das Kürzel O. K. für Oberkommando? Anderthalb Wochen später, am 20. Juli, detonierte in der Wolfsschanze Stauffenbergs Bombe.

 

Brief handschriftlich, Umschlag nicht erhalten

Bruckdorf d. 23.1.45

An die Dienststelle der Feldpost. Nr. 27806!

Schülerin L. S. aus Bruckdorf Schulstr. bittet die Dienststelle um einen Urlaub, für meinen Vater den Obgfr. P. S., zu meiner am 11.3.45. stattfindenden Konfirmation, bis zu dieser Zeit ist es ungefähr 19 Monate, wo mein Vater nicht daheim war. Anschließend nach meiner Schulentlassung komme ich dann in das Pflichtjahr, habe dann auch keine Möglichkeit[,] meinen Vater mal zu sehen. […] Ich freue mich schon auf meines Vater‘s Urlaub, und sage Ihnen schon im Voraus meinen herzlichsten Dank. Heil – Hitler

 

 

Im Januar 1945 war Deutschland noch ein Riesenreich, militärisch aber den Alliierten hoffnungslos unterlegen; im Osten näherte sich die sowjetische Armee zügig der Oder. Das Schuljahr begann und endete damals zu Ostern, 1945 fiel der Ostersonntag auf den 1. April. Nach der Schulzeit war seit 1938 von Mädchen und jungen Frauen ein Pflichtjahr in Haushaltungen oder in der Landwirtschaft zu absolvieren. Am 17. April hat Halle, an dessen Ostrand Bruckdorf liegt, kapituliert.

 

 

Brief handschriftlich, Umschlag nicht erhalten

 

Sehr verehrter und lieber Herr Wiegler!

Sie sind so freundlich gewesen, mir, durch Ihre Depesche, einen Brief anzukündigen, der mich aber freilich noch nicht erreicht hat (- die Post von Berlin hierher ist durchschnittlich drei Wochen unterwegs). Inzwischen, höre ich, sind weitere, darunter sehr schwere, Angriffe auf Berlin geschehen. Man weiß so gut wie nichts mehr voneinander […]

Ich habe dennoch sehr viel gearbeitet. Aber ich habe meine Arbeit variiert. Ich habe mir nämlich sagen müssen, dass ich mit dem »Des Essaintes« doch nicht mehr rechtzeitig zu Rande käme. Da ich Sie jedoch nicht ganz ohne ein Ergebnis meiner Bemühungen lassen will, so habe ich inzwischen eine andre Arbeit für Sie fertiggemacht. Sie ist nicht so umfangreich wie der »Des Essaintes« und kann nicht als Roman, nur als Erzählung gelten. Aber zu einigen Fortsetzungen wird sie gewiss hinreichen […] Es handelt sich um die Umarbeitung des vor etwa zehn Jahren entstandenen »Herren von Paris«, dem ich nun den Haupttitel »Brakenbourg« gegeben habe [...] Der Untertitel ist: »Die Erlebnisse eines deutschen Edelmannes zur Zeit der Großen Revolution in Frankreich (- und um diesen Untertitel geben zu können, habe ich den Helden in Brakenbourg umgetauft und zu einem Lothringer gemacht, aber auch im Text häufig auf diese Provenienz angespielt). In dem Ganzen kann man, wenn man will, einen Beigeschmack von antisowjetischer Tendenz finden; und dies, meine ich, müsste man in der Redaktion auch wohl [letztes Wort des Satzes unleserlich]. […]

Ihr Alexander Lernet.                                         St. Wolfgang, d. 3. März 1945

 

 

Die Westalliierten standen Anfang März am Rhein und stießen bald darauf rasch nach Osten vor, die sowjetische Armee hatte die Oder erreicht, stellenweise schon überschritten. Der österreichische Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia (1897 bis 1976) hatte sich in der Spätzeit der Naziherrschaft in ein Lazarett geflüchtet, war dort aber, anders als sein Biograf Roman Roček behauptet, keinesfalls verstummt. Paul Wiegler (1878 bis 1949), Autor, Übersetzer und Lektor, 1949 Mitbegründer von Sinn und Form, wurde 1936 Leiter der Romanabteilung des Ullstein-Verlages beziehungsweise seines arisierten Nachfolgers Deutscher Verlag. Viele Verlagspublikationen wurden in der Ullstein-Wochenzeitung Berliner Illustrierte vorabgedruckt, deren letzte Nummer am 22. April 1945 erschien.

 

 

Der erste Teil »Deutsche Post« erschien in Ossietzky 16/2017.