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US-Wahlen: Angst und Konfusion haben gewonnen  (Kurt Stand)

Schlaflose Nächte sind bei Wahlen inzwischen zur Routine geworden – Angst gemischt mit Konfusion, während Ergebnisse hereinkommen, ohne ein klares Bild abzugeben. Diese Situation spiegelt einen Zusammenbruch ziviler Strukturen unter dem Druck wiederholter Versuche wider, Stimmen zu unterdrücken. Am Tag nach den Wahlen (an dem dieser Artikel verfasst wurde) gibt es vieles, was wir nicht wissen.

 

Ein paar Fakten kennen wir. Joe Biden hat mehr Stimmen erhalten als Donald Trump. Aber das garantiert noch nicht den Sieg – am Ende entscheiden die Wahlleute, die in den einzelnen Bundesstaaten nominiert werden. Schon jetzt wird deutlich: Sollte sich für Trump eine Niederlage abzeichnen, wird er versuchen, das Resultat durch Klagen und Aufhetzen bewaffneter Anhänger umzudrehen. Die Wahl wird die schon vorher existierenden Spaltungen vertiefen, die in Familien, Kommunen, im Alltag und auch in der Arbeiterklasse sichtbar sind. Solange diese Spaltung nicht überwunden ist, werden wir unfähig sein, die fundamentalen ökonomischen und sozialen Probleme anzugehen, die lange unter der Oberfläche des Wohlstands und der globalen Macht unseres Landes verborgen lagen.

 

Dies alles spielt sich jedoch nicht im luftleeren Raum ab. Trumps Erfolg bei vielen beruht auf seiner Fähigkeit, eine individuelle Lösung für soziale Probleme vorzugaukeln – die »Lösung« eines Glücksspielers und die Illusion, jeder habe sein Schicksal in der eigenen Hand. Indem er sich zur Projektionsfläche für das Trugbild von Stärke und Autorität macht, gewinnt er Unterstützung gerade bei einem Teil der Bevölkerung, der durch die dem Neoliberalismus inhärente Instabilität – durch den Verlust ihres Zugehörigkeitsgefühls, ihrer Verwurzelung, ihrer Zukunft – immer ohnmächtiger wird. Trump gibt vor, er stehe für den Schutz der Wohnviertel und der Familien, und er benutzt dies als Vorwand für die Verbreitung von Rassismus und Feindlichkeit gegenüber Immigranten und für das Festhalten an überkommenen Geschlechterrollen. Obwohl sie selbst Opfer dieser Angriffe sind, haben sich in diesen Zeiten der Angst zahlreiche Frauen, eine beträchtliche Minderheit der Latinos und sogar eine kleine (im Vergleich zu 2016 jedoch größere) Zahl von Schwarzen dazu bewegen lassen, Trump zu unterstützen.

 

Trump konnte Unterstützung für seine Angriffe auf die politische Demokratie gewinnen, weil die Substanz der Demokratie ausgehöhlt ist. Politiker aller Richtungen waren nicht in der Lage, Arbeitsplätze zu erhalten, dem Niedergang von Städten Einhalt zu gebieten und die Verödung der Vorstädte zu verhindern. Covid-19 hat die Lücken in der Infrastruktur unserer Gesundheitsversorgung und die Mängel unseres Krankenversicherungssystems offengelegt, während der Lockdown der Wirtschaft die Unsicherheit der Familien hinsichtlich ihrer Einkommen und ihrer finanziellen Rücklagen deutlich gemacht hat. Trump hat dafür auch keine Lösungen, aber wenn scheinbar alle rationalen Antworten versagen, öffnet das den Zugang für die Irrationalität. Und wie die Gesamtzahl seiner Wähler zeigt, finden Trumps Auftritte im Stil einer Reality-TV-Show, seine offensichtlichen Lügen, seine Appelle an die Gewalt die Zustimmung von Millionen.

 

Dennoch weist eine Mehrheit der Amerikaner Trumps Lügen und demagogische Ausfälle zurück und sieht den Ausweg aus Instabilität und Ungleichheit in der Stärkung der Gemeinschaft, der Beendigung staatlicher Gewalt und der Förderung sozialer Gerechtigkeit. Trotz aller Anstrengungen, Wähler vom Wählen abzuhalten und sie einzuschüchtern, ist die Wahlbeteiligung gestiegen. Dies ist allerdings auf den Widerstand von unten und die Aktivitäten von Basisinitiativen zurückzuführen. Im Gegensatz dazu bestand die Strategie der Demokratischen Partei darin, auf Nummer sicher zu gehen und eine Anti-Trump-Kampagne durchzuführen, die auf der Linie wohlhabender Republikaner lag, die mit Trumps Methoden nicht einverstanden waren – in der Hoffnung, so Republikaner zu bewegen, die Demokraten zu unterstützen. Diese Strategie war von vornherein zum Scheitern verurteilt, wurde aber von der Führung der Demokraten gut geheißen, weil sie keine irgendwie substantiellen Reformen versprechen wollte, die möglicherweise die Macht der Konzerne infrage gestellt hätten. So konnten die Demokraten die erwarteten Stimmengewinne nicht erzielen.

 

Gerettet wurde die Situation durch die Mobilisierungs- und Organisationsarbeit der Basisorganisationen. Die Zahl wirklich progressiver Repräsentanten im Kongress ist gewachsen. Unabhängige Organisationen, die innerhalb der Demokratischen Partei arbeiten, aber in Opposition zu deren Führung stehen wie »Our Revolution« oder »Working Families Party« sind gestärkt und haben erfolgreich eine Reihe lokaler Kandidaten durchgebracht. Dasselbe gilt für die »Democratic Socialists of America« (DSA), die künftig in den Parlamenten von 14 Bundesstaaten vertreten sein werden.

 

In den vor uns liegenden Monaten wird der Kampf um demokratische Rechte sich vermutlich intensivieren. Zahlreiche Gruppen, die in den letzten Jahren Straßenproteste und andere Aktionen organisiert haben, sind entschlossen, sich durch massenhaften zivilen Ungehorsam zu wehren, wenn Gerichte, die von Republikanern beherrscht werden, oder rechte Bürgerwehren versuchen, den Wählern die Wahlergebnisse aus den Händen zu winden. Dasselbe gilt für die Arbeiterbewegung, deren Führungskräfte (anders als die Mitgliedschaft) geschlossen in Opposition zu Trump stehen. Sie haben für den Fall, dass der Wählerwille missachtet wird, Aktionen angekündigt. Gewerkschafter und Aktivisten für soziale Gerechtigkeit haben spezifische Programme mit konkreten Forderungen vorgelegt. Auf der Tagesordnung derer, die für den Sieg über Trump am meisten gearbeitet haben, stehen Forderungen nach grundlegenden Änderungen, um die Macht der Konzerne zu begrenzen.

 

»Wer nicht entschlossen vorgeht, verstärkt die Tragödie«, so die Sängerin und Bürgerrechtsaktivistin Nina Simone. In diesem Sinne brachte es die Congress-Abgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez (DSA) auf den Punkt: Egal, welches Ergebnis am Ende herauskommt – wir müssen einer Politik zum Durchbruch verhelfen, die das Leben der Menschen spürbar verbessert und ihre zivilen und demokratischen Rechte schützt.

 

Wenn das gelingt, dann werden nicht wir, sondern die Mächtigen und Reichen vor künftigen Wahlen schlaflose Nächte in Angst und Konfusion verbringen. Inzwischen werden wir uns weiter organisieren, egal, wer diese Wahlen vom 3. November gewonnen hat.

 

Kurt Stand lebt in den USA. Übersetzung: Manfred Sohn und Renate Hennecke.