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Van Goghs Stillleben erstmals in Potsdam  (Klaus Hammer)

Um es gleich vorwegzunehmen: Keine der heute noch existierenden sechs Sonnenblumen-Varianten, die innerhalb eines halben Jahres in Südfrankreich entstanden, sind unter den 27 Stillleben Vincent van Goghs, die jetzt im Barberini-Museum Potsdam gezeigt werden. Denn sie zählen zu den Ikonen der Moderne und werden nicht mehr ausgeliehen. Aber erstmals ist es dank des Kröller-Müller-Museums im niederländischen Otterlo, das nach dem Van Gogh Museum in Amsterdam die weltweit größte Van-Gogh-Sammlung besitzt, gelungen, eine Ausstellung ausschließlich mit Stillleben zu präsentieren, um den experimentellen und wegweisenden Charakter dieses Genres im Werk van Goghs herauszuarbeiten. Innerhalb von zehn Jahren war van Gogh zu einem Erneuerer nicht nur der Landschafts- und Figurenmalerei, sondern auch des Stilllebens geworden.

 

Von den in den Niederlanden entstandenen tonigen Werken mit ihren vereinzelten Akzenten in Komplementärfarben entwickelten sich seine Stillleben über die Pariser Blumenstillleben des Sommers 1886, in denen sich Farbe und tonale Malerei vereinten, zu jenen farbstarken Arbeiten mit kühnen Kontrasten, die er dann im Herbst 1887 malte. Die frühen Stillleben, für die van Gogh einfache und alltägliche Gegenstände aus ländlichem Milieu verwendete, sind in einem dumpfigen, erdigen Graubraun ohne alle Kontraste gehalten. Nur durch die Hebungen und Senkungen derselben Farbe und die ruhige, schon meisterhafte Führung des Pinsels entsteht Bewegung. Dem reizbaren und ungeduldigen van Gogh ging es nicht um die präzise malerische Nachahmung, sondern um einen atmosphärischen Gesamteindruck. »Vogelnester« (1885) haben eine sinnbildliche Bedeutung, symbolisieren Nachkommenschaft und Geborgenheit.

 

Mit seinem Umzug nach Paris im Februar 1886 gelangte van Gogh zu einer helleren, reicheren Palette und einem individuellen Stil. In dem Stillleben »Vase mit Kornblumen und Mohnblumen« setzte er auf einem Untergrund von Erdfarben eine lichtblaue Vase, gefüllt mit Klatschmohn, Kornblumen, Margeriten und einem Bund Nelken. Das lebhafte Rot des Klatschmohns steht im Kontrast zum Blau des Hintergrundes und der Kornblumen. Es ist ein Gemälde des Experimentierens, wie weit man mit Farbkontrasten gehen kann. Van Gogh hatte Charles Blancs Farbtheorie zur Kenntnis genommen, derzufolge helle Komplementärfarben unvermischt nebeneinanderzusetzen sind. Den Effekt des »Vibrierens« hat er wohl hier mit der Farbe Blau erreichen wollen. Später sollte er es bei seinen »Sonnenblumen« mit der Farbe Gelb versuchen. Diese lichte Farbigkeit führte dazu, das Gemälde auf das Jahr 1887 zu datieren, als er stärker dem impressionistischen Milieu verbunden war. Der tüpfelnde Pinselstrich, der überall den Hintergrund durchschimmern lässt, könnte auf den Einfluss Paul Signacs hindeuten.

 

Gegenüber den Blumenstillleben aus seinem ersten Sommer in Paris zeigen die Stillleben aus dem Frühjahr 1887 einen veränderten malerischen Ansatz. Inspiriert von japanischen Farbholzschnitten trug er in »Karaffe und Teller mit Zitrusfrüchten« (1887) anstatt des kräftigen Impasto des Vorjahres die Farbe nur dünn auf und wählte eine helle Palette. Ungewöhnlich der Hintergrund – es könnte sich um eine Tapete oder einen Wandteppich handeln –, mit vertikalen orangeroten Ornamentbändern setzte van Gogh Komplementärkontraste von Rot und Grün, Blau und Orange.

 

Im Februar 1888 ging van Gogh ins südfranzösische Arles und hoffte, dass das Licht des Südens seine Bilder mit einer so starken chromatischen Intensität erfüllen würde, dass sie Einfluss auf Seele und Geist nehmen könnten. Anders als in Paris malte van Gogh zunächst nur wenige Blumenstillleben, darunter »Vase mit Zinnien« (1888) – die Dichte und unmittelbare Nahsicht der leuchtenden Blüten verleihen dem Strauß etwas Monumentales, obwohl die einzelnen Blüten klein und zierlich sind. Dagegen ist das »Stillleben mit einem Teller Zwiebeln« (1889) ein verkapptes Selbstporträt. Es entstand in der Folge schwerer Schicksalsschläge des Künstlers. Seine Hoffnungen auf ein gemeinsames »Atelier des Südens« mit Paul Gauguin hatten sich zerschlagen, im Verlauf seiner Nervenkrankheit schnitt er sich ein Stück seines Ohres ab, worauf er einige Wochen ins Spital musste. Um daraufhin wieder zum Malen zu finden, schuf er dieses Stillleben: Auf einem Tisch befinden sich mehrere persönliche Gegenstände van Goghs, die über seine Befindlichkeit nach der schweren Krise erzählen. Die neue Triebe ansetzenden Zwiebeln sind ein Sinnbild der Hoffnung, Briefumschlag, Siegelwachs, Kerze und Streichhölzer verweisen auf van Goghs Bruder Theo – und das Gesundheitsbuch ist eine weitere Anspielung auf van Goghs Wunsch, sein Leben wie früher fortzusetzen, mit Tabak, Wein oder Absinth bei guter Gesundheit und in brieflichem Kontakt mit seinem Bruder. Das verlorene schöpferische Gleichgewicht sollte so wiederhergestellt werden.

 

Zu monumentalen Bouquets, wie jenen provenzalischen Rosen und Schwertlilien, mit denen sich van Gogh von seinem Klinikaufenthalt in Saint-Rémy verabschiedet hatte, kam es dann in Auvers-sur-Oise, seiner letzten Lebensstation, nicht mehr. Hier entstanden seine »Blühenden Kastanienzweige« (1890), die sich mit ihren weißen Blütenrispen vor leuchtend blauem Hintergrund dem Betrachter entgegenstrecken und ein Gefühl von Vitalität vermitteln. Es ist das größte seiner späten Stillleben und zugleich sein expressivstes überhaupt.

 

Für van Gogh hatten die Stillleben die Kraft eines Symbols. Er konnte ihnen Gefühl und Dramatik, Sinnenfreude verleihen, aber auch an die Vergänglichkeit des Lebens mahnen, ist doch die Farben- und Blütenpracht der Blumen nur von kurzer Dauer. Sie sind eindrucksvolle Beispiele für das Miteinbringen des Persönlichen in die Malerei. Das, was van Gogh seine »schreckliche Klarsichtigkeit« nannte, spiegelt sich auch in seinen Stillleben wider und wirkt heute genauso frisch wie damals.

 

 

»Van Gogh – Stillleben«. Museum Barberini, Potsdam, Alter Markt, Mi – Mo 10-19 Uhr, bis 2. Februar 2020; Katalog (Prestel) 29,95 €