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Corona: Regierungsappell zum Homeoffice  (Marcus Schwarzbach)

Die im Oktober beschlossenen Kontaktbeschränkungen verband die Bundesregierung mit dem dringenden Appell an die Betriebe, angesichts der hohen Corona-Infektionszahlen »wo immer dies umsetzbar ist, Heimarbeit oder das mobile Arbeiten zu Hause zu ermöglichen«.

 

Auf verbindliche Regelungen verzichtet die Regierung. Ein Anspruch der Beschäftigten auf Arbeitsmittel, etwa Schreibtisch oder PC zu Hause, Entschädigungszahlungen der Unternehmen für die Raumnutzung im Homeoffice oder überhaupt ein Gesetz zur heimischen Arbeitsstätte war bei den Beratungen zwischen Kanzlerin und Ministerpräsidenten kein Thema.

 

Dabei wird das Arbeiten zu Hause schon längst praktiziert – und die Probleme sind bekannt. Nach einer Untersuchung haben 60 Prozent der Befragten mit Homeoffice-Nutzung den Eindruck, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, so die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung: »53 Prozent sagen, dass sie für Arbeitgeber, Kollegen oder Kunden länger erreichbar sind als vor der Krise.« (www.boeckler.de) Die Stiftung Gesundheitswissen befragte im Homeoffice Beschäftigte im Juni. Ein Drittel gab an, »häufiger Rückenbeschwerden zu haben, seit sie im Homeoffice arbeiteten«.

 

»Zwangsläufig haben viele Unternehmen auf Homeoffice umgestellt«, betont Axel Korge vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Viele Beschäftigte organisierten das Arbeiten in der eigenen Wohnung. »Über die kompetente Eigeninitiative seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist wohl so mancher Manager erstaunt«, gleichzeitig wurde »vielen Unternehmen die Kontrolle über die Gestaltung und Feinsteuerung der Arbeit entrissen«. Dies bereitet dem Management Sorgen, denn die »Führungskraft ist fern, eine enge Anleitung und Kontrolle der Beschäftigten ist weder sinnvoll noch durchführbar«, so Korge.

 

Dieser Probleme nehmen sich Unternehmensberatungen an. Der Haufe-Verlag bietet Praxistipps im Personalmagazin-Sonderheft mit dem Schwerpunkt »HR-Software«.

 

Ein Produkt sticht hervor: Microsoft Workplace Analytics – empfohlen von Christian Gärtner, Professor an der Wiesbaden Business School. Auf Basis von Daten über E-Mails, Kalendereinträgen und Videokonferenzen kann die Software die »tatsächlichen Schlüsselpersonen« im Unternehmen herausfiltern. Wer wissen will, »ob Wissensarbeitende vor lauter Meetings und E-Mails nicht mehr zum konzentrierten Arbeiten kommen«, dem ist die Software dienlich. Algorithmen werten die Dauer und Teilnehmer von Videokonferenzen aus und »wie lange [...] von wem an einem Dokument gearbeitet« wurde.

 

Als Beispiel für die digitalen Möglichkeiten dient eine Studie über mehrere tausend Mitarbeitende im Microsoft-Vertrieb. Rennlisten, neudeutsch »Benchmarks« genannt, dienen der Leistungskontrolle. Denn »Top-Performer« verbringen danach bis zu 33 Prozent mehr Zeit mit Kunden und haben »ein 30 bis 40 Prozent größeres internes Netzwerk« – immerhin arbeiteten sie »zwei bis vier Stunden pro Woche länger«, berichtet Gärtner.

 

Die Technik bietet dem Management einiges. »Auf Basis der sozialen Netzwerktheorie« lassen sich mit der Software auch Aussagen treffen über »informelle Entscheidungsträger« und die Vernetzung der Beschäftigten untereinander. Allerdings warnt Gärtner vor allzu aktiven Gewerkschaften und Betriebsräten: »In Deutschland ist die Implementierung von technischen Überwachungseinrichtungen mitbestimmungspflichtig.« Viele Daten werden »als Nebenprodukt der täglichen Arbeit automatisch erfasst« und können Unternehmen wichtige Informationen über die Beschäftigten liefern: »Wessen E-Mails oder Posts erzeugen viele Reaktionen?« und »In welchen Beziehungsstrukturen entstehen neue Ideen?« sind zu analysierende Fragen. »Dafür werden in der Netzwerkanalyse Verbindungen zwischen Akteuren abgebildet.« Kein Vorgesetzter muss in das Büro des Angestellten gehen, um ihn zu kontrollieren, die Technik ermöglicht Kontrolle im Betrieb oder zu Hause.

 

Der Druck auf die Belegschaften nimmt also zu durch neue Technik, durch digitale Steuerung, die in Corona-Zeiten verstärkt eingeführt wird. Die von den Gewerkschaften geforderte Anti-Stress-Verordnung ist für die Bundesregierung weiter kein Thema. Vielmehr beschloss das Bundesarbeitsministerium den »SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard«. Beschäftigte können sich danach »individuell vom Betriebsarzt beraten lassen«, so die vom Minister Heil verkündete Bestimmung: »Ängste und psychische Belastungen müssen ebenfalls thematisiert werden können.«