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Burnout-Gesellschaft?  (Marcus Schwarzbach)

Untersuchungen der Krankenkassen bestätigen: Arbeit macht viele Menschen krank im Kopf, psychische Belastungen im Arbeitsleben steigen. Im Gesundheitsreport 2017 der Krankenkasse DAK führen die Autoren aus, dass der Anteil von Krankschreibungen aus psychischen Gründen weiter zunimmt. Nach den Rückenleiden und Atemwegserkrankungen sind psychische Krankheiten die dritthäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit. Die Zahl der Fehltage aufgrund seelischer Leiden habe sich in 20 Jahren mehr als verdreifacht, schlug auch der Tagesspiegel Alarm.

 

Psychische Erkrankungen haben einen Anteil von 17 Prozent am Gesamtkrankenstand. Dabei fällt auf, dass die Betroffenen besonders lange ausfallen: Im Durchschnitt gehen 35 Fehltage pro Jahr auf psychische Erkrankungen zurück (https://www.welt.de/wirtschaft/article157460594/Krankschreibungen-in-Deutschland-auf-Hoechststand.html).

 

Als Folgen machen sich neben einem Gefühl der ständigen Überforderung auch Gesundheitsschäden wie etwa ein Hörsturz oder die permanente Angst vor dem Versagen bemerkbar. Im Extremfall kommt es zu Burnout, was vereinfacht als »Ausgebranntsein« beschrieben werden kann – aber für die Betroffenen weitgehende Auswirkungen hat.

 

Dies verdeutlicht ein Burnout-Verlaufsmodell von Dagmar Ruhwandl, Lehrbeauftragte an der Technischen Universität München (Dagmar Ruhwandl: »Top im Job«, S. 27 ff.). In der ersten Phase sind die Betroffenen emotional erschöpft. Sie fühlen sich frustriert und ausgelaugt, verlieren die Fähigkeit, sich zu regenerieren. Beispielsweise führt ein freies Wochenende nicht zu Entspannung. In der zweiten Phase des Burnouts kommt es zu Gereiztheit und schließlich Gleichgültigkeit in Beruf und Privatleben. Die Folge ist oft Gefühllosigkeit gegenüber Kollegen oder Kunden, deshalb wird hier von »Depersonalisation« gesprochen. In der dritten Phase kommt es zu Leistungseinschränkungen, die auch anderen auffallen. Dies kann der Verlust von Selbstvertrauen und eine negative Selbsteinschätzung sein und zu Eigenkündigung, völliger Handlungsunfähigkeit oder Depressionen führen. Die konkreten Auswirkungen sind unterschiedlich. Betroffene schildern, tagelang im Bett gelegen zu haben oder nicht mehr zu wissen, wie sie von der Arbeit nach Hause gekommen sind. Burnout ist nicht einfach eine Folge von zu hohem Stress. Er entsteht vielmehr, wenn Stress über längere Zeit nicht bewältigt werden kann und kein Puffer – wie Urlaub – und keine Unterstützung etwa im privaten Umfeld vorhanden sind.

 

Bei den Ursachen wird zwischen bestimmten Persönlichkeitsstrukturen und den Arbeitsbedingungen unterschieden. Es gibt keinen typischen »Ausbrenner-Typ«, aber einige Verhaltensmuster begünstigen Burnout: Perfektionismus, die Arbeit als Lebensinhalt sehen, nicht auf körperliche Warnsignale hören.

 

Dies erleichtert es manchen Unternehmen, die Verantwortung auf die Beschäftigten abzuwälzen. »Nicht krankheitsvermeidende, sondern ressourcenstärkende Maßnahmen wie Resilienz, Stresstoleranz, Schlaf und Erholung et cetera gewinnen in Zukunft an Bedeutung. In diesem Zusammenhang wird es noch wichtiger werden, im Sinne des ›Empowerments‹ an der Stärkung der eigenen Potentiale der Beschäftigten anzusetzen«, gibt das Personalmagazin des Haufe-Verlags Führungskräften Tipps (https://www.haufe.de/personal/hr-management/bgm-gesundheitsmanagement-in-der-digitalen-arbeitswelt/kuenftige-herausforderungen-im-gesundheitsmanagement_80_419724.html). Die Antwort vieler Unternehmen auf Burnout lautet inzwischen: Resilienz – eine psychische Widerstandskraft, durch die Menschen Stress aushalten und Krisen überwinden können, so das Credo der Resilienz-Anhänger. Probleme liegen also beim einzelnen Beschäftigten und nicht bei den Bedingungen heutiger Arbeit.

 

Ignoriert wird dabei die Hauptursache: verschärfte Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Diese Entwicklung bestätigt auch der DGB-Index »Gute Arbeit«. »Auf die Frage: ›Haben Sie den Eindruck, dass Sie in den letzten zwölf Monaten mehr Arbeit in der gleichen Zeit als vorher schaffen müssen?‹ antworteten 61 Prozent der Befragten mit Ja. Zehn Prozent von ihnen bejahten das ›in sehr hohem Maß‹, 27 Prozent ›in hohem Maß‹ und 24 Prozent immerhin noch ›in geringem Maß‹«, erläutert der DGB. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahre fort (www.gute-arbeit-praxis.de/gute-arbeit-praxis/material/gutearbeit2016/index.html).

 

Bei der Ursachensuche unterstützt auch eine Studie der Universität St. Gallen. 8000 Arbeitnehmer in der Bundesrepublik wurden befragt, wie sich die Digitalisierung der Arbeit auf ihre Gesundheit auswirkt. Die Ergebnisse sind deutlich – die Gesundheit der Beschäftigten ist gefährdet: »Die Digitalisierung zeigt signifikante Zusammenhänge mit emotionaler Erschöpfung«. Jeder dritte Befragte fühlt sich am Ende des Arbeitstags »verbraucht«, Burnout-Symptome zeigen sich bei 23 Prozent der Arbeitnehmer (https://www.barmer.de/ueberuns/barmer/forschung-und-innovation/studie-digitalisierung-34722).

 

Experten sprechen hier auch von medialer Überforderung, die Burnout fördert. Dazu zählen:

Mehr Kommunikationskanäle, also das Arbeiten mit E-Mails, WhatsApp, Handy, Web-Konferenzen oder Internet-Foren.

 

Multitasking, das heißt häufige Unterbrechungen durch die neue Technik. So stört etwa eine eingehende Mail beim konzentrierten Arbeiten.

 

Ständige Erreichbarkeit, also verschwindende Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit durch Bearbeiten beruflicher Mails zu Hause.

 

Ein wichtiges Gegenmittel für Betriebsräte und gewerkschaftliche Vertrauensleute vor Ort ist eine Gefährdungsbeurteilung. Mit ihr sollen mögliche Gefahren aus Arbeitnehmersicht für jeden Arbeitsplatz ermittelt werden, eben auch psychische Belastungen. Solch eine Beurteilung kann aber oft nur durch Mitbestimmungsrechte und lange betriebliche Kämpfe im Betrieb durchgesetzt werden, setzt Strategien für jeden einzelnen Betrieb voraus. Erst jüngst haben Forscherinnen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin festgestellt: Selbstbestimmung hilft gegen Burnout. Flexible Arbeitszeiten sind gesund – falls sie sich nach den Bedürfnissen der Beschäftigten richten. Wenn die Interessen der Arbeitgeber im Vordergrund stehen, leidet die Psyche (siehe Böckler Impuls 12/2017: »Selbstbestimmung hilft gegen Burnout«, im Internet: https://www.boeckler.de/109849_109868.htm).

 

Die Forderungen der Gewerkschaften nach einer Anti-Stress-Verordnung sind aktueller denn je. Denn so wären die Unternehmen verpflichtet, bei den Arbeitsbedingungen frühzeitig anzusetzen. Aber das wäre wohl aus Unternehmenssicht zu viel an Prävention!