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Titel2319

Die Gewinner der Tafelrunde  (Irene Teichmann)

Das Wort TAFEL klingt einladend. Es suggeriert, irgendwo könnte ein festlich gedeckter Tisch stehen, an dem gutgelaunte Menschen Platz nehmen, essen und sich unterhalten. Aber bei DEN TAFELN stehen irgendwo versteckt in einer Nebenstraße Leute mit großen Taschen und Beuteln in der Hand. Sie treibt vor der Öffnungszeit die begründete oder unbegründete Angst dorthin, nicht genug von dem begrenzten Angebot an hartem Brot, an Konserven, welkem Obst, Gemüse und anderem zu bekommen.

 

Der Name TAFEL ist gut gemeint, aber er passt nicht zu dem Projekt, das dahinter »versteckt« wird. Menschen bemühen sich hier um einen sozialen Ausgleich. Was die einen zu wenig haben, Lebensmittel vor allem, haben die anderen zu viel, und diese beiden Seiten bringen hier ehrenamtliche Helfer zusammen. Nur, das Wort TAFEL täuscht uns alle. »Restetisch[e] für Arme« nennt Bettina Kenter-Götte sie in ihrem Buch »Heart´s Fear: Hartz IV«.

 

Elf Millionen Tonnen Lebensmittel-»Abfälle« werden pro Jahr in Deutschland »produziert«, von der Industrie, von der Landwirtschaft, von Handel, Gastronomie und von Privathaushalten. Seit die Themen Überangebot, Verschwendung sowie die »Rettung« von schrumpeligen Kartoffeln, Gurken, Brot vom Vortag in fast aller Munde sind, werden wir immer wieder mit solchen Informationen aufgeschreckt. Der Dachverband der TAFELN trumpft dann wiederum mit diesen Zahlen auf: 60.000 Ehrenamtliche retteten aus mehr als 30.000 Märkten und Geschäften 264.000 Tonnen Lebensmittel und versorgten damit in über 940 TAFELN 1,5 Millionen Bedürftige. Der Dachverband versichert auch, die Mitglieder würden gern noch mehr »retten«, und sie könnten es auch, wenn der Staat sie bei ihrer Arbeit besser unterstützen würde. Neben Lebensmittel- und Warenspenden benötigten die TAFELN auf Bundes- und Landesebene mehr Geld, um Logistik, regionale Verteilung, Lager- und Kühlkapazitäten auszubauen und auch hauptamtlich zu koordinieren. Vor Ort müssten laufende Kosten für Miete, Fahrzeuge, Reparaturen und Verwaltungsinfrastruktur gedeckt werden« (Pressemitteilung vom 26. April 2019).

 

Selten erfahren wir aber, wie sich die Menschen fühlen, die bei den TAFELN »einkaufen«. Ich hätte mir deshalb gern selbst einmal in der TAFEL meines Heimatortes, der TAFEL Eckental, ein Bild gemacht. Aber mir wurde der Zugang verwehrt. Man wolle, man müsse die Menschen in ihrer Scham vor neugierigen Blicken schützen, sagte man mir. (Es wurde mir aber angeboten mitzuarbeiten!) Ich akzeptierte das, obwohl ich der Meinung bin, dass sich niemand mit seiner Armut verstecken sollte. Niemand ist schuld daran, wenn er ins Abseits geschoben wird. Unsere Gesellschaft lässt das zu, und wir sollten ihr durchaus immer wieder diesen Spiegel vorhalten.

 

Mit den TAFELN lasse unsere Gesellschaft zu, dass Menschen, die schon an den Rand geschoben wurden, in ihrem Elend auch noch gedemütigt werden, das ist einer der Vorwürfe, den Kritiker gegen die Einrichtung erheben. Ein anderer: Man mache die Leute zwar satt, aber damit ändere sich nichts an ihrer Lage. Es finde auch kein gesellschaftlicher Ausgleich zwischen Arm und Reich statt, ist wieder ein anderer Einwand, sondern hier ziehe sich der Staat aus der sozialen Verantwortung und schiebe sie in private Hände. Mit diesem sozialen Engagement würden letztendlich die geringen Sätze bei Hartz IV legitimiert. Wieder andere verweisen darauf, dass die großen Handelskonzerne wie Aldi, Lidl, Netto auf diese Weise an der Armut verdienten. Sie sparten Entsorgungskosten, die in die Lebensmittelpreise ebenso eingerechnet werden wie die Kosten für das Überangebot an Waren in den Supermärkten. Wir haben das, was den TAFELN überlassen wird, mit unseren Einkäufen also schon bezahlt.

 

Keiner der Konzerne lässt sich in die Karten schauen. So wissen wir nicht, wie viel sie mit Hilfe der TAFELN verdienen.

 

Alle Unternehmen, die den TAFELN Waren überlassen, profitieren allerdings auch noch vom guten Ruf, den sie damit in unserer Gesellschaft erworben haben. Seht, die tun was für die Allgemeinheit, so inszenieren sie sich als »Gut-Firmen«. Das erleichtert es ihnen, noch perfider vorzugehen. Lidl konnte zum Beispiel seit 2008 mit der Aktion »Gute Tat am Automat[en]« viele seiner Kunden dazu animieren, am Pfandautomaten über einen Spendenknopf die Pfandsumme oder einen Teilbetrag für die TAFELN zu spenden. 17 Millionen Euro sollen bisher zusammengekommen sein. Sie wurden bei den TAFELN unter anderem zur Verbesserung der Infrastruktur eingesetzt.

 

Aber das, was wir in den Supermärkten stehen lassen, ist nicht immer das, was die TAFEL-Kunden brauchen oder wünschen. Die TAFEL in Aschaffenburg hat deshalb im Jahr 2014 die Aktion »Eins für Grenzenlos« gestartet. In einigen Edeka-Märkten der Stadt können Kunden an der Kasse bestimmte Waren kaufen, die dann als Spende an die TAFEL gehen. 3500 Artikel in guter Qualität seien es pro Woche. »Es ist eigentlich eine Win-Win-Situation für Märkte und für die Bedürftigen«, schwärmte der Leiter des Sozialkaufhauses Harry Kimmich einmal im Deutschlandfunk. »Der Markt hat ein ganz anderes Sozial-Image in der Region, und die Bedürftigen profitieren einfach von den tollen Lebensmitteln.« Er träumt davon, das Beispiel würde im ganzen Land viele Nachahmer finden.

 

Mittlerweile betreiben TAFEL-Landesverbände Lagerhäuser, in denen sie große Mengen von Lebensmitteln oder Waren des täglichen Bedarfs, die sie von Herstellern oder Großhändlern bekommen, lagern können. Sie brauchen nun größere Fahrzeuge, sie brauchen ein funktionierendes Liefersystem, um die gelagerten Waren verteilen zu können. Ist die Arbeit noch mit Ehrenamtlichen zu bewältigen? Immer wieder werden Stimmen laut, der Staat müsse sich hier stärker engagieren, ohne Geld aus der Staatskasse gehe nichts. Man brauche es für Schulungen der Ehrenamtlichen, für festangestellte Mitarbeiter und auch für den Aufbau von Logistikzentren. Politikerinnen und Politiker zeigen sich offen dafür und versprechen Hilfe. Sie befürworten damit ein System, das spätestens jetzt abgeschafft werden sollte. Denn die TAFELN sind auf dem Weg zu einer neuen Supermarktkette, einer Supermarktkette für Arme (vielleicht mit dem Namen TAFEL e. V.?). Das kann aber nicht im Interesse unserer Gesellschaft sein. Zum »Raus« aus dem Arbeitsprozess und dem damit verbundenen »Raus« aus dem gesellschaftlichen, dem kulturellen Leben käme dann noch das Raus aus den Supermärkten. Sie sind einer der letzten Orte, in denen Arme – wenn auch nicht in vollem Umfang – am öffentlichen Leben teilnehmen können. Ihr Leben fände dann nur noch in ihrer Wohnung statt, in Ämtern und bei den TAFELN, eben unter ihresgleichen. Sie wären ganz und gar abgeschoben, lebten in einem Ghetto der besonderen Art.

 

Für diesen Ausschluss nutzen die TAFELN das Engagement vieler tausend Ehrenamtlicher, die davon überzeugt sind, Gutes zu tun. Sie freuen sich über dankbare Kunden, über ein Lächeln. Aber treibt es sie nicht um, dass die Zahl der Bedürftigen steigt, das Angebot an Lebensmitteln oft nicht mehr für alle reicht? Wissen sie, dass sie mit ihrer oft schweren Arbeit vor allem den Lebensmittelkonzernen helfen, Geld, Entsorgungsgebühren und Werbungskosten zu sparen, oder anders gesagt, dass sie Konzernen dabei helfen, mit dem Elend Anderer Geld zu verdienen. Die TAFELN helfen aber auch Politikern, sich als Vorreiter im Kampf gegen Armut und gleichzeitig als Lobbyisten zu profilieren. Kaum einer verwendet einen Gedanken darauf, wie man die TAFELN überflüssig machen könnte. Stattdessen höre ich immer wieder, wie sie diese als gute Werke loben und preisen und – im Namen der Bedürftigen – steuerliche Erleichterungen für Supermarktketten fordern, die »Reste« abgeben (und so doch indirekt zu mehr Verschwendung aufrufen). Kann eine Gesellschaft sich denn noch gedankenloser und zynischer gegenüber ihren Armen zeigen als mit den TAFELN?

 

 

Der Text ist ein stark gekürzter Auszug aus dem Kapitel »ARM MACHT REICH« des neuen Buches von Irene Teichmann: »Der halbe Mantel. Vom Teilen«. Es erscheint Anfang 2020 im Selbstverlag (spitz kohl verlag).