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Bemerkungen

Grün ist nur eine Farbe

Macht macht mächtig Spaß. Das hat die mittlerweile 40 Jahre bestehende grüne Umweltpartei längst begriffen, und die Devise »Opposition ist Mist« wäre, wenn nicht schon vergeben, ein adäquates grünes Motto. In elf Bundesländern sind die Grünen am Mitregieren, in Baden-Württemberg stellen sie sogar den Regierungschef. Auf dem langen Weg zu einer etablierten Partei mussten sich die Grünen öfters häuten, um eine staatstragende Rolle übernehmen zu können, mit allem, was dazugehört, mit Ministern und Staatssekretären, mit Dienstwagen und Personenschützern, mit Thinktanks und Stiftungen. Inzwischen ist man da angekommen, wo sich die anderen schon lange wähnen, in der ominösen politischen Mitte.

 

1990/91 verließen zahlreiche, auch prominente Vertreter des linken Flügels die Partei, wodurch sich der programmatische Wandel beschleunigte. Wer blieb und sich anpasste, konnte sich ausrechnen, mit etwas Glück und einem gewissen Durchsetzungsvermögen eine politische Karriere zu durchlaufen, die bis in hohe Ämter führen kann. Denn lange waren die Grünen die einzige politische Partei, der Natur und Umweltschutz ein Hauptanliegen waren. Diese Marktlücke versprach zumindest den baldigen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, vielleicht sogar mehr. Die wohl schillerndste Figur, die eine jener unwahrscheinlichen grünen Karrieren hinlegte, ist Joschka Fischer, der es vom anarchistischen Frankfurter Straßenkämpfer zum erfolgreichen Unternehmensberater gebracht hat, über einen kleinen Umweg als deutscher Außenminister. Nicht wenige der heutigen grünen Funktionsträger hatten ihre politische Laufbahn in linken Kleinstparteien wie dem Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW) begonnen und retteten sich rechtzeitig in die neue Umweltpartei. Neben Jürgen Trittin ist hier vor allem Winfried Kretschmann zu nennen, aber auch Rainer Bütikofer und Ralf Fücks.

 

Die grünen Protagonisten decken heute ein breites bürgerliches Spektrum ab, was man durchaus als wertkonservativ bezeichnen kann. Dazu gehört auch ein guter Draht zu den großen christlichen Konfessionen. Garanten dafür sind der praktizierende Katholik Winfried Kretschmann sowie das langjährige Mitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Katrin Göring-Eckardt. Ebenso wie die CDU und die SPD sind die Grünen schon länger auf einem USA-freundlichen Atlantikkurs. Die Befürwortung des Kosovo-Krieges durch Joschka Fischer, der letztendlich auch die Einrichtung der US-Militärbasis Bondsteel nahe Priština ermöglichte, kostete den Außenminister auf dem Parteitag in Bielefeld immerhin ein durch einen Farbbeutelwurf verletztes Ohr, eine linke Verzweiflungstat. Neben Fischer, der für einige US-Denkfabriken und Universitäten tätig war, sind auch andere prominente Grüne für transatlantische Organisationen tätig, die sich für eine enge Westbindung und einen aggressiven Kurs gegen Russland einsetzen. Zu diesem Zweck existiert das von den Grünenpolitikern Marieluise Beck und Ralf Fücks vor drei Jahren ins Leben gerufene Zentrum Liberale Moderne. Auch Cem Özdemir durchlief eine Schulung beim American Council of Germany und beteiligte sich an einem Aufruf des Project for the New American Century gegen den russischen Präsidenten Putin. Der EU-Abgeordnete Rainer Bütikofer ist Kuratoriumsmitglied des Aspen-Instituts, eine der zahlreichen US-Denkfabriken.

 

Mit den Werktätigen der Republik hatten die Grünen noch nie viel am Hut, ihre Wählerschicht war und ist jung, bürgerlich, selbständig oder im öffentlichen Dienst. Als Gerhard Schröder die Agenda 2010 durchzog, gab es vom ökologischen Koalitionspartner keinen nennenswerten Widerstand. Schon vorher wurde, wenn auch mit Bauchschmerzen, der Pazifismus über Bord geschmissen, als der Krieg gegen Serbien anstand. Die einzige revolutionäre Tat der Partei war die heldenhafte Erkämpfung des Pfands auf Einwegflaschen, das gibt es bis heute.

 

Manchmal hatte die Partei einfach Glück: Ein havariertes Atomkraftwerk im fernen Fukushima hievte 2011 einen Grünen an die Spitze eines Bundeslandes, in dem man bis dato auch den sprichwörtlichen Besenstiel gewählt hätte, wenn er das CDU-Label trug. Aber der neue Landesvater fand schnell in die Rolle seiner Vorgänger, im Südwesten fand keine grüne Revolution statt. Das Milliardengrab Stuttgart 21 wurde weitergebaut, die enge Verbindung »zum Daimler« weiter ausgebaut, der Ausbau der Windkraft umweltverträglich reduziert. Da wundert es nicht mehr, dass der Ministerpräsident zusammen mit seinem bayrischen Kollegen wegen der Coronakrise auch noch eine Kaufprämie für (natürlich saubere) Verbrennungsmotoren forderte.

 

In Hessen durfte Verkehrsminister und Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir den koalitionstreuen Partner geben, als Umweltschützer die vom Bau der Autobahn A 49 bedrohten Wälder besetzten. In Zeiten von Wirtschafts- und Klimakrise könnte das Verkehrsprojekt die Grünen in eine ernste Krise stürzen, schon kursiert in dunkelgrünen Kreisen die spöttische Bezeichnung »Bündnis 49/Die Grünen«. In Berlin wirft die grüne Wirtschaftssenatorin Pop ihre letzten Prinzipien über den Haufen und will zusammen mit SPD und Linken die Privatisierung von S-Bahn und Schulbauten durchziehen. Der bundesweite Verlierer ist die FDP, deren Wähler stetig in die grüne Zukunft abwandern, weshalb die Grünen für die Freien Demokraten schon lange Haupt- und Angstgegner sind. Angst muss man als liberaler Bürger vor dieser Partei jedoch schon lange nicht mehr haben.

 

Unwillkürlich kommt einem Kurt Tucholskys geniale Kritik an der SPD aus den 20er Jahren in den Sinn. Man muss nur das Wort Sozialismus gegen Umweltschutz austauschen: »Es ist so ein beruhigendes Gefühl. Man tut was für den Umweltschutz, aber man weiß ganz genau: Mit dieser Partei kommt er nicht.«     

 

Christophe Zerpka

 

 

 

Auf Kurs: Der neue Duden

Von den Konzernmedien ist man es gewohnt, dass sie im Interesse ihrer Eigner Sprachrohr der ihnen genehmen Regierungspolitik sind. Das Gleiche gilt aufgrund seiner Konstruktion und handverlesener Leitungsgremien für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – in beiden Fällen mithilfe williger Marionetten.

 

Anders verhält es sich bei lexikalischen Standardwerken, die der Darstellung nüchterner Fakten und Daten verpflichtet sind. Umso mehr erstaunt es, dass das als seriös geltende Bibliographische Institut von dem ungeschriebenen Gesetz abweicht, wie ein Blick in die kürzlich erschienene 28. Auflage des »Duden – Die deutsche Rechtschreibung: Das umfassende Standardwerk auf der Grundlage der aktuellen amtlichen Regeln« zeigt. In zahlreichen Fällen übernimmt die Redaktion die regierungsamtliche Sichtweise und Sprachregelung. Vermutlich will man als quasi Nationalmedium nicht abseits stehen, was schon durch die Verlegung des Herausgeberortes von Mannheim nach Berlin befördert wurde.

 

Mit besonderer Verve nimmt man sich Russlands und seiner Führung an. Dessen Präsident wird beiläufig als »Putin (russ. Politiker)« erwähnt und wohl nicht zufällig auf eine Stufe mit »Stalin (sowj. Politiker)« gestellt. Weder werden sein Vorname noch seine Funktion angegeben. Da sieht es bei Gorbatschow als »sowjetischer Staatsmann« schon anders aus, ganz zu schweigen von den Leuchttürmen unseres Wertesystems, die als »Trump, Donald (Präsident der USA)« und »Obama, Barack (Präsident der USA)« gewürdigt werden. Und sogar »Franco, Francisco (span. General u. Politiker)« hat es geschafft! Da fällt einem das Stichwort »Diktatur« ein, das man mit zahlreichen Namen aus allen Zeitepochen assoziieren kann und nicht erläutern muss. Anders der Duden, für den das ausschließlich »Diktatur des Proletariats (marx.)« bedeutet. Keine Deutung ist abwegig genug, wenn sie nur ihren beabsichtigten Zweck erfüllt. Hier ist die Redaktion zu tadeln: Statt des gewählten obsoleten Begriffs wäre doch die von interessierter Seite tagaus, tagein mit vollen Backen posaunte »SED-Diktatur« aktueller und der Sache dienlicher gewesen. Aber sonst erfüllt man auch hier die Vorgaben, wenn man einem Wort wie »Mauer«, unter dem sich selbst ein Bildungsferner etwas vorstellen kann, »Mauerbau«, »Mauerfall« und »Mauerspecht« zuordnet.

 

Zurück nach Russland. Dass die Herabsetzung Putins kein Zufall ist, wird bei den Angaben zur Wörterbuchbenutzung deutlich. Unter D22 (Bindestrich) wird als Beispiel »Eine Putin-kritische Gruppierung« genannt und – damit es sich besser einprägt – unter D135 (Namen) wiederholt. Wäre das absichtslos, hätte man hier ein anderes Beispiel gewählt.

 

Beim Stichwort »Kreml« wird unter anderem notiert, dass das Wort übertragen für Regierung Russlands steht, um dann mit »Kremlkritiker«, »Kremlkritikerin« und »kremlkritisch« die Richtung zu weisen. Zu »Krim« findet man nicht etwa den beliebten Krimsekt, sondern selbstverständlich die »Krimannexion«.

 

Im nächsten Jahr ist Bundestagswahl, deren Ergebnis aus heutiger Sicht eher eine Wende zum noch Schlechteren erwarten lässt, selbst wenn der russophobe Außenminister ein anderer ist. Wenn die wieder anvisierten 75.000 Exemplare der aktuellen Duden-Printausgabe verkauft sind, wartet auf die Redaktion ausreichend neuer Stoff, zumal man in Berlin näher an den Machteliten ist und deren Sichtweise samt Gebrauchsanweisung (sprich: Sprachregelung) schneller und ungefiltert ankommt. Man darf auf die 29. Auflage gespannt sein!

 

Übrigens lautet das Duden-Leitbild: »Sprache sagt alles.« Und weiter führt der Verlag auf seiner Website aus: »… Duden hilft uns seit Jahrzehnten, den ›Schlüssel‹ Sprache richtig und sinnvoll zu nutzen: um zu verstehen, um uns auszudrücken, um uns zu verständigen.« Man ist sich seiner Macht bewusst und gibt den Schlüssel zur Welt gezielt vor.                   

 

Joachim Beimelt

 

 

 

Die verdrängte Zeit

Der Schriftsteller Marko Martin verweigerte als 19-Jähriger vor 30 Jahren den NVA-Dienst, verschwand keinesfalls im Knast, sondern ging in die Bundesrepublik. Er publizierte jahrelang in der Welt und hat jetzt die Kultur seiner Jugend wiederentdeckt, weil er meint, dass die bedeutenden Autoren seiner Zeit und seines Ostens vergessen wurden und in der heutigen Bundesrepublik nur eine geringe Rolle spielen. Das ist ein löbliches Vorhaben, in einer Zeit, da gern allein die Geschichte der bundesdeutschen Literatur von Böll bis Grass, von Bachmann bis Siegfried Lenz vorgeführt wird. Er zitiert die DDR-Kinder- und Jugendliteratur in hohen Auflagen und bester Qualität von einst, die Wolfgang Schreyer und Ludwig Renn, Alex Wedding und Benno Pludra publizierten. Vor allem aber ruft er von Wolf Biermann bis zu Reiner Kunze, von Ulrich Plenzdorf bis Solo Sunny die Helden seiner Jugend ins Bewusstsein; die eigentlich nicht vergessen sind, sondern gerade im Umfeld des 30. Jahrestages immer gern und unablässig zitiert werden. Es gibt natürlich nicht wenige vergessene Ost-Autoren, die aber sieht er als Parteibarden an, hat sie sicherlich nie gelesen, obwohl sie überaus beliebt waren, die Hermann Kant und Günter Görlich, zumindest hören sich seine Kurz-Urteile so an. Seine Heroen hingegen zitiert er nicht selten fehlerhaft; der berühmte Satz von Solo Sunny »Ist ohne Frühstück« gilt nach seiner Meinung ihrem Geliebten, vom Schauspieler Alexander Weigl im Film verkörpert. In Wirklichkeit ist’s ein namenloser One-Night-Stand. Die Brasch-Brüder sortiert er auch mal falsch. Peter Brasch, der jüngste Bruder, ist bei ihm der zweite. Vor allem aber teilt Martin gern in befleckte Künstler (mit Stasi-Kontakt) und die hehren, die der Bundesrepublik und dem christlichen Weltbild dienen. Gundi Gundermann beispielsweise kommt nur mal sehr kurz vor, obwohl er die eigentlich exemplarische Ostbiografie bietet: Gewiss, er ist ja befleckt. Ganz interessant, wie Martin die Geschichte von Jurek Becker und seinem Vater erzählt, bei ihm könnte man meinen, Becker gehöre von Beginn an zu den schwer verfolgten jungen Autoren der DDR, weil Jude. Christoph Hein und Volker Braun hingegen seien unsichere Kantonisten im Sinne der Demokratie. Brauns berühmtes Gedicht »Das Eigentum« von 1989 sei eine DDR-Reinwaschung par excellence, und von Christoph Hein hört man bei Martin nie, dass er eine große Philippika wider die DDR-Zensur auf einem offiziellen DDR-Schriftstellerkongress gehalten habe. Leider ordnet Martin auch alle unbewiesenen IM-Kader mit ihren Decknamen, de Maiziere als IM Czerni und Gysi selbstverständlich als IM Notar, in die Hölle der Stasi-Obristen. Westkorrespondenten sind bestenfalls berühmt und mutig, nie zwielichtig oder gar geheimdiensteifrig. Man ist bei diesem Buch fast an manches betonideologische Frühwerk der DDR erinnert. Ursula Karusseit wird mit der Oberspießermutter der BRD, Mutter Beimer, verglichen. Brigitte Reimann, die bis an ihr Lebensende eine glühende, wenn auch wider den Stachel löckende Sozialistin war, ist bei Marko Martin eine glühende Bundesdeutsche, quasi eine Kampfgefährtin von Ines Geipel und Vera Lengsfeld, die heutzutage immer stramm & eifrig reaktionär argumentieren. Immerhin erfährt man aus diesem wahrlich umfangreichen Buch, dass Maxie Wander in ihrem berühmten Porträtbuch »Guten Morgen, du Schöne« ganz reale Menschen, bis heute berühmt, porträtierte.

 

Bemerkenswert, welche DDR-Autoren bei Martin, der doch einen ganzen Aufriss der DDR zeigen will, nur am Rande vorkommen – natürlich Peter Hacks oder auch Stefan Heym. Heym kreidet er als Hauptsünde an, dass er sich für die PDS als Bundestagskandidat aufstellen ließ. Den schandbaren Umgang mit jüdischen Schriftstellern, die nach 1945 in die DDR aus gutem Grund zurückkehrten, wirft Martin manchem SED-Oberen zu Recht vor. Was er vergisst, sind jene Intellektuellen, die im Umfeld der überaus populären Satire-Zeitschrift Eulenspiegel ihr Feld beackerten. Hier seien nur die Namen Renate Holland-Moritz, Ernst Röhl, Hansgeorg Stengel, Lothar Kusche genannt und ebenjene in die DDR zurückgekehrten Schriftsteller mosaischer Herkunft, die die Chuzpe der 1920er Jahre in die junge DDR pflanzten und für die oben Genannten echte Lehrer waren: Berta Waterstradt, Georg Honigmann oder Jürgen Kuczynski. So praktiziert Martin genau jenen Stil der Verdrängung – was nicht in meinen Kram passt, erwähne ich nicht – mit dem der Autor in seinem Buch eigentlich abrechnen will.

 

Matthias Biskupek

 

Marko Martin: »Die verdrängte Zeit. Vom Verschwinden und Entdecken der Kultur des Ostens«, Tropen-Verlag Label von Klett-Cotta J.G. Cotta’sche Buchhandlung, 426 Seiten, 20 €

 

 

 

Barlachs Credo

Kunst war für Barlach »eine Sache allertiefster Menschlichkeit«! Bekannt wurde der vielseitig begabte Künstler vor allem durch seine ausdrucksstarken Holzskulpturen. Man meint, den »Singenden Mann« zu hören, man spürt die Kälte des »Frierenden Mädchens« und fühlt die Not der »Verhüllten Bettlerin«. Und welch elementare Kraft steckt in der Holzskulptur »Der Rächer«; mit größter Entschlossenheit und Wut stürmt er nach vorn. Zu bewundern sind Barlachs Arbeiten: Holzskulpturen, Graphiken, Zeichnungen, Taschenbücher; auch literarisch anspruchsvolle Briefe, Prosawerke und Dramen stammen von ihm.

 

Im Dresdener Albertinum gibt es eine sehenswerte, wohl bisher einmalige Barlach-Retrospektive. Begleitet wird sie durch einen hervorragend gestalteten, umfangreichen Katalog »Ernst Barlach  … was wird bis Übermorgen gelten?« (48 Euro).

 

Ernst Barlach, geboren 1870, studierte in Hamburg, Dresden und Paris. Die Pariser Jahre waren für ihn »merkwürdig unfruchtbar«. Seit 1920 lebte und arbeitete er in Güstrow. Das Erlebnis seiner für ihn wichtigen Russland-Reise (1906) hat Themen und Stil seiner Arbeiten entscheidend geformt. Für ihn war das – nach vom Jugendstil und einer akademischen Ausbildung geprägten Anfängen – ein ästhetischer und thematischer Neubeginn. Angeregt vom Verleger Cassirer konzentrierte er sich mehr und mehr auf die Bildhauerei. Es entstanden unter anderem Steinzeugarbeiten wie eine »Bettlerin mit Schale«. Die erschütternde Armut einfacher Menschen wird auch in anderen hölzernen und bronzenen Figuren erlebbar. Es gelang Barlach überzeugend, Gemütszustände darzustellen. Die Holzskulptur »Lesender Klosterschüler« zeigt einen in sich versunkenen Mann mit geschlossenen Augen; nichts kann ihn von seinen tiefen Gedanken ablenken.

 

Die Ausstellung ist großzügig gestaltet und erlaubt dem Betrachter, jedes Kunstwerk, jedes Dokument in Ruhe aufzunehmen. Immer wieder bewundert man die Taschenbücher mit Skizzen, die den unermüdlich beobachtenden und suchenden Künstler zeigen und einen Einblick in seine Schaffensweise geben. Erstaunlich, was da von den Museumsleuten zusammengetragen wurde!

 

Im Güstrower Dom ist Barlachs »Schwebender Engel« zu sehen, das bekannte Mahnmal für die Opfer des Ersten Weltkrieges, eine überlebensgroße bronzene Figur mit den Gesichtszügen seiner Künstlerkollegin Käthe Kollwitz. Das »Magdeburger Mal«, eine Holzskulptur, zeigt ergreifend das Unfassbare, die Trauer und das stille ehrende Gedenken an die Gefallenen. Beide Denkmale wurden von den Nazis beseitigt. Barlach wurde ein Opfer der faschistischen Kunstideologie, sein Schaffen war nun »entartete Kunst«, einige Skulpturen wurden zerstört, die Aufführung seiner Dramen (zum Beispiel »Der tote Tag«) verboten. Schon 1932 zerschlugen Nazis die Scheiben seines Güstrower Hauses. Doch Barlach blieb in Deutschland, er starb 1938 in einem Rostocker Krankenhaus. In der Ausstellung wird auf eine Autobiografie Barlachs »Ein selbsterzähltes Leben« aufmerksam gemacht – und auf seine Holzschnitte zu Schillers »Ode an die Freude«. Auch Otto Pankoks Holzschnitt »Bildnis Ernst Barlach« ist zu sehen. Angeboten werden Führungen und Veranstaltungen zur Ausstellung.

 

Barlach widerstrebte es, auf eine konfessionelle, christlich-mystische Interpretation seiner Werke festgelegt zu werden, wie sie sich nach 1945 in Westdeutschland etablierte. Ein neuer Blick auf Barlachs Kunst ist wichtig und notwendig. Dazu trägt die Ausstellung bei. In ihrem abschließenden Teil wird die Rezeption seines Werkes in beiden deutschen Staaten untersucht. Wieland Försters Porträtkopf »Franz Fühmann« weist auf die Novelle »Barlach in Güstrow« hin. Mit Fritz Cremers bronzenem Bildnis »Bertolt Brecht« wird an Brechts Worte erinnert, die er 1951 anlässlich der Eröffnung einer Barlach-Ausstellung sprach: »Ich halte Barlach für einen der größten Bildhauer, die wir in Deutschland haben. Der Wurf, die Bedeutung der Aussage, das handwerkliche Ingenium, Schönheit ohne Beschönigung, Größe ohne Gerecktheit, Harmonie ohne Glätte, Lebenskraft ohne Brutalität machen Barlachs Plastiken zu Meisterwerken.« (Katalog S. 465)  

 

Maria Michel

 

»Ernst Barlach zum 150. Geburtstag. Eine Retrospektive«, bis zum 10. Januar 2021, Albertinum (1.OG), Dresden, Georg-Treu-Platz 1, Montag geschlossen, Dienstag bis Sonntag 11 bis 17 Uhr, Eintritt 12/9 Euro. Zurzeit coronabedingt geschlossen, Online-Führungen unter: https://albertinum.skd.museum/ausstellungen/ernst-barlach-zum-150-geburtstag-eine-retrospektive/

 

 

 

Die Luxemburgs

In dem Buch wird über eine Familie berichtet, die hierzulande fast völlig unbekannt ist. Lediglich ein Mitglied der Familie leuchtet wie ein Stern am Firmament aus tiefer Vergangenheit in die Gegenwart – Rosa Luxemburg. Sie war sicher auch der Anlass für die »Spurensuche«, die die Herausgeber unternommen haben. Aber, und das ist ein bemerkenswerter Vorzug, sie spielt keine herausragende Rolle in dem Buch. Nur die vielen, vom Text der Darstellung typographisch unterschiedenen, zumeist sehr treffenden, zuweilen etwas erratisch eingestreuten Zitate aus ihren Schriften und Briefen erinnern immer wieder daran, um wessen Familie es hier geht. Die mit viel Liebe zum historischen Detail aufgefundenen Spuren werden quellenkritisch präsentiert, wozu auch eine Vielzahl von Abbildungen gehört, die die handelnden Personen zeigen, historische Dokumente und Stadtansichten, ein rundum gelungenes und schön anzusehendes Buch.

 

Die hier überlieferte Familiengeschichte setzt um 1830 im russisch beherrschten Kongresspolen ein, reicht aber teilweise – je nach den Lebensdaten der Familienmitglieder – weit über die Jahre 1918/19 hinaus, als im November die Zweite Polnische Republik gegründet und zwei Monate später Rosa Luxemburg ermordet wurde. Ihr Neffe Kazimierz besuchte im Jahre 2009, aus dem litauischen Vilnius kommend, die polnische Filiale der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau und sorgte dafür, dass deren polonisierter Name Luksemburg durch den korrekten, den er auch selber trug, ersetzt wurde.

 

Wenn ich nach Lektüre des Buches einen Wunsch frei habe, dann den, dass der deutsche Mitherausgeber nach dieser Leistung den noch ausstehenden Band 8 der Gesammelten Werke Rosa Luxemburgs fertigstellt, der die bislang dort nicht aufgenommenen »polnischen« Schriften in deutscher Übersetzung enthalten soll.   

 

Thomas Kuczynski

 

 

»Rosa Luxemburg: Spurensuche. Dokumente und Zeugnisse einer jüdischen Familie«, herausgegeben von Krzysztof Pilawski und Holger Politt, VSA, Hamburg, 152 Seiten, 19,80 €

 

 

 

Neue Fusion spanischer Banken

In Spanien zeichnet sich eine weitere Bankenfusion ab, die baskische Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA) und die katalanische Banco Sabadell prüfen ein Zusammengehen. Die Gespräche laufen bereits seit dem Sommer. Nach der geplanten Fusion der katalanischen Caixa und der Madrider Bankia würden BBVA und Sabadell mit einer gemeinsamen Bilanzsumme von 599 Milliarden Euro die Nummer zwei unter Spaniens Banken werden. Eine starke Stellung hat Sabadell vor allem in Katalonien, ihr Geschäft konzentriert sich auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Zu den wichtigsten Aktionären zählen der Mexikaner David Martinez und BlackRock, der größte Vermögensverwalter der Welt. Die größere BBVA macht ihre Gewinne vor allem im Ausland, in Mexiko und der Türkei. Die Nachricht über die Verhandlungen wurde von der BBVA nach dem Verkauf ihres Amerikageschäfts an den Finanzdienstleister PNC Financial Services Group bekanntgegeben. Der Preis betrug 11,6 Milliarden Dollar (9,7 Milliarden Euro). Das Kreditinstitut verschaffte sich so die Mittel für den Erwerb der kleineren Bank Sabadell. Die zunehmende Digitalisierung führt bei den spanischen Banken zu Fusionen, die von der Pandemie beschleunigt werden. BBVA und Sabadell werden nach der Fusion Filialen schließen und Stellen streichen, schon vor zwei Wochen kündigte Sabadell den Wegfall von 1800 Arbeitsplätzen an. Auch die Großbank Santander entlässt 4000 Leute und schließt 1000 Filialen. Nach einem Beitrag der Tageszeitung El País erwägen die Banken Unicaja und Liberbank ebenfalls ein Zusammengehen.     

 

Karl-H. Walloch

  

 

Holziges

Deutschland wird gern als Land der Dichter und Denker apostrophiert. Als föderierte Bundesrepublik avancierte es neuzeitlich zum Land der Kläger und Richter.

 

In Potsdam machte ein simpler Holzstapel juristisch Furore. Seit Jahren ein Rechthaber-Streit. Vernunft in absentia. Die Bauverwaltung hatte Anfang 2016 die Entfernung des Kaminholz-Stapels verfügt, der seit Jahren im Garten stand. Der Stapel sei »durch seine eigene Schwere« mit dem Boden verbunden und somit ein Bauwerk, für das es keine Genehmigung gebe, argumentierte die Verwaltung, verhängte gegen den Hotelier 1000 Euro Strafe und drohte sogar mit Haft. Der wiederum klagte dagegen. Justitia musste zwischen Stadtverwaltung und Hotelier-Kontrahent einen Vergleich aushandeln. Als ob dort nichts Wichtigeres anstand. Der Holzstapel soll verlagert werden. In ein nahes Eselsgehege ...

 

Die Mär vom Streit um die Mühle zwischen Fridericus rex und Müller Grävenitz? Das wahre Leben ist viel, viel härter. extra 3 und Journalisten machten die Sache genüsslich publik. Grand Blamage bundesweit für die Stur(Holz?)köpfe.

 

Wer derart Spott einheimst, hat den Hohn wohlverdient.

 

Fridericus Anobium punctatum

alias Fritze Holzwurm,

Insulaner uff Hermannswerder

 

 

 

Zuschriften an die Lokalpresse

Ich freue mich ehrlich darüber, dass die mir aus meinen Jugendjahren wegen ihres Industriedrecks und ihrer Luftverschmutzung als »Ruß-Chamtz« (Ruß-Chemnitz) bekannte Stadt den Glanz einer Kulturhauptstadt erhalten soll. Die von ihrer Gewerbegeschichte, von konträren Gesellschaftsformationen, sozialen Gegensätzen und Namensänderungen geprägte Kommune, deren Marx-»Nischel« längst ein prägendes Symbol im Stadtzentrum geworden ist, hat sich im Laufe der Jahre zum Wissenschafts-, Sport- und Kulturzentrum entwickelt. Das kann man auch künstlerisch untersetzen, und das finde ich gut. Weniger leuchtet mir dagegen ein, warum das durch die künstlerische Nachbildung des Mastdarms von Karl Marx erfolgen musste. Mit einer Statue, einem Kopf oder auch dem Torso einer Persönlichkeit kann ich gut leben, aber ein Mastdarm ist sicher besser für eine Darmspiegelung geeignet als für eine Veredelung zum Kunstobjekt! Oder sind auch noch andere Organe vorgesehen? Wenn ja, welche und wessen? Und kann man mir bitte erklären, was damit bezweckt werden soll? – Dr. Ursula Unklar (51), Urologin, 64283 Darmstadt

 

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Wie der neue »Glücksatlas« laut Berliner Kurier vom 19. November verrät, ist das Glücksempfinden der Bundesbürger im Corona-Jahr nur leicht gesunken. Das macht mich froh, zumal die Medien einen Tag später mit 19,3 Prozent einen neuen »Armutsrekordwert« mitteilten und am 22. November vermeldeten, dass fast jeder fünfte Berliner von Armut bedroht ist (Berliner Kurier). Die Werte scheinen die alte Volksweisheit zu bestätigen, dass »Geld allein nicht glücklich macht«. Das wird Solokünstler, Kurzarbeiter, Kneipenwirte und andere Dienstgrade gewiss beruhigen. – Marietta Frohsinn (45), Umschülerin, 25348 Glückstadt

 

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»Das Stück ist aus, aber es läuft noch«, kommentierte der Publizist Felix Bartel in der jungen Welt vom 11. November den durch das gültige USA-Wahlsystem besiegelten Präsidentenwechsel. Aber nach wie vor behauptet der Noch-Präsident, er sei durch Wahlfälschungen aus dem Amt gerempelt worden, und er weigert sich, seine Amtsstuben im Weißen Haus für den Nachfolger zu räumen. Wird Trump jetzt zum weltbekanntesten illegalen Mieter? Jetzt in der Faschingszeit rutscht ihm jedenfalls die Maske vom Gesicht. Droht dem Mann nun eine Räumung wie sie die Bewohner der Berliner Liebigstraße 34 im Oktober erlebten? – Wally Wacholder (67), Rentnerin, 03205 Calau                 

 

Wolfgang Helfritsch