erstellt mit easyCMS
Titel2309

Der Kabarettistenstammtisch  (Gerhard Zwerenz)

Zum Kabarettistenstammtisch hatte Sandra Maischberger die Klassiker aus Bonner Herrschaftszeiten eingeladen. Sie kamen und antworteten brav auf brave Fragen. Dieter Hildebrandt gefiel sich in epischen Romanzen, Richard Rogler erinnerte sich elegisch seiner Herkunft aus provinzieller Enge, Lisa Fitz gestand ihre politische Erweckung durch Franz Xaver Kroetz ein, der seinerseits stoßweise Leben in die Bude brachte, indem er faustflink den Tisch traktierte und prächtig plebejisch losschimpfte. Das machte die Vergangenheitswitze der anderen noch fader als unser Gefühl, zwischen der gebotenen Ehrfurcht vor den antiken Säulenheiligen des Fernsehkabaretts und dem Mißmut angesichts ihrer heutigen politischen Insolvenz hin- und herauszuschwanken. Wir leiden vor der Glotze solidarisch mit. Unserem Kabarett aus Bonner Zeiten ging in Berliner Zeiten der Geist aus, und warum soll Sandra Maischberger sich nicht mal einen netten Abend gönnen. Wie Hildebrandt sehnsüchtig memorierte, wurde er unter Franz Josef Strauß vom Bayerischen Fernsehen sogar mal rigoros abgeschaltet. Wer heute abschaltet, ist einfach nur müde. Munter wurde Hildebrandt am Ende der Runde. Die Moderatorin rechnete aus, daß Kroetz gut sein Sohn sein könnte, und fragte: Wie reagierten Sie als Vater darauf, daß Franz Xaver sich politisch nicht mehr betätigt? Darauf Hildebrandt: Da würde ich ihm in den Arsch treten. Hier war er plötzlich scharf wie früher. Solitäres Ereignis in der Nacht.

Die nachfolgende zweite Fernseh-Kabarettisten-Generation hat es leichter. Sie ist rascher erfolgreich. Kunstvoll amüsieren sie sich und uns zu Tode. Inzwischen rächen sich Westerwelle und Merkel, indem sie das Kabarett parodieren, und weil es ihnen an Witz fehlt, machen sie damit ernst.

Das Kabarett ersetzt die Opposition. Lachen läßt sich auch zahnlos. Zum Essen hilft eine Prothese. Der phänomenal bissige Witz lebt vom Gehirn. Am medialen Hurrikan der losbrechenden Merkel-Westerwelle beißen sich alle die letzten Zähne aus, denn Merkel ist die totale Moderatorin. Ob große oder kleine Koalition, ob mit SPD, Grünen oder FDP und immer mit und gegen CSU – Merkel schafft jeden. So überstand sie schon pastorales Elternhaus, FDJ, Helmut Kohl, Müntefering, Steinmeier, Steinbrück. Männer abzuschmettern, ist für sie nur ein Klacks. Maulheld Schröder machte sich als Rubelknecht selbst zum Aussteiger, was Merkel längst mit Putin arrangiert hatte. Die Polen sind inzwischen so weichgesotten, denen wird sie Erika Steinbach noch als Botschafterin nach Warschau senden.

Nun mischen neben humorlosen Politikern hochkarätig witzlose Philosophen im Kabarett der verkrachten Nasenbohrerrepublik mit. Peter Sloterdijk, bekannt aus Presse und Fernsehen, verfaßte eine Sozialstaatssatire, wurde als Denker ernsthaft mißverstanden und entfachte einen Feuilleton-Tsunami. In der jungen Welt urteilte ein unbesoffen gebliebener Beobachter: »Unterstes Niveau.« Warum aber aufs Hühnergegacker zwischen FAZ und Zeit hören, da werden faule Enteneier gelegt. In einer neuen Maischberger-Runde schloß sich der eilends reaktivierte Barrikadenkämpfer Arnulf Baring der Sloterdijkschen Mengenlehre an: Der Sozialstaat ist unbezahlbar geworden. Ja, wenn das so ist, dann weg mit den Gehältern und Pensionen staatsbediensteter Kakademiker. Sollen die doch, wie dem Volk empfohlen, auf die freiwillige Spenderlaune der Wohlhabenden setzen. Warum erst schräge Parteien und wortbrüchige Politiker wählen statt gleich unsere milliardenschweren Leistungsträger. Sloterdijk als Finanz-, Baring als Sozialminister und für die Kultur der Mann vom Mond. Merkel, die Ostkundschafterin aus dem Pfarrhaus, wird’s schon richten.

Inzwischen gab sich Sloterdijk, von Frankfurter Adorno-Erben bedrängt, als braver Sozi zu erkennen, der auf Gehalt und Pension verzichtend nur die Agenda 2010 zu Ende führen will, wenn die Banken und sonstigen Milliardäre von den Staatsgeldern, die sie ihrer Blasenkrankheit halber vom Volk geschenkt bekommen, dem gehorsamen Professor genug abgeben. Er erwartet einen Bonus für treue Dienste an der Seifenoperphilosophiefront. Nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen werden’s die Schwarzgelben schon packen: Brüderle in eins nun die Hände, Brüderle, das Sterben verlacht. Und am Ende ruft Sandra Maischberger alle zum Kleinkünstler-Stammtisch der Scheintoten.

Die Kanzlerin aber reiste flugs nach Amerika, trug den Freunden ein tränentreibendes Gedicht vor und rief aus: Ich liebe euch doch alle! Am Abend wurde US-Opel aktiv und trat ihr voll in die Meckpommeranze. Nach der Heimkehr beschwerte sich Merkel telefonisch bei Obama. Der antwortete: Kannitverstan!

Frage: Wie sollen Kabarettisten die Regierenden noch parodieren, wenn die selber nichts als die witzlose Parodie von Kabarettisten sind?